Wohnen auf Gräbern?

Berlin ist knapp bei Kasse. Deshalb erwägt die Stadt, Friedhöfe in Parkanlagen oder in Bauland umzuwandeln.
Knubbe: "Die Gräber sind alle abgelaufen, also: schon lange, lange! Hier, bei Fragmenten kann man ja noch sehen, das Sterbedatum: 42. Ja, gemäht und die Sämlinge rausgezogen, aber aufgrund der Personalsituation ist es leider nicht möglich alles in so einem Zustand zu haben, wie man es gern hätte."

Der Friedhof Baumschulenweg in Berlin Treptow ist ein Urnen-Friedhof; Wiesen und lichter Kiefernbestand, weit verstreute kleine Gräber, wenig Schmuck – extravagant nur die überlebensgroße weibliche Skulptur des Bildhauers Fritz Cremer. Sie trauert um die 2300 ermordeten Häftlinge aus den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen, die in Waggons hierher geschafft und verbrannt wurden.
Das Krematorium von damals steht nicht mehr, statt seiner wurde in den 90er-Jahren ein hochmodernes Gebäude der Stararchitekten Axel Schulte und Charlotte Frank errichtet – für 60 Millionen Mark.

Knubbe: "Wat der Bürger dazu sagt, behalt ich jetzt lieber für mich."

... meint Jutta Knubbe von der Friedhofsverwaltung Treptow-Köpenick. Sie gehört nämlich zu den ersten Verwaltungen, die Pläne des Berliner Senats in die Tat umsetzen, die Friedhofsflächen zu verkleinern.
Denn das Weite, Leere an diesem Friedhof ist symptomatisch: Als vor 100 Jahren vor der Stadt die Großfriedhöfe Stahnsdorf und Ahrensfelde mit S-Bahnverbindung angelegt wurden, da herrschte in Berlin Platzmangel für die Toten. Heute ist die Sterberate stark gesunken; der Trend geht zur Urnen-, Wald- oder gar anonymen Bestattung. 300 Hektar innerstädtischer Friedhofsflächen werden nicht mehr genutzt. Langfristig wird der Überschuss auf 700 Hektar anwachsen. Daher hat 2006 der Berliner Senat den sogenannten Friedhofsentwicklungsplan beschlossen. Beate Profé, Referatsleiterin für Freiraumplanung beim Senator für Stadtentwicklung kümmert sich darum, das Vorhaben voranzubringen.

Profé: "Wir haben gerade abgeschlossen im letzten Jahr ein kleines Projekt, anhand von vier ausgewählten Friedhöfen haben wir das gemacht, zwei aus landeseigener Trägerschaft in Steglitz-Zehlendorf, und zwei Friedhöfe der evangelischen Kirche, und haben das noch mal sehr genau, Schritt für Schritt und vor allen Dingen auch kostenmäßig das Ganze noch mal dargelegt, was heißt das eigentlich wenn ich einen Friedhofsteil - im Regelfall sind das ja Friedhofsteile - stilllege."

Dabei geht es um Geld – eine ganze Menge Geld: 1,7 Millionen Euro jährlich könnte langfristig die Stadt sparen, allein durch die Umwandlung der Flächen von "Friedhof" in "öffentliche Grünanlage", denn ein Park ist wesentlich weniger Pflege intensiv als so ein Friedhof mit seinen vielen kleinen Flächen und Wegen, mit Wasserhähnen und Abfallbeseitigung.
Fallen nun also sogar die Toten Berlins Finanzknappheit zum Opfer?

Profé: "Wenn man sich eben Stadtentwicklung vor Augen führt, die Kirchhöfe waren rund um die Kirche, dann wuchsen die Städte, dann kamen auch hygienische Anforderungen, dann wanderte die Stadt nach außen und die Friedhöfe wurden insgesamt nach außen gelegt. Und das was rund um die Kirche existiert hat, ist verschwunden. Und dann wanderten die Friedhöfe auch immer weiter – wir haben den sogenannten Kleingarten- und Friedhofsring, eine Ansammlung von Friedhöfen so am Innenstadtrand, wo sie dann im 19. Jahrhundert und auch Anfang des 20. Jahrhunderts hinverlegt worden sind sozusagen im Zuge der dynamischen Stadtentwicklung Berlins. Und wenn jetzt am Alexanderplatz eine Tiefgarage gebaut wird, dann findet man Reste eines Friedhofs. Also das ist nichts ganz Neues. Es hat Straßenbauprojekte gegeben die über Friedhöfe hinweg gegangen sind."

Viel hat sich noch nicht getan seit dem Beschluss. Die Sache ist langwierig und auch heikel, vor allem, wenn sogenannte "pietäts-befangene" Flächen sich in einem ansonsten weitgehend leeren, verwilderndem Friedhofsteil befinden – das heißt: Dort sind noch Gräber aus jüngerer Zeit und auch noch Angehörige, die Rechte darauf halten. Den Testlauf darf jetzt die Friedhofsverwalterin Jutta Knubbe in Treptow-Köpenick machen.

Knubbe: "Ja, also die Sache ist so, dass wir mit der Umsetzung sofort begonnen haben, wir haben als der Friedhofentwicklungsplan bestätigt wurde gleich festgelegt mit einem Bezirksamtsbeschluss, dass Teilstücke geschlossen werden. Das heißt, der Friedhof bleibt erhalten aber es finden dort keine weiteren Beisetzungen statt. Und – es gab natürlich eine ganze Menge Aufruhr unter den Leuten zuerst, aber in der Zwischenzeit können alle damit gut umgehen. Die Nutzungsberechtigten, die jetzt noch relativ kurzfristige Gräber zu laufen haben, haben ja die Möglichkeit im Rahmen der Gesetzgebung diese umzusetzen, sich eine neue Grabstelle zu suchen, wird auch sehr viel Gebrauch von gemacht."

Die Kosten der Umsetzung trägt der Bezirk – weil er sie ja auch veranlasst. Dennoch: Es handelt sich um eine Exhumierung, eine Störung der Totenruhe. Nicht jeder Angehörige ist darüber froh.

Knubbe: "Eine Gesamtschließung haben wir, das ist der Friedhof in Hessenwinkel, da gab es eine Menge Diskussionen mit den Bürgern vor Ort, aber wir haben uns davon nicht irritieren lassen, es ist ja nicht so, dass jeder einen Friedhof vor der eigenen Haustür haben muss; wir bieten andere Friedhofsflächen an in Rahnsdorf, das ist vielleicht drei Bushaltestellen entfernt von Hessenwinkel und da haben die Bürger die Möglichkeit dort beizusetzen."

Die Friedhofsverwalterin hat selbst Angehörige auf einer der betroffenen Flächen. Sie versteht die Gefühle der Betroffenen, aber sie muss sehen, dass sie die Anweisungen umsetzt.

Knubbe: "Ja, das ist eine Gradwanderung. Ich versteh es zwar einerseits hinsichtlich der Minimierung der Kosten, denn es ist ja so, dass das Geld immer weniger wird und wie soll man das dann alles bewerkstelligen? Man möchte die Gebühren nicht verändern, weil die sind schon in einer Größenordnung, da müssen viele Bürger ganz schön sich anstrengen, um die zu bezahlen, das sehe ich anhand der Zahlungsmoral."

Verhandlungsbedarf besteht noch beim Punkt "sonstige Nutzung". Hinter diesem nebligen Begriff verbirgt sich die Möglichkeit, wertvolle Innenstadtflächen zu verkaufen und gegebenenfalls zu überbauen.
Das hätte die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg vor zwei Jahren gerne getan, und zwar im Bezirk Berlin Pankow. Konsistoriumspräsident Ulrich Seelemann, ein früherer Richter mit Erfahrung in Finanzgeschäften hätte das für sinnvoll gehalten.

Seelemann: "Der größte Teil dieser Fläche war noch nicht pietätsbefangen. Der war zwar als Friedhof gewidmet, da ist aber noch nie jemand begraben gewesen. Und diese Fläche, für die die Anwohner sich so eingesetzt haben, war eigentlich eine ganz normale Grünanlage. Nun ist es nicht Sache von uns als Kirche Naherholungsflächen für die Bevölkerung vorzuhalten, sondern Friedhöfe zu betreiben, und da kam dann das Problem und diese Auseinandersetzug hin: Wir sagten, diese Flächen brauchen wir nicht, wir brauchen aber eine sinnvolle Vermarktung dieser Flächen um mit dem Erlös unsere historischen Friedhöfe weiter auch halten zu können."

Ein schmaler Streifen am Rand des Friedhofs sollte an einen Bauträger verkauft werden. Doch als der Plan bekannt wurde, gab es heftige Proteste von Anwohnern, über 5000 Unterschriften wurden gesammelt. Der Bezirk verweigert bis heute die Baugenehmigung.

Seelemann: "Nun liegt diese Fläche wieder brach. Das einzige, das wir nicht machen werden, dass wir dort auf Kosten des Friedhofs, also letzten Endes auf Kosten auch – weil der Friedhof das nicht erwirtschaften kann – der Kirche: eine gepflegte Parkanlage für Anwohner bereit halten. Die Fläche wird also bis jetzt erst mal brach liegen bleiben und die Gemeinde hat als Verkehrssicherungspflichtige den Durchgang gesperrt, das wurde nämlich auch gerne genommen zur Abkürzung, zum Fahrrad fahren, zum laufen, zwischen den beiden großen Straßen von der Prenzlauer rüber hier zur Greifswalder Straße, da sagen wir: das kann auch nicht unsere Aufgabe sein, da den Weg zu unterhalten."

Der evangelische Friedhof Georgen Parochial III besteht seit 1878. Die Umgebung ist Großstadt vom Härtesten: Der Verkehr braust durch Beton-Dschungel. Sobald man das Friedhofstor passiert, tritt man in eine andere Welt: hohe Bäume beschatten Gräber, wie sie heute nicht mehr angelegt werden: trauernde Engel, Steinurnen, Marmor, schmiedeeiserne Gitter mit Rankenmotiven – je weiter man nach hinten geht, in den ältesten Teil, desto größer und prächtiger werden die Grabmäler, hier gibt es Mausoleen wie auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise.

Jastrzembski: "Hier gibt es auch Katzen. Es gibt tatsächlich hier auch Katzen. Das wollte ich Ihnen noch zeigen: Also es gibt da eine Treppe, die nach unten führt und die tatsächlich in die Begräbnisstätte, die unterirdisch ist, führt."

Eine Bierbrauerfamilie hat sich eine kleine Akropolis errichten lassen für ihre geliebten Toten, ein "sehr geheimer Kommerzienrat" liegt in einem ägyptisierenden Monstrum. Der morbide Charme solcher Stätten zieht Interessenten verschiedenster Couleur an.

Jastrzembski: "Es gab vor kurzem eine Anfrage in Görlitz auf dem Friedhof ein Gothic-Festival durchzuführen und ich habe das natürlich ablehnen müssen."

... erzählt Pfarrer Volker Jastrzembski und kaum biegen wir um die nächste Ecke, da sehen wir vor uns drei schwarzgekleidete junge Männer: Ein Fotograf, ein Beleuchter und ein Model, das für Gothic-Mode posiert.

Modell: "Wir versuchen, was Schönes zu machen und ich finde das eigentlich was Schönes, ich glaub' ja dran, dass da immer noch irgendwie Energie ist und ich fühl mich immer wohl da. Mir tut das eigentlich ganz gut. Und ich frag auch, ob es erlaubt ist, kurz da zu sitzen... wenn ich mich da hin setze, frag ich auch, ob ich hier kurz sitzen darf und dann stehe ich auf und dann danke ich auch."

Nicht alle Nutzer des Friedhofs sind so sensibel: Es werden Hunde Gassi geführt – nicht immer folgenlos, und am Wochenende wird schon mal gegrillt. – Die schönen historischen Grabstätten werden teilweise noch gepflegt, teils verfallen sie. Die Kirche würde sie gerne erhalten, sieht sich dazu aber aus Geldmangel nicht in der Lage.

Seelemann: "Zurzeit können wir nicht weiter, es ist die Frage, wir haben das auch noch nicht geklärt, ob aus diesem Friedhofsentwicklungsplan nicht auch unmittelbar Ansprüche gegenüber dem Land erwachsen, die dann das Land notfalls gegen den Bezirk durchsetzen muss. Wir haben einen Vertrag mit dem Land Berlin aber nicht mit dem Bezirk und das Land Berlin muss auch drauf achten, dass es die Verpflichtungen, die es uns gegenüber eingegangen ist, auch erfüllen kann."

So der Konsitorialpräsident und Jurist. Beate Profé vom Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz sieht das Problem der evangelischen Kirche.

Profé: "Da teilt sie das Schicksal auch mit anderen Grundstückseigentümern, die große freie Flächen (haben), die sie nicht bebauen dürfen. Da ist sie nicht die Einzige, kein Mensch in diesem Land hat das Recht von sich aus zu sagen: Ich kann tun und lassen mit meinem Eigentum, was ich will. Es gibt da eine Sozialverpflichtung, die Abwägung der privaten und öffentlichen Belange, so sieht es das Baugesetzbuch vor, sodass die evangelische Kirche da erst mal nun das Problem hat, dass sie es nicht bebauen darf."

Seelemann: "Ich glaube, man sollte jetzt auch erst mal im wahrsten Sinne des Wortes etwas Gras drüber wachsen lassen, zurzeit sind die Fronten so verhärtet, dass es keinen Sinn hat gegeneinander zu gehen, wir haben da auch kein Interesse im Dauerstress mit den Anwohnern zu liegen, weil sie den Eindruck haben, Kirche würde ihnen was wegnehmen, oder ihnen was Böses wollen."

Und welche Rolle spielen eigentlich in dem Streit die eigentlichen Bewohner der Friedhöfe? Auf jüdischen Friedhöfen zum Beispiel gibt es solche Um- und Wiederverwertungen nicht. Stella Schindler-Siegreich ist von den christlichen Sitten diesbezüglich leicht befremdet.

Schindler: "Ein jüdischer Friedhof ist für die Ewigkeit, und man soll auch keine Bäume absägen, auch keine Bepflanzungen aus einer alten Tradition: Man kann keinen Nutzen aus einem fremden Eigentum haben, denn der Grabplatz und der Grabstein sind Besitz des Verstorbenen, bis der Messias kommt. Wenn man etwas pflanzt, dann könnte ich daraus Nutzen ziehen und das darf ich nach jüdischem Verständnis nicht haben von einem fremden Eigentum. Diese Totenruhe ist etwas, was sehr wichtig im Judentum ist, das ist ein sehr wichtiges Prinzip."

Was sagt da das evangelische Bekenntnis?

Seelemann: "Also wir haben zwar auch die Auferstehungshoffnung, die bezieht sich aber nicht unmittelbar auf die Körperreste, die noch da sind. der Körper zerfällt: Asche zu Asche heißt es in dem evangelischen Beerdigungsritus, das heißt, irgendwann ist nichts mehr da, davon gehen wir aus und dann muss man auch diesen Platz nicht mehr schonen. Das ewige Leben ist das ewige Leben der Seele."

Stefan Foerner, Pressesprecher des Erzbistums Berlin bekommt immer noch Anfragen von Gemeindemitgliedern, ob man sich als katholischer Christ verbrennen lassen darf.

Foerner: "Eine lange Zeit gab es dieses Verbot tatsächlich, dass man gesagt hat, man soll den Leichnam eben nicht in dieser Weise zerstören, für eine Auferstehung mit Leib und Seele, dass das auch noch funktionieren kann, das ist aber inzwischen keine Thema mehr, also eine Urnenbestattung ist auch für einen Katholiken ganz problemlos möglich."
Wie sollte dann der Leib auferstehen?

Foerner: "So konkret, so bildlich darf man es sich nicht vorstellen, wenn von einer Auferstehung mit Leib und Seele die Rede ist. Wir glauben schon dass mehr von einem Menschen bleibt als so ein logos – Gedanke – wie das im Griechischen mal geheißen hat, wir glauben, dass der Mensch mit der Geschichte, die er hatte, mit den Verletzungen, die er erlebt hat, mit all dem Schönen, das er erlebt hat, dass dieser Mensch weiterlebt, dass es für den ein ewiges Leben bei Gott gibt. Das ist das, was wir uns für die Menschen wünschen und wovon wir im Glauben auch ausgehen. Und zwar nicht nur eine Nummer, die dann irgendwie wieder einsortiert wird in eine Schublade, oder irgendwie wieder zurückkommt oder so, sondern ein Individuum, ein ganz einzelner, persönlicher Mensch an den man sich eben auch in dieser Form erinnern kann."

Der alte Domfriedhof der St.Hedwigsgemeinde wurde 1834 geweiht. Hier gibt es relativ schmucklose neuere Grabstellen, aber auch Zeugnisse Berliner Grabmalskunst aus Klassizismus, Gründerzeit und Jugendstil. Auch die Katholische Kirche hat in der Geschichte schon mehrfach Begräbnisflächen aufgelassen und der "sonstigen Nutzung" zugeführt, zum Beispiel einen Friedhof vor dem Oranienburger Tor, auf dem die Katholische Akademie mit Tagungsstätte und Hotel gebaut wurde. Aktuell gibt es aber keine Pläne, Friedhofsflächen zu verkaufen.

Foerner: "Wir sind gerade dabei zu prüfen, wie man das einigermaßen ökonomisch verträglich machen kann. Also wie man da ein vernünftiges Verhältnis von Personal, das auch notwendig ist zur Pflege auch zum alltäglichen Betrieb, zu Beerdigungen und so weiter, wie man das so reduzieren kann, dass es dennoch möglich ist, diese Orte zu erhalten. Derzeit ist es tatsächlich so, dass das ein Defizitgeschäft ist."

Es wird mit ABM-Kräften gearbeitet. Nicht alle Teile des Friedhofs sehen ordentlich aus. Wir kommen an einem jungen Wäldchen vorbei, wo zwischen Brennnesseln, Ahorn und Birken Grabsteine hervor scheinen, schief und Efeu überwuchert.

Foerner: "So ein Friedhof leistet hier noch mal eine wesentlich längere Erinnerungsarbeit. Ich glaube, diese Verpflichtung hat gerade Kirche, wenn sie diese Friedhöfe hat, dann auch, zu sagen diese Orte müssen nach Möglichkeit erhalten bleiben. Und es wird sicherlich nicht weiter gepflegt, in der Weise wie es vorher gepflegt wurde, aber es ist mir nicht bekannt, dass man dann wirklich so rabiat sagen würde , so, jetzt ist Schluss und jetzt wird es sofort frei gemacht für ein anderes. Sie sehen es ja auch hier: man muss hier nicht ohne Not Fakten schaffen, das Platzargument gibt's ja hier nicht."

Nun hat die römisch-katholische Kirche auch ein kleineres Problem: Sie hält nur knapp fünf Prozent der Berliner Friedhofsfläche – die evangelische Kirche dagegen über 40 Prozent, das Land 55. Dennoch gibt es Gründe, Friedhofflächen zu erhalten, die über die Kosten-Nutzen-Rechnung hinausgehen. Auf dem St.Hedwigs-Friedhof hat man kürzlich überwucherte Gräber wieder herrichten lassen und neue Grabsteine aufgestellt.

Foerner: "Meines Wissens war der Anlass, dass tatsächlich Angehörige kamen aus Osteuropa und sagten – gebrochen deutsch sprechend – wir wissen: einer unserer Vorfahren, der war im Zweiten Weltkrieg in Berlin als Zwangsarbeiter, der ist hier auch gestorben und der ist hier begraben. Könnt ihr uns zeigen, wo? Und dann ist man halt irgendwann mal losgegangen, hat den Weg hier auch wieder richtig gemacht und dieses Grabfeld wieder einigermaßen hergerichtet um zu sagen: hier war es in etwa. Es kommen tatsächlich noch viele hierher, erinnern sich an ihre Verstorbenen, wollen diesen Ort mal finden. Zeigt eben: Es kann halt oft sehr viel länger dauern, bis so ein Gedächtnisort wieder wichtig wird, als die Friedhofsordnung vorgibt."

Auch bei der evangelischen Kirche sind zunächst keine weiteren Bauprojekte geplant. Konsistoriumspräsident Ulrich Seelemann geht selbst gern an diese Plätze:

Seelemann: "Das ist spannend zu sehen auf verschiedenen Friedhöfen, es ist ein gutes Spiegelbild einmal der Gesellschaft, wie ging die Gesellschaft mit ihren Mitgliedern um und wie war das Verständnis eigentlich von Tod. Grabsteine können unendliche Geschichten erzählen, ich gehe deswegen regelmäßig auch zur Eröffnung des Tages des Friedhofs auf einen staatlichen Friedhof und erzähle den Menschen auch darüber wie sie diese Geschichten aufspüren können und wie sie diese Geschichten lesen können, die da geschrieben werden."

Auch die studierte Landschaftsplanerin Beate Profé würde sie nur zu gerne erhalten, wenn es nach ihr ginge und das Geld vorhanden wäre.

Profé: "Ich mag sie sehr gern und ich geh auch gern über Friedhöfe spazieren. Auch in anderen Städten und Ländern gehe ich gerne mir Friedhöfe angucken, weil sie ein Ausdruck von Kultur sind. Sie sind gerade in Berlin Orte, die sehr zur Erholung und Entspannung beitragen, Stadtgeschichte vermitteln und eine Ruhe und Beschaulichkeit vermitteln, die nicht alle städtischen Grünanlagen haben. Abgesehen, dass sie für manche Tiere und Pflanzen auch eine schöne Heimat bieten, wo sie ungestört leben können."

Den Trend zum anonymen Begräbnis bedauert sie sehr und nicht nur wegen der geringeren Einnahmen für die Stadt.

Profé: "Ich finde es nicht schön, dass dieses Anonyme ... weg irgendwie ... Und die Kunst und Kultur sowohl im Grün als auch im Steinmetzbereich ja da über die Jahrhunderte an den Tag gelegt, dass das so verschwindet. Dann ist da so 'ne Wiese ist und dann steht da manchmal – weil die Angehörigen das doch nicht mögen – ja doch irgendwie so mal eine einzelne Blume an der Stelle wo sie vermuten, dass dann da die Urne vergraben ist, dann ist das schon etwas, was ich sehr schade und bedauerlich finde. Und insofern wir gemeinsam mit der Kirche aber auch mit den Bezirksämtern daran arbeiten und versuchen, diese Friedhofskultur auch wieder ins Bewusstsein zu rufen und zu sagen: Friedhöfe sind tolle Orte dieser Stadt, lasst sie uns würdigen!"