Bremens bekannteste Greisen-Kommune
Der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf, seine Frau und acht Freunde beschlossen mit 50, gemeinsam alt zu werden. 30 Jahre später leben sie immer noch zusammen. Keiner von ihnen hat die Entscheidung bereut.
"Günther, Du bist tohooot!", ruft Luise Scherf durchs Treppenhaus.
Gleich rechts hinter der Eingangstür der Hausgemeinschaft in der Rembertistraße in Bremen hängt eine kleine Magnettafel mit einer Tabelle. In einer Spalte die Namen der Hausbewohner, in der anderen Spalte die Wochentage. Luise Scherf hat sich die Tafel ausgedacht. Jeder Hausbewohner schiebt morgens seinen Magnetknopf auf den aktuellen Wochentag und zelebriert so seine Wiederauferstehung, wie die Bewohner sagen.
Im ersten Stock des Hauses liegt die Wohnung von Luise und Henning Scherf. Henning Scherf war von 1995 bis 2005, zehn Jahre lang Bürgermeister in Bremen. Er ist über zwei Meter groß, und sein Händedruck dauert drei Mal so lang wie eine gewöhnliche Begrüßung. Seine Frau ist da viel norddeutscher, zurückhaltender. In ihrer Küche sitzen an diesem Wintermorgen vier von insgesamt acht Hausbewohnern. Auch Günther übrigens. Er ist quietschlebendig, hatte nur vergessen, seinen Magnetknopf zu verschieben. Es gibt Mandarinen, Walnüsse und Tee.
Ein Bauernhaus auf dem Marktplatz
Alle vier sind um die 80 und leben nun schon 30 Jahre in derselben Hausgemeinschaft − Bremens bekanntester Greisen-Kommune. Mit 50 beschlossen sie, gemeinsam alt zu werden. Die größte Hürde dabei war, ein passendes Haus für alle zu finden, erinnert sich Henning Scherf:
"Alle wollten mitten in der Stadt wohnen, Luise hatte die Devise ausgegeben: Ein Bauernhaus auf dem Marktplatz. Aber das machen Sie mal, das geht ja nicht. Und dann haben wir nach langem, langem Hin und Her über einen Kollegen dieses Haus angeboten bekommen. Und da waren nicht alle dafür, weil das eine komplizierte Nachbarschaft ist."
Das Haus liegt in der Bahnhofsgegend in Bremen, unweit der Diskomeile und Drogenszene der Stadt. Henning Scherf hätte darin damals am liebsten eine riesige Wohngemeinschaft gegründet, mit gemeinsamer Küche für alle. Das fanden seine Mitstreiter aber keine gute Idee, erinnert sich Manfred Halbscheffel, der im Souterrain wohnt.
"Ich bin ein ziemlicher Chaot, und wenn man sich das in einem WG-Rahmen vorstellt, entweder hätte ich ein anderer Mensch werden müssen oder ich wäre rausgeflogen."
Gemeinsame Ferien in der Eifel
Also bekamen alle Parteien ihre eigenen Wohnungen, mit eigenen Küchen. Alles wurde von Anfang an altersgerecht geplant inklusive Aufzugschacht, der zugehörige Aufzug kam aber erst Jahre später. Jeden Samstag gibt es ein gemeinsames Frühstück, immer bei einem anderen Hausbewohner. Und das ist, abgesehen von den jährlichen Ferien in der Eifel, das einzige ritualisierte Treffen. Es käme auf die richtige Mischung aus Nähe und Distanz an, sagt Luise Scherf. Berührungspunkte gibt es dennoch genug:
"Wenn da einige im Garten sitzen und Kuchen essen oder Whiskey trinken, dann setzt sich ein anderer dazu."
Es wird viel gefrotzelt an diesem Morgen in der Rembertistraße. Man spürt: Hier sitzen sehr gute, langjährige Freunde zusammen, die ehrlich miteinander umgehen. Dieser Umgang hat auch Günther Ruholl dazu bewogen, vor knapp zwei Jahren nach dem Tod seiner Frau in die Alten-WG zu ziehen:
"Wenn ich hier nun mit anderen zusammenlebe, dass ich sicher sein kann, dass wenn den anderen was an mir nicht passt, dass ich das dann auch höre, dass die mir das dann sagen. Da bin ich mir ganz sicher, dass das so ist hier."
Verantwortung übernehmen inklusive
Eine Lebensgemeinschaft ohne Probleme, die gibt es nicht – da sind sich alle einig, aber das Projekt hat keiner der Bewohner bisher bereut. Auch wenn sie früher füreinander Verantwortung übernehmen mussten als sie ursprünglich dachten.
"Ja, wer rechnet schon damit, dass jemand mit 52 Jahren stirbt, das Sterben hatten wir mit 50 noch nicht auf dem Schirm."
Zwei Mitbewohner sind in den vergangenen Jahren verstorben, gepflegt wurden sie von den anderen im Haus. In den Geschichten, auf den zahlreichen Fotos an den Wänden oder durch Erbstücke bleiben sie Teil der Hausgemeinschaft. So wie die große Holzplatte in Scherfs Wohnung, die seinem verstorbenen Freund gehörte:
"Hier hatte er früher seine Elektroeisenbahn drauf, hier hat er seine Elektroeisenbahn drauf spielen lassen. Jetzt ist das mein Arbeitstisch."
Der Garten der Hausgemeinschaft ist eine kleine Oase, mitten in der Stadt. Eine Schaukel für die Enkel, im Sommer blüht der Rhododendron, und die riesige Blutbuche auf dem Nachbar-Grundstück wirkt wie aus einer anderen Zeit.
"Die steht, ich schätze, 200 Jahre schon und hat auch den Krieg überstanden. Ja, das ist unser Zuhause."