Das private Umfeld wird wichtiger
Terror, Amok, Attentate - die Welt wird gefährlicher. Dann bleiben wir halt zuhause, sagen sich viele. Und damit wird auch die Frage nach der Einrichtung wichtiger, sagt die Wohnsoziologin Monika Kritzmöller.
Wenn die Welt draußen ungemütlicher wird, ziehen sich viele verstärkt in die eigenen vier Wände zurück. Dadurch werden auch Fragen der Gestaltung der Wohnung wichtiger.
"Wenn ich mich zuhause einigeln, zurückziehen will, dann investiere ich da natürlich", sagt die Wohnsoziologin Monik Kritzmöller, Gründerin des Forschungs- und Beratungsinstituts "Trends und Positionen".
Sensible achten mehr auf Formen und Materialien
Grundsätzlich hänge die Frage, wie und wie aufwendig man seine Wohnung einrichtet, aber von Persönlichkeitsfaktoren ab. Zum Beispiel von der "Durchlässigkeit" einer Person: "Was lässt diese Person überhaupt an sich ran? Wie viel nimmt die in sich auf? Wie viel spürt sie?"
Sensible Menschen achteten mehr auf Formen und Materialien, sagt Kritzmöller. Während wenn man so ein bisschen ein dickeres Fell hat, dann ist man da auch weniger, sag ich mal, anfällig dafür, dass man an kleineren Dingen sich aufhält, und dann kann man es auch ein bisschen lässiger angehen."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wenn man glaubt, die Welt um einen herum werde immer bedrohlicher, die Gefahren durch Krieg und Terror rückten immer näher, dann bleibt man gern zu Hause, sucht Schutz in der eigenen Wohnung. Aber ist es wirklich das Schloss an der Tür, das für Sicherheit und Geborgenheit sorgt, und sind es doch nicht eher die vertrauten Dinge, die uns zu Hause umgeben? Wie wirkt sich deshalb quasi die Weltlage oder zumindest unsere Empfindung dieser Lage auf den Wohnstil aus? Das ist eines der Themen von Monika Kritzmöller, sie ist Sozialwissenschaftlerin und Gründerin des Forschungs- und Beratungsinstituts Trends und Positionen. Schönen guten Morgen, Frau Kritzmöller!
Monika Kritzmöller: Ja, schönen guten Morgen!
Kassel: Wodurch wird denn überhaupt bestimmt, wie sich jemand einrichtet?
Kritzmöller: Also, wenn man es jetzt ganz allgemein fasst, von einer, wie ich es nenne, Durchlässigkeit einer Person – was lässt diese Person überhaupt an sich heran, wie viel nimmt die in sich auf, wie viel spürt sie, wie sensibel sie ist –, und wenn diese Sensibilität sehr hoch ist, dann wird diese Person natürlich wesentlich stärker, wesentlich kritischer auf irgendwelche Materialitäten achten, wesentlich genauer auf Formen schauen, während, wenn man so ein bisschen ein dickeres Fell hat, dann ist man da auch weniger, sage ich mal, anfällig dafür, dass man an kleineren Dingen sich aufhält. Und dann kann man es vielleicht auch ein bisschen lässiger angehen oder geht man es ein bisschen wurschtiger an. Das Zweite sind natürlich die Lebensumstände, wie viel bin ich denn unterwegs, möchte ich gern nach draußen gehen, spielt sich mein Leben sehr stark in der Öffentlichkeit ab, suche ich den Rückzug in der Wohnung? Und da ist es natürlich auch klar: Wenn ich mich ja zu Hause einigeln, zurückziehen will, dann investiere ich da natürlich.
Schutzraum Wohnung gewinnt an Bedeutung
Kassel: Wird denn in Zeiten wie diesen, wo es große Unsicherheit gibt – bei vielen Menschen zumindest wird das so empfunden, was die Weltlage angeht, bei manchen auch wirtschaftliche Unsicherheit –, wird da das Wohnen, wird da wirklich dieser Schutzraum wichtiger?
Kritzmöller: Mit Sicherheit. Und gerade auch die greifbaren Dinge. Denn wir leben ja in einer Bilderwelt und all diese Schrecklichkeiten, die uns jeden Tag erreichen, wo man schon fast fürchtet, was passiert heute wieder, das kriegen wir ja medial mit, das kriegen wir über Bilder mit. Zum Glück, sage ich mal, sind wir in der Regel nicht vor Ort und sehen und spüren das live. Wir werden also mit Bildern enorm überfrachtet, was natürlich auch bei positiven Dingen schön sein kann, dass ich sehr viele schöne Dinge auch zeigen kann.
Aber das sind alles Dinge, die nicht wirklich bei mir, nicht wirklich greifbar sind für mich. Während das, was ich auf Armlänger in meiner Wohnumgebung habe, das ist wahr, das ist greifbar. Da weiß ich, das kann ich anfassen und dann das auch verifizieren. Das machen wir ja auch, wenn wir was mit unseren Augen sehen und es nicht glauben, dann wollen wir das berühren. Und diese Berührung, die ist dann noch mal so eine Selbstvergewisserung auch.
Kassel: Das würde aber für mich jetzt bedeuten, dass billige Materialien – Plastik, irgendwelche Dinge, die nur aussehen sollen wie Holz und es gar nicht sind – dann jetzt eher weniger angesagt sind und auch wieder viele natürliche Materialien, die man im wahrsten Sinne des Wortes auch gerne anfasst?
Kritzmöller: Ja, kann ich zu 100 Prozent zustimmen. Man sieht es ja auch im Trend bei der Nahrung: Man fragt wieder viel mehr nach, wo kommt etwas her, was steckt da dahinter? Und diese, sage ich mal, Faking-Industrie, die hat sich eigentlich so schön im Einklang mit dem Konsumenten so nach und nach hochgeschaukelt. Man möchte etwas, was irgend gut aussieht, einen guten Eindruck macht, möchte nicht viel dafür bezahlen, dann bekommt man natürlich das geliefert, was man möchte, what you pay is what you get, und dann freut sich natürlich der Anbieter, der für sehr wenig Substanz dann doch noch eine ordentliche Marge verlangen kann.
Und so hat sich das Ganze langsam so ein bisschen verselbstständigt in eine auch Ungreifbarkeit, auch Undurchlässigkeit, solche Materialien, die sprechen ja nicht wirklich zu einem, die fasst man nicht wirklich gut an, wenn es irgend so ein Plastikfurnier auf einer Tischplatte ist, da ruht man nicht mit den Händen drauf und hat irgendwie das, wenn es auch nur subtile Gefühl ist, das ist irgendwie gut da, da möchte ich bleiben. Und das hat so wie so ein bisschen abgehoben und kommt jetzt – das ist meine Beobachtung – stärker wieder auf den Boden zurück, dass man sagt, man sucht diese Substanz. Voll kriege ich ja meine Wohnung auch mit irgendwelchem Billigkram, aber das ist dann nicht das, was sie auch ein Zuhause macht.
Jeder Mensch hat die Einrichtung, die er verdient
Kassel: Nun sagen natürlich viele Leute auch, früher war alles besser. Die Welt war übersichtlicher, die Gefahren waren weiter weg. Wirkt sich das auch insofern auf den Wohnstil aus, dass moderne gar, sogar vielleicht futuristische Einrichtungen im Moment nicht so angesagt sind und eher doch das Traditionelle?
Kritzmöller: Das würde ich jetzt nicht unbedingt so sagen. Wir leben ja in der Gegenwart und auch die Gegenwart hat ihre positiven Seiten, ihre Freiheitsgrade. Aber ich muss natürlich die Gegenwart mit einer Formensprache dann auch belegen, also nicht nur irgendwelche futuristischen Dinge um mich scharen, sondern wirklich auch Formen, die eine Botschaft haben, die Substanz haben auch. Und dann ist das sehr wohl eine Antwort auf gegenwärtige Fragestellungen. Aber das Ganze muss natürlich eine entsprechende Tragfähigkeit auch in der sinnlichen Qualität haben.
Kassel: Wie weit ist denn so eine Wohnung nun wirklich, wie man so schön sagt, das Schaufenster der Persönlichkeit? Wenn Sie jetzt – und das ist erst mal keine Vereinbarung zwischen uns beiden –, aber wenn Sie jetzt in meine Wohnung kämen, würden Sie dann sehen, das ist einer, der ist gerne draußen unterwegs, macht gerne Urlaub, isst und trinkt gerne sehr viel und spricht sehr viel?
Kritzmöller: Das kann ich mit Sicherheit. Ich habe über weite Teile meiner wissenschaftlichen Tätigkeit über Wohnungseinrichtungen geforscht und man hat ja immer so die Dinge, die man – in Anführungszeichen – verdient. Das heißt, wenn ich mich gerne leger hinsetze, dann habe ich auch Sitzmöbel, wo ich mich eben locker hinfläzen kann, wenn ich ein sehr akkurater Mensch bin, dann sind das eher Stühle, die auch eine aufrechte Haltung haben. Die Erinnerungsdinge, die ich um mich schare, die zeigen, ob ich jetzt eher eine sentimentale Seele bin oder doch dann eher distanziert bin, ob ich gerne Dinge aufhebe oder lieber sage, das alte Zeug, das schmeiße ich weg, das belastet mich ja nur. Und so kann man wirklich sehr, sehr viel in Wohnungen ablesen.
Kassel: Und wenn bei mir 80 Prozent der Wohnfläche Gelegenheit zum Kochen und Essen geben, sagt das eine Menge, gebe ich zu. Herzlichen Dank, dass …
Kritzmöller: Das macht Sie mir sympathisch!
Kassel: Die anderen 20 Prozent sind sehr kühl. Das war Monika Kritzmöller, sie ist – ich nenne sie jetzt mal einfach so – Wohnsoziologin und Gründerin des Forschungs- und Beratungsinstituts Trends und Positionen. Und mit ihr haben wir überwiegend ernsthaft darüber geredet, wie die aktuelle Weltlage auch unsere Einrichtungen beeinflusst. Frau Kritzmöller, vielen Dank für das Gespräch!
Kritzmöller: Danke schön, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.