Wohlstand ohne Wachstum
In New York diskutieren die Vereinten Nationen über Wohlstandsmodelle, die sich nicht nur über Wirtschaftswachstum definieren. Der Autor Stefan Klein hält das "für eine hervorragende Idee". Das Bruttoinlandsprodukt sei kein Gradmesser für ein zufriedenes Leben.
Nana Brink: Na das ist ja mal eine Frage, die wir uns auch wünschen würden: Wie sehr genießen Sie Ihr Leben? Kein Witz! Diese Frage hat das Himalaya-Königreich Bhutan seinen Bürgern gestellt, um sozusagen das Bruttonationalglück festzustellen. Mehr noch: Das kleine Entwicklungsland hat bei den Vereinten Nationen zu einem Treffen über eben diese Frage eingeladen, und zwar gestern, und die Frage nach dem neuen Wohlstandsmodell hat eingeschlagen wie eine Bombe. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Eröffnungsrede gehalten und 600 Teilnehmer sind gekommen. Aber kann man Glück messen? - Am Telefon ist jetzt Stefan Klein, Autor des Buches "Die Glücksformel". Einen schönen guten Morgen, Herr Klein!
Stefan Klein: Guten Morgen!
Brink: Haben Sie sie gefunden, die Glücksformel?
Klein: Also das alles Entscheidende ist, dass Glück etwas Objektives und etwas Objektivierbares ist, und das läuft unserer Vorstellung, dass Glück so etwas ganz Persönliches und bei mir ganz anders sein müsste als bei Ihnen, vollkommen zuwider. Tatsächlich ist es so, dass Menschen Glücksgefühle alle auf die gleiche Weise empfinden. Wir wissen, warum das so ist, und wir wissen, wie diese Gefühle in uns entstehen. Und was nun diese Konferenz angeht: Wir wissen auch ziemlich genau, was Menschen zufrieden macht, und auch das ist bei den meisten Menschen erstaunlich ähnlich. Geld zum Beispiel spielt keine große Rolle, soziale Kontakte spielen eine große Rolle und so weiter und so weiter und so weiter.
Brink: Wir haben ja diese Konferenz, die Konferenz der Vereinten Nationen, auf der ja die Frage gestellt werden sollte nach einem sozusagen Bruttonationalglück, oder wie Menschen glücklich sind. Und die Frage, die sich mir da aufdrängt: Kann man denn Glück messen, oder ist das nicht ganz unterschiedlich zum Beispiel in Österreich oder in Indonesien?
Klein: Sie können zwei ganz einfache Dinge tun. Das eine ist, Sie können die Leute einfach fragen. Sie können sie fragen, wie zufrieden sind sie mit ihrem Leben, wie glücklich fühlen sie sich, und dann gucken Sie sich einfach mal an, wie leben diese Menschen eigentlich. Und dann stellen Sie beides in Beziehung zueinander und dann stellen Sie fest, dass viele Faktoren in Österreich wie in Indonesien wie in Thüringen genau auf dieselbe Weise mit Lebenszufriedenheit zu tun haben. Das sind zum Beispiel gelingen menschliche Beziehungen, das ist die Häufigkeit von Sport, also wie viel bewegen sich die Menschen, das ist die Häufigkeit von Sex, das ist eine gelingende Partnerschaft und so weiter. Das überrascht Sie vielleicht alles jetzt nicht sehr. Was Sie vielleicht eher überrascht ist der Umstand, dass das, worauf die Politik normalerweise abzielt, nämlich den Wohlstand einer Bevölkerung zu steigern, das macht überhaupt nicht glücklich und das macht überhaupt nicht zufrieden, in Österreich nicht und in Indonesien nicht und in Bhutan auch nicht, und darum ist diese UNO-Konferenz eine ganz hervorragende Idee.
Brink: Aber jetzt bin ich mal ein bisschen zynisch und sage, in Somalia ist es aber doch schon entscheidend, ob man sozusagen einen Mindestwohlstand hat oder genug zu essen.
Klein: Ja, da haben Sie vollkommen Recht. Das was ich sage gilt dann, wenn Ihre Existenzbedürfnisse befriedigt sind. Solange Sie fürchten müssen, dass Sie ihre Kinder nicht ernähren können, dass Sie ihre Arztrechnung nicht bezahlen können und so weiter und so weiter, da macht Sie jeder Euro mehr tatsächlich ein Stückchen glücklicher, und das ist auch das, was man bei solchen Untersuchungen sieht. Dieser Punkt, bei dem mehr Geld die Menschen nicht glücklicher macht, der ist erstaunlich früh erreicht.
Brink: Dann müssten wir doch eigentlich zusätzlich zu dem BIP feststellen, also zu dem Bruttoinlandsprodukt - das gilt ja immer so als Gradmesser für den Wohlstand und auch die Zufriedenheit in einem Land -, dann reicht dieser Gradmesser ja nicht mehr aus. Müssten wir irgendwie eine andere Formel finden, nach anderen Dingen fragen?
Klein: Ich glaube, entscheidend ist, dass wir uns erst einmal eingestehen, dass dieser, wie Sie richtig sagen, Erfolgsmesser kein solcher ist und dass wir uns eingestehen, wie unzureichend unsere bisherigen Modelle sind, nach denen wir Politik und Wirtschaft steuern. Wie ein besserer Indikator aussehen kann, ich glaube, da muss man ehrlich sagen, das wissen wir noch nicht. Da sind verschiedene Modelle im Umlauf, Human Development Index, so etwas, wie in Bhutan versucht wird, also indem man die Zufriedenheit misst, und das dauert noch ein Jahrzehnt. Da muss man ein Jahrzehnt schauen und forschen, was sich am besten eignet. Aber entscheidend und wirklich überfällig ist, dass wir uns auf diesen Weg machen.
Brink: Warum gibt es denn plötzlich dieses Bedürfnis über ein Wohlstandsmodell oder, ich sage mal, über so einen Happy Planet Index zu reden? Das hatten wir doch vor zehn, 20 Jahren gar nicht.
Klein: Na ja, wir haben ja einen gewaltigen Wirtschaftsaufschwung und wir haben bekanntlich eine Finanzkrise hinter uns, und ich glaube, dass das schon bei sehr vielen Menschen zu großer Nachdenklichkeit geführt hat in den entwickelten Ländern, zur Nachdenklichkeit darüber, ob mehr Wohlstand wirklich mehr Wohlbefinden bringt, und die Antwort ist ganz klar nein. Das ist das eine.
Den Entwicklungsländern und in den Schwellenländern stellt sich die Frage selbstverständlich in einer ganz anderen Weise, weil dort realisiert wird, dass es vollkommen untragbar wäre, wenn sämtliche Chinesen, sämtliche Inder einen Lebensstandard hätten wie wir ihn haben. Das könnte die Erde überhaupt nicht ertragen, da würden sämtliche Ökosysteme zusammenbrechen. Die Frage ist nun, brauchen wir das eigentlich, ist es für ein erfülltes Leben überhaupt nötig, dass wir alle zwei Autos vor der Tür, drei Handys in der Tasche und vier Fernseher in der Wohnung haben, oder gibt es andere Wege der Entwicklung, die vielleicht viel eher zum Ziel eines zufriedenen und erfüllten Lebens führen.
Brink: Was erwarten Sie sich denn von dieser Konferenz der Vereinten Nationen? Was müssten die entscheidenden Fragen sein oder die Beantwortung der entscheidenden Fragen?
Klein: Na ja, die entscheidende Frage haben Sie schon Eingangs gestellt, nämlich wie kann man zu einem besseren Indikator für gesellschaftliche Entwicklungen gelangen und ist dieser Indikator dann in allen Gesellschaften gleichermaßen brauchbar, oder muss man da doch unterscheiden. Ich erhoffe mir aber von dieser Konferenz noch etwas viel wichtigeres, nämlich dass wir uns eingestehen, dass die bisherigen Modelle nicht ausreichen und dass wir uns wirklich auf die Suche machen, dass wir uns ernsthaft auf die Suche nach besseren Modellen machen.
Brink: Würden Sie sich wünschen, dass auch eine Bundesregierung uns Bürger nach dem persönlichen Glück fragt?
Klein: Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung sich daran orientiert. Ob es jetzt die Bundesregierung sein muss, die uns fragt - nein, nicht unbedingt. Das Allensbach-Institut fragt die Deutschen seit 1950 nach ihrer Lebenszufriedenheit, und wissen Sie was? Seit 1950 haben sich die Einkommen in Deutschland - und zwar die Realeinkommen ohne Inflation - ungefähr verfünffacht. Und wissen Sie, was die Lebenszufriedenheit der Deutschen getan hat? Die ist ganz genau gleich geblieben. Und ich glaube, einen schlagenderen Nachweis dafür, dass mehr Wohlstand nicht mehr Wohlbefinden bringt, den kann es überhaupt nicht geben.
Brink: Stefan Klein, Autor des Buches "Die Glücksformel". Schönen Dank, Herr Klein, für das Gespräch.
Klein: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Stefan Klein: Guten Morgen!
Brink: Haben Sie sie gefunden, die Glücksformel?
Klein: Also das alles Entscheidende ist, dass Glück etwas Objektives und etwas Objektivierbares ist, und das läuft unserer Vorstellung, dass Glück so etwas ganz Persönliches und bei mir ganz anders sein müsste als bei Ihnen, vollkommen zuwider. Tatsächlich ist es so, dass Menschen Glücksgefühle alle auf die gleiche Weise empfinden. Wir wissen, warum das so ist, und wir wissen, wie diese Gefühle in uns entstehen. Und was nun diese Konferenz angeht: Wir wissen auch ziemlich genau, was Menschen zufrieden macht, und auch das ist bei den meisten Menschen erstaunlich ähnlich. Geld zum Beispiel spielt keine große Rolle, soziale Kontakte spielen eine große Rolle und so weiter und so weiter und so weiter.
Brink: Wir haben ja diese Konferenz, die Konferenz der Vereinten Nationen, auf der ja die Frage gestellt werden sollte nach einem sozusagen Bruttonationalglück, oder wie Menschen glücklich sind. Und die Frage, die sich mir da aufdrängt: Kann man denn Glück messen, oder ist das nicht ganz unterschiedlich zum Beispiel in Österreich oder in Indonesien?
Klein: Sie können zwei ganz einfache Dinge tun. Das eine ist, Sie können die Leute einfach fragen. Sie können sie fragen, wie zufrieden sind sie mit ihrem Leben, wie glücklich fühlen sie sich, und dann gucken Sie sich einfach mal an, wie leben diese Menschen eigentlich. Und dann stellen Sie beides in Beziehung zueinander und dann stellen Sie fest, dass viele Faktoren in Österreich wie in Indonesien wie in Thüringen genau auf dieselbe Weise mit Lebenszufriedenheit zu tun haben. Das sind zum Beispiel gelingen menschliche Beziehungen, das ist die Häufigkeit von Sport, also wie viel bewegen sich die Menschen, das ist die Häufigkeit von Sex, das ist eine gelingende Partnerschaft und so weiter. Das überrascht Sie vielleicht alles jetzt nicht sehr. Was Sie vielleicht eher überrascht ist der Umstand, dass das, worauf die Politik normalerweise abzielt, nämlich den Wohlstand einer Bevölkerung zu steigern, das macht überhaupt nicht glücklich und das macht überhaupt nicht zufrieden, in Österreich nicht und in Indonesien nicht und in Bhutan auch nicht, und darum ist diese UNO-Konferenz eine ganz hervorragende Idee.
Brink: Aber jetzt bin ich mal ein bisschen zynisch und sage, in Somalia ist es aber doch schon entscheidend, ob man sozusagen einen Mindestwohlstand hat oder genug zu essen.
Klein: Ja, da haben Sie vollkommen Recht. Das was ich sage gilt dann, wenn Ihre Existenzbedürfnisse befriedigt sind. Solange Sie fürchten müssen, dass Sie ihre Kinder nicht ernähren können, dass Sie ihre Arztrechnung nicht bezahlen können und so weiter und so weiter, da macht Sie jeder Euro mehr tatsächlich ein Stückchen glücklicher, und das ist auch das, was man bei solchen Untersuchungen sieht. Dieser Punkt, bei dem mehr Geld die Menschen nicht glücklicher macht, der ist erstaunlich früh erreicht.
Brink: Dann müssten wir doch eigentlich zusätzlich zu dem BIP feststellen, also zu dem Bruttoinlandsprodukt - das gilt ja immer so als Gradmesser für den Wohlstand und auch die Zufriedenheit in einem Land -, dann reicht dieser Gradmesser ja nicht mehr aus. Müssten wir irgendwie eine andere Formel finden, nach anderen Dingen fragen?
Klein: Ich glaube, entscheidend ist, dass wir uns erst einmal eingestehen, dass dieser, wie Sie richtig sagen, Erfolgsmesser kein solcher ist und dass wir uns eingestehen, wie unzureichend unsere bisherigen Modelle sind, nach denen wir Politik und Wirtschaft steuern. Wie ein besserer Indikator aussehen kann, ich glaube, da muss man ehrlich sagen, das wissen wir noch nicht. Da sind verschiedene Modelle im Umlauf, Human Development Index, so etwas, wie in Bhutan versucht wird, also indem man die Zufriedenheit misst, und das dauert noch ein Jahrzehnt. Da muss man ein Jahrzehnt schauen und forschen, was sich am besten eignet. Aber entscheidend und wirklich überfällig ist, dass wir uns auf diesen Weg machen.
Brink: Warum gibt es denn plötzlich dieses Bedürfnis über ein Wohlstandsmodell oder, ich sage mal, über so einen Happy Planet Index zu reden? Das hatten wir doch vor zehn, 20 Jahren gar nicht.
Klein: Na ja, wir haben ja einen gewaltigen Wirtschaftsaufschwung und wir haben bekanntlich eine Finanzkrise hinter uns, und ich glaube, dass das schon bei sehr vielen Menschen zu großer Nachdenklichkeit geführt hat in den entwickelten Ländern, zur Nachdenklichkeit darüber, ob mehr Wohlstand wirklich mehr Wohlbefinden bringt, und die Antwort ist ganz klar nein. Das ist das eine.
Den Entwicklungsländern und in den Schwellenländern stellt sich die Frage selbstverständlich in einer ganz anderen Weise, weil dort realisiert wird, dass es vollkommen untragbar wäre, wenn sämtliche Chinesen, sämtliche Inder einen Lebensstandard hätten wie wir ihn haben. Das könnte die Erde überhaupt nicht ertragen, da würden sämtliche Ökosysteme zusammenbrechen. Die Frage ist nun, brauchen wir das eigentlich, ist es für ein erfülltes Leben überhaupt nötig, dass wir alle zwei Autos vor der Tür, drei Handys in der Tasche und vier Fernseher in der Wohnung haben, oder gibt es andere Wege der Entwicklung, die vielleicht viel eher zum Ziel eines zufriedenen und erfüllten Lebens führen.
Brink: Was erwarten Sie sich denn von dieser Konferenz der Vereinten Nationen? Was müssten die entscheidenden Fragen sein oder die Beantwortung der entscheidenden Fragen?
Klein: Na ja, die entscheidende Frage haben Sie schon Eingangs gestellt, nämlich wie kann man zu einem besseren Indikator für gesellschaftliche Entwicklungen gelangen und ist dieser Indikator dann in allen Gesellschaften gleichermaßen brauchbar, oder muss man da doch unterscheiden. Ich erhoffe mir aber von dieser Konferenz noch etwas viel wichtigeres, nämlich dass wir uns eingestehen, dass die bisherigen Modelle nicht ausreichen und dass wir uns wirklich auf die Suche machen, dass wir uns ernsthaft auf die Suche nach besseren Modellen machen.
Brink: Würden Sie sich wünschen, dass auch eine Bundesregierung uns Bürger nach dem persönlichen Glück fragt?
Klein: Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung sich daran orientiert. Ob es jetzt die Bundesregierung sein muss, die uns fragt - nein, nicht unbedingt. Das Allensbach-Institut fragt die Deutschen seit 1950 nach ihrer Lebenszufriedenheit, und wissen Sie was? Seit 1950 haben sich die Einkommen in Deutschland - und zwar die Realeinkommen ohne Inflation - ungefähr verfünffacht. Und wissen Sie, was die Lebenszufriedenheit der Deutschen getan hat? Die ist ganz genau gleich geblieben. Und ich glaube, einen schlagenderen Nachweis dafür, dass mehr Wohlstand nicht mehr Wohlbefinden bringt, den kann es überhaupt nicht geben.
Brink: Stefan Klein, Autor des Buches "Die Glücksformel". Schönen Dank, Herr Klein, für das Gespräch.
Klein: Sehr gerne.
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