Älteste Sozialsiedlung der Welt
Die Fuggerei interessiert Menschen auf der ganzen Welt. Über 200.000 Menschen reisen extra nach Augsburg, um sich ein Bild von dieser Sozialsiedlung zu machen. © imago / PantherMedia / Konstantin Yolshin
In der Fuggerei wohnen für 88 Cent im Jahr
07:50 Minuten
500 Jahre ohne Mieterhöhung. So etwas gibt es nur in der Augsburger Fuggerei, gegründet vom reichen und gläubigen Kaufmann Jakob Fugger. Wohnen darf dort aber nur, wer bedürftig und katholisch ist - und als Gegenleistung drei Gebete am Tag spricht.
„Das 'Vaterunser,' das 'Gegrüßet seist Du, Maria' und das Glaubensbekenntnis“, zählt Karolina Lenzgeiger die drei Gebete auf, die sie einmal am Tag sprechen muss, um hier wohnen zu können. Seit zwei Jahren lebt sie nun schon in der Fuggerei. Ob die Gebetspflicht eingehalten wird, kontrolliert natürlich niemand, doch Lenzgeiger sagt: „Ich tue das schon - ein bisschen als Dankeschön, dass ich die Möglichkeit habe, hier zu wohnen, und auch weil es gute Gedanken sind.“
Siedlung für Tagelöhner und Handwerker
Wenige Fußminuten vom Augsburger Zentrum entfernt liegt der Stadtteil Jakobervorstadt-Süd. Vor 500 Jahren lebte hier die sozial niedrigste Schicht - Handwerker und Tagelöhner, die wegen wirtschaftlicher Notlage oder Krankheit keine andere Wohnung fanden.
„Not war im 16. Jahrhundert noch sehr viel prekärer und absoluter. Damals gab es schon eine sehr ausgefeilte Armenfürsorge, aber zu der Zeit, als die Stiftung errichtet wurde, war es so, dass die Stadt Augsburg Habenichtse am Stadttor abgewiesen hat“, sagt Wolf-Dietrich Graf von Hundt, der Administrator der Fuggerschen Stiftung. „Wer nichts hatte und von dem bekannt war, dass er nichts hatte, der kam gar nicht in die Stadt rein.“
Heute leben 150 Menschen in 67 Häusern
Diese Situation bewegte den gläubigen und reichen Augsburger Kaufmann Jakob Fugger so tief, dass er 52 Wohnungen in den ersten sechs Gassen stiftete:
„Ich, Jakob Fugger, Bürger zu Augsburg, bekenne mit diesem Brief, der armen Leute Häuser am Kappenzipfel als Stiftung zu vollenden und die Nachfahren auf ewig mit der Vollstreckung zu verpflichten“, heißt es in der Stiftungsurkunde vom 23. August 1521.
Die Fuggerei wuchs schnell. Schon 1521, im Todesjahr Jakob Fuggers, umfasste die Anlage 52 Häuser. Heute verteilen sich 150 Menschen auf 67 zweigeschossige Häuser.
Älteste Sozialsiedlung der Welt
Miriam Sirch, Mitarbeiterin der Fuggerschen Stiftung, die noch heute die Fuggerei finanziert, führt durch die Gassen: „Wir stehen in der sogenannten Herrengasse. Das ist quasi die Hauptstraße der Fuggerei, von der sich die anderen Straßen abzweigen. Hier haben wir zum Beispiel die Finstere Gasse. Man sagt Finstere Gasse, weil es ein bisschen finster ist, also wenig Licht reinkommt.“
Die Fuggerei ist die älteste Sozialsiedlung der Welt. Hier wohnen zu dürfen, ist seit 500 Jahren an Bedingungen geknüpft. Nicht nur die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche ist wichtig, Voraussetzung ist ebenso, dass man in Augsburg lebt und bedürftig ist.
Besonders in diesen Zeiten ist der Run auf eine solche Wohnung groß. Aktuell gibt es über 100 Berechtigte auf eine Wohnung. Doch schon der Antrag auf eine Wohnung ist nicht leicht, sagt Wolf-Dietrich Graf von Hundt:
„Ganz wichtig ist, dass Sie zu uns kommen, am liebsten live. Dann gibt es ein Gespräch mit den Sozialpädagogen bei uns, die erst einmal das grundsätzliche Setting prüfen. Dann schauen die auch: Gibt es neben der reinen finanziellen Bedürftigkeit weitere Bedürftigkeiten. Das heißt: Wird man gerade aus seiner Wohnung rausgeklagt? Droht Obdachlosigkeit?“
Holz sichert das Stiftungsvermögen
3000 Hektar Waldbesitz sind die Grundlage für das Stiftungsvermögen der Familie Fugger seit 500 Jahren. Das Holz wird unter anderem an Baubetriebe, Schreinerwerkstätten und Möbelfirmen verkauft. Doch auch Kiesabbau, Windenergie, Weihnachtsmärkte und Liegenschaften dienen dem Erhalt des Stiftungsvermögens.
Damit wird die Instandhaltung der ockerfarben gestrichenen Häuser und der Figuren der schützenden Hausheiligen davor finanziert. Ebenso das Administrationsgebäude, der Pumpbrunnen, zwei Museen, die sich dem Alltag der Bewohner widmen, das Markusplätzle mit Biergarten, eine Krankenstation, etliche Sitzbänke, die den Bewohnern vorbehalten sind, und die zur Anlage gehörende eigene St. Markuskirche.
„Die Kirche in der Fuggerei ist keine Pfarrkirche. Sie hat einen besonderen Status. Die Stelle hier nennt man eigentlich offiziell Messpriesterstelle, das heißt: In dieser Kirche soll ein Priester die Messe für die Fuggereibewohner halten, mit ihnen feiern“, erklärt Pfarrer Jacek Wywich.
Die Decken sind niedrig, die Durchgänge klein
Mit etwas Scheu, doch nicht ohne Stolz, zeigt Karolina Lenzgeiger ihr kleines Zweizimmerreich in der Fuggerei. Frau Lenzgeiger war lange, bevor sie hier einzog, krank. Die Krankheit fraß ihre Ersparnisse auf, deshalb kam sie zur Fuggerei: „Sie sehen schon, die Treppe ist etwas steiler. Jetzt gehen wir mal in die Küche. Hier habe ich den Blick nach hinten raus, in den Park.“
Die Decken sind niedrig, die Durchgänge klein. Die Menschen des Mittelalters waren nicht groß. „Und Sie sehen, dass das hier eine alte Tür ist. Und das Schöne ist auch: Die Fenster sind rund. Man kann hier durchgehen und kommt wieder in den Garten.“
200.000 Besucher im Jahr
„Ich finde es wichtig, dass das hier erhalten ist, um es einfach der Nachwelt zur Verfügung zu stellen, um die Intention und den Zweck dahinter zu zeigen, und eben auch die Geschichte weiterzugeben“, sagt einer der jährlich 200.000 Fuggerei-Besucher, die aus aller Welt kommen und mehrsprachig durch die Gassen geführt werden.
„Klar muss man schauen, dass es nicht nur so ein Prestigeakt ist für die Besitzenden. Dass die Sozialsiedlung bis heute besteht, zeigt ja auch, dass es funktionieren kann, wenn die Habenden bereit sind, zu geben“, sagt ein anderer. Und ein Dritter: „Das ist ein architektonisch schöner Ort und er ist so schön verspielt ist mit den Plätzen.“
„Die Fuggerei schließt um 22 Uhr und öffnet um 6 Uhr morgens. Man kann das Nachttor mit dem Nachtwächter nur durchschreiten, wenn man bis Mitternacht 50 Cent zahlt. Danach kostet der Durchgang einen Euro", erklärt ein Fremdenführer.
Freiheit, Würde und Augenhöhe
Doch nicht nur die auch in Augsburg akute Wohnungsnot und die fehlenden finanziellen Mittel bei vielen Wohnungssuchenden machen die Fuggerei so attraktiv, sagt Wolf-Dietrich Graf von Hundt:
„Es ist auch die Freiheit, hier sein Ding machen zu können. Dass ich für eine minimale finanzielle und natürlich auch eine spirituelle Gegenleistung hier wohnen kann, hat auch sehr viel mit Würde und Augenhöhe zu tun.“