Das Barbican Centre in London
Ein brutalisitischer Komplex aus drei Hochhäusern, flachen Wohnblocks und einem Kulturzentrum. Besuchern erscheint das Barbican Center in London oft kalt und hart. Doch wer in eine der mehr als 2000 Wohnungen einzieht, ist schnell verführt.
Wer Julian Hale und Helen Likierman besucht, sollte schwindelfrei sein. Natürlich gibt es hier Fahrstühle. Aber die beiden – er 77, sie 68 - zeigen Gästen gern das Treppenhaus. Aus rund 120 Metern Höhe schaut man hier bis zum Erdgeschoss. Das Ehepaar wohnt unterm Dach des Cromwell Towers. Der Wolkenkratzer gehört zum Barbican Center, einem brutalistischen Wohnkomplex aus Beton im Herzen Londons.
Julian: "Für das Barbican ist diese Wohnung ziemlich ungewöhnlich."
Britische Untertreibung. Hale führt in die zweite Etage des dreistöckigen Penthouses.
Julian: "Das ist unser Schlafzimmer. Und das hat diese Terrasse mit Stilelementen des Barbicans."
Das sind die hohen Betonwände, die die Terrasse Terrasse vor dem Wind schützen, der hier oben fast immer weht. Und in der Mitte gibt eine Art Schießscharte den Blick auf London frei.
Julian: "Der lange, horizontale Schlitz ist typisch für das Barbican, angelehnt an die römische Vorlage.
Helen: "Von hier regnen die Pfeile herab auf unglückselige Besucher."
Auferstanden aus römischen Ruinen
Wo jetzt das Barbican steht, stand einst eine Befestigungsanlage der Römer. Bis heute sieht man im Garten die runden Ruinen der Barbicans, der Wachtürme. Sie gaben dem Wohnkomplex seinen Namen und inspirierten in den 1950ern Chamberlin, Powell und Bon - die Architekten der Anlage. Wer nicht hier wohnt, kennt das Barbican heute aber vor allem wegen des hochkarätigen Barbican Arts Centers.
Julian: "Es ist ein großes Privileg im Barbican mit seinem Kulturzentrum zu leben. Wir können einfach nach unten wandern, wenn uns danach ist. Und nach der Veranstaltung laufen wir einfach in den Fahrstuhl, der uns nach oben bringt. Alle anderen müssen die beschwerlich Heimreise antreten durch …
Helen: "... den Regen, die Kälte und die U-Bahn."
Julian: "Der Fahrstuhl ist eine vertikale Flaniermeile. Ohne Zwischenstop dauert es immerhin 48 Sekunden. Man hat also Zeit, sich mit den Nachbarn zu unterhalten, wenn man hoch und runter fährt."
Helen: "Man kann jede Menge machen im Fahrstuhl".
Julian: "Es ist ein sehr freundlicher Ort."
Als Besucher wird man vor allem vom atemberaubenden Blick übermannt. Wer hier auf dem Balkon steht, gehört nicht mehr zur Stadt. Ein Blick durch die Bullaugen-artigen Fenster der Wohnung und man hat das Gefühl, in einem Schiff über London zu schweben.
Julian: "Die einzige Gesellschaft, die wir haben, sind die Falken, die das Barbican einsetzt, um die Tauben in Schach zu halten. Und ab und zu sitzen Krähen auf dem Balkon."
Ein spektakulärer Blick aufs London Eye
Auch viele Freunde des Ehepaars schätzen den Ausblick.
Helen: "Vor allem wenn es Feuerwerk gibt. Wir haben hier den besten Blick zum London Eye. Dort an der Themse gibt es immer wieder Feuerwerk. Und solange der Wind mitspielt, sehen wir das von hier wunderbar."
Hat das Leben im Barbican auch Nachteile? Helen Likierman muss passen: "Are there any? Not really!"
Piers Ebdon hingegen fällt durchaus etwas ein: "Die Touristen können nerven. Oft werden Gruppen durch das Barbican geführt. Als Bewohner mag ich das nicht. Wir leben ja hier."
Der App-Entwickler ist im Barbican aufgewachsen und wohnt seit 27 Jahren fast durchgängig hier. Heute wohnt er mit seiner Mitbewohnerin Jackie Tibbets im neunten Stock des Shakespeare Towers. Das manche das Barbican hässlich finden, versteht er nicht.
"Ich mag, wie es aussieht. Für mich ist das normal. Es kommt mir gar nicht so brutalistisch vor. Mir hat es hier immer gefallen."
Mitbewohnerin Tibbets hingegen musste mit der Architektur erst warm werden: "Als ich das erste Mal hier war, dacht ich: Gott ist das hässlich. All dieser Beton. Aber mein Meinung hat sich geändert. Seit ich hier lebe habe ich das Barbican lieben gelernt."
Selbst Menschen die schon vor Jahren ausgezogen sind, bleiben dem Barbican verfallen. So wie Geraldine Burdis. Die 57-Jährige wartet im Foyer des Kulturzentrums auf Freunde. Gut fünf Jahre wohnte sie hier.
"Ich habe das Barbican immer gehasst. Immer wenn wir zu Besuch waren, haben wir uns verlaufen. Außerdem sind die Gebäude so hart. Dann zog ich in eine Wohnung hier und ließ mich vom Barbican verführen."
2013 zog die Künstlerin dann nach Südfrankreich. "Als ich auszog, war ich ziemlich traurig. Ein Teil von mir vermisst das Barbican noch immer."