Wie Bremen-Tenever sein Image verbesserte
Das sogenannte Demonstrativvorhaben Bremen-Tenever sollte ursprünglich 4200 Wohnungen umfassen, aber schon kurz nach Baubeginn wurde deutlich: Die Planungen gehen an der Wirklichkeit vorbei. Und trotzdem ist Tenever heute Vorzeigeprojekt.
"Es war wohl gut gedacht, aber eben halt nicht gut gemacht.“
So fasst es Ralf Schumann zusammen. Beim städtischen Wohnungsunternehmen Gewoba ist er Geschäftsbereichsleiter für den Bremer Osten, zu dem auch Tenever gehört. Schumann verwaltet rund 10.000 Wohnungen, mehr als 1400 davon liegen in Tenever. Noch in den 90er Jahren allerdings spielten hier unterschiedliche Eigentümer Monopoly mit ganzen Straßen, erzählt Schumann. Die Versicherungsgesellschaften und Immobilienspekulanten holten aus den Häusern so viel Miete heraus wie möglich und verkauften sie dann weiter. Um die Instandhaltung kümmerten sie sich nicht.
"Man hat ja damals nach dem städtebaulichen Ziel 'Urbanität durch Dichte' relativ eng und hoch gebaut. Man hatte hier eine Fußgängerebene gehabt, die war vier Meter über Terrain. Und da hatte man sich vorgestellt, dass das eine Kommunikationsszene war. Aber da ist nie jemand durchgegangen. Die Innenhöfe, die waren völlig vergrünt und verkrautet, und bei jeder dunklen Ecke, jedes Luftgeschoss, wo man durchstöberte, hatte man den Eindruck, dahinter steht jemand, und man kommt hier nicht lebend raus".
Stadtteil mit schlechtem Image
1998, als Schumann seine Arbeit in Tenever aufnahm, stand rund ein Drittel der damals noch knapp 3000 Wohnungen leer. Die Drogenszene zog ein, der Vandalismus nahm zu. In den Treppenhäusern stank es nach Urin, die Tiefgaragen waren verdreckt, oft wurde dort Müll angezündet. Sylvia Suropa zog 1984 nach Tenever und wohnt noch heute hier. Sie erinnert sich gut an das schlechte Image des Stadtteils. Die regionalen Medien kommunizierten es über Bremens Grenzen hinaus.
"Jeder zeigte auf Tenever. Wenn ein Mord passiert war, war es immer Tenever. Überschrift: Tenever. Jeder Teneveraner wusste: die Straße ist gar nicht hier im Viertel, sondern die ist ganz woanders. Aber erstmal dick Überschrift: Tenever. Als wären wir nur alles Asoziale, Alkoholiker. Drogenabhängige und Mörder. Es wurde einfach stigmatisiert."
Jugendliche, die bei der Lehrstellensuche eine Adresse in Tenever angaben, wurden oft einfach aussortiert, erzählt die Bremerin. Das Quartier wurde zum Problem; nicht nur für die Bewohner, sondern für die gesamte Stadt - samt Politik und Verwaltung. Wer konnte, zog weg. Aber alle konnten nicht. Und die, die blieben, waren Tenevers Rettung. Sie protestierten, demonstrierten, informierten; allen voran: Joachim Barloschky – Barlo -, der sich selbst einen "Bewohneraktivisten“ nennt.
"Wir haben gesagt, wir brauchen einen Aktivkern von Leuten, denen es so, wie es jetzt mit den Eigentümern und den Spekulanten geht – das wollen wir nicht mehr. Wir protestieren, wir kämpfen. Im Ergebnis kam dann ja auch raus, dass ab 89 für Tenever ein sogenanntes Nachbesserungsprogramm aufgelegt wurde. Man wollte die notwendigen Investitionen, auf die wir ja aufmerksam gemacht haben, Punkt um Punkt mit Städtebauförderungsmitteln in die Reihe bekommen. Da haben wir von vornherein, als Bewohneraktivisten gesagt: Sehr gut! Sehr richtig! Begrüßen wir! Und wir wollen aber, dass darüber nicht irgendwelche Leute, die von Tenever keine Ahnung haben, entscheiden, sondern wir wollen Mitbestimmung."
1990 engagierte Bremen Joachim Barloschky als Tenevers ersten sogenannten Quartiersmanager, außerdem wurden Stadtteilgruppensitzungen ins Leben gerufen. Auch heute finden sie noch etwa alle sechs Wochen statt.
Jede Stimme hat Vetorecht
In den öffentlichen Versammlungen diskutieren die Menschen aus dem Quartier mit Akteuren aus Politik, Verwaltung und Gewerbe und auch den Wohnungsgesellschaften, wie Bremen-Tenever sich weiterentwickeln soll; im Konsensprinzip – das heißt: Jede einzelne Stimme hat ein Veto-Recht.
Unter anderem geht es um den Einsatz von Geldern aus verschiedenen Förderprogrammen – insgesamt jährlich mehr als 250.000 Euro. Meist ehrenamtlich sind in den vergangenen 25 Jahren rund 1000 Projekte in Gang gekommen - die benötigen regelmäßig Finanzspritzen; so auch das Café Gabriely, ein Stadtteil-Café, das preiswerten Mittagstisch anbietet. Eine Mitarbeiterin erklärt ihr Anliegen.
"Ja, und da brauchen wir halt für die Betriebskosten und für Honorar – möchten wir gern Gelder beantragen. - … gibt es Gegenstimmen? Nein. Dann würde ich sagen: dem Antrag wird stattgegeben. Es werden 2000 Euro von WIN genehmigt."
WIN, kurz für "Wohnen in Nachbarschaften" und ähnliche Programme, hat der Bremer Senat seit Ende der 1980er Jahre beschlossen, um langfristig Stadt- und Stadtteilentwicklungspolitik zu finanzieren und um die Bewohner systematisch einzubinden. Es gab Menschen, die befürchteten, dass die Teneveraner Wunschlisten für Traumwohnungen aufstellen würden. Derartiges ist nicht passiert, im Gegenteil: Die Bewohner sind sehr vernünftig und realistisch mit den Geldern umgegangen. Und sie fühlten sich zum ersten Mal ernstgenommen, weil sie mitbestimmen durften: beim Sanierungskonzept, bei der Farbgestaltung der Häuser, bei der Landschaftsarchitektur. Deshalb ist es gut gegangen, sagt Ralf Schumann vom städtischen Wohnungsunternehmen Gewoba.
Keine Probleme mit Vandalismus mehr
"Also, da muss man mutig sein. Aber das haben wir hinbekommen. Aber wenn das dann akzeptiert ist, und wenn sich die Menschen, die sich da engagiert haben, sich in der Wirklichkeit sich ein Stück weiter wiedersehen – dann hat das eine andere Wertigkeit und Haltbarkeit. Dann achten die Menschen da mehr drauf."
Mit Vandalismus hat Tenever heute keine Probleme mehr. In den Fußböden der Eingangsbereiche kann man sich spiegeln. Aber auch außerhalb der Wohnhäuser ist das Leben. Die Bewohner engagieren sich: auf dem Kinderbauernhof, im alkoholfreien Jugendcafé, im Beratungszentrum für Arbeitslose, und und und. Bewohnerbeteiligung funktioniert, sagt Jörn Hermening, den das Amt für Soziale Dienste heute als Quartiersmanager in Tenever beschäftigt – Joachim Barloschkys Nachfolger. Die Baustelle "Quartierentwicklung" ist fast fertig, sagt er. Aber:
"Was nicht fertig ist, ist die Armut und die soziale Benachteiligung der Menschen, die hier leben. Also wir sind in einem der reichsten Länder der Welt, und es ist trotzdem so ungleichmäßig verteilt. Da weiß ich nicht, ob wir in der Stadtteilgruppe das verändern können. Wir können unterstützen und fördern, aber das große Ganze – da ist vielleicht auf die Politik gefragt, um da was zu drehen."