Das Hexenhaus der LeCorbusier-Schüler
Ist man noch im Wald oder schon im Haus? Im "Hexenhaus", wie es der Hausherr Axel Bruchhäuser nennt, verschwimmen die Grenzen von außen und innen. In 20 Jahren verwandelten zwei Architekten ein gewöhnliches Haus in ein märchenhaftes Bauwerk.
Eine Ikone der modernen Architektur mitten im Wald, im Märchenland, wo einst die Brüder Grimm zuhause waren. Versteckt am Ende einer Villenstraße bei Bad Karlshafen. Unten im Tal die Weser, heute graubraun aufschäumend und über die Ufer tretend. Im Sommer eher lieblich, und man kann von der benachbarten Touristenattraktion des weit ins Tal auskragenden Weser Sky Walks häufig blaue Himmel sehen. Ein Kapitän hatte sich nach dem Weltkrieg ein Holzhaus als Ruhesitz in den östlichen Weserhang gebaut. Mit schlichtem Satteldach und in der Form bekannt – etwa so, wie Kinder ein Haus zeichnen. Hexenhaus nennt es passend zum Märchenland der heutige Hausherr Axel Bruchhäuser. Dessen Möbelfirma Tecta besitzt zahlreiche Lizenzen für historische Bauhausmöbel, vorzugsweise Kragstühle. Viele Großmeister kannte er persönlich oder hat ihre Möbel im Programm. Es lag daher nahe, dass Axel Bruchhäuser vor vielen Jahren für sich einen Hausentwurf von Mies van der Rohe realisieren lassen wollte:
"Das Hexenhaus ist ja durch den Südseekapitän aus dem Wald mit den unbehauenen Steinen selber gebaut. Dann wollte ich - das Haus war unbewohnbar - das nicht gebaute, wunderbare "Mies van der Rohe Fifty by Fifty Metre Haus" mit der Genehmigung seines Enkels Dirk Lohan aus den USA hier bauen. Da gibt es hier oben 100 Meter weiter das berühmte Mies-Plateau. Das habe ich Wewerka erzählt und Wewerka hat das Mies-Haus gezeichnet, originalgetreu die Nationalgalerie in Klein, nur nicht mit acht Stützen, sondern mit vier mittigen Stützen, ringsum Glas mitten im Wald bis zur Bauantragseinreichung und das wurde abgelehnt."
Mystische Architektur
Ein deutsches Bauordnungsamt verhinderte so ein Stück Glasikone á-la Mies van der Rohe im deutschen Märchenwald. Axel Bruchhäuser war wütend, gab aber nicht auf. Stefan Wewerka, einer der wichtigsten deutschen Architekten und Designer der 1950er Jahre, schaltete den Kontakt zu Alice und Peter Smithson. Die Smithsons waren ursprünglich Schüler Le Corbusiers, aber in ihrem Spätwerk wurden sie zu Vertretern einer empathischen und narrativen Moderne – eher esoterisch, anthroposophisch, fast mystisch:
"Das Hexenhaus ist ja gemacht für einen Mann und eine Katze, eine Harmonie zwischen Mensch, Tier und Pflanze, und Licht, Luft und Wasser. Es geht ja auch um die Beziehung Haus, Stadt und Territorium."
Ein eigener kleiner Kosmos unter den Wipfeln, wo wirklich Ruh ist. Ein Haus, in dem man nicht genau weiß, bin ich schon drin oder noch draußen, weil der Wald zum natürlichen Dach wird. Für Mensch und Tier, konkret: für einen Mann und eine Katze, die hier seit 30 Jahren alle Karlchen heißen:
"Karlchen war übrigens der Auslöser, als er 1983 einen Brief an die Katze von Alison und Peter Smithson in London, Snuff Smithson, geschrieben hat, in Klammern an das Team One, in Anspielung auf das berühmte Team Ten von Alison und Peter. Karlchen hat geschrieben, dass sein Buttler Axel im Hexenhaus lebt. Snuff Smithson hat dann zurück geschrieben, dass er sich darum kümmern würde und hat unterschrieben den Brief an Woodcount Karl, den Waldgrafen Karl, wie ich ihn damals nannte, mit einem roten Pfötchenabdruck auf dem Briefbogen von Alison und Peter Smithson."
Symbiose von außen und innen
Von 1983 an verwandelt das Architektenpaar Smithson das alte Gebäude in ein komplexes Wunderwerk aus Zubauten, Terrassen, einem Tempelchen und einem Hochsitz, den Axel Bruchhäuser "das Hexenbesenhaus" nennt. Zunächst war Alison federführend, nach ihrem Tod 1993 dann Ehemann Peter bis zu seinem Tod im Jahr 2003. Im Haus gibt es keine Zimmer im herkömmlichen Sinn; nur ein Raumkontinuum. Sorgfältig gesetzte Fenster und Öffnungen, in Außen- und Innenwänden oder auch in den Decken. Bisweilen asymmetrisch oder rund - Outlooks umkreisen wie Satelliten den Altbau.
"Wie Tentakel ragen diese verschiedenen Anbauten verbunden mit Brücken um das Hexenhaus herum, in die umgebende Landschaft, wie der Hexenbesenraum, wie ein kleines Wochenendhäuschen in 11 Meter 50 Höhe, um sich zurückzuziehen in eine Höhle, oder der Tea Pavillon oder der Lantern Pavillon, alle verbunden mit Brücken zum Kernhaus des Hexenhaus, das wiederum verschiedene kleine Ausbuchtungen, Porche enthält. Und immer mit dem Gesamtziel, dass außen die Landschaft, die märchenhafte Landschaft in das Innere hinein zu holen und umgekehrt, also eine Verschmelzung zwischen Mensch, Tier und Pflanze, Licht, Luft und Wasser."
Bleibt die Gretchenfrage zum Thema: Wie wohnt es sich denn in einer solchen Ikone? Eigentlich stellt sie sich nicht, denn das Haus ist ja ganz individuell auf Axel Bruchhäuser zugeschnitten, der selbst zur lebenden Ikone der deutschen Designlandschaft geworden ist. Dennoch frage ich ihn nach der Alltagstauglichkeit dieses Hauses:
"Eine ganz pragmatische Geschichte war immer über 20 Jahre, dass Alison kam, Peter kam, und jedes Jahr einen Umbau, einen Porch, eine Arbeit gemacht haben. Es war jedes Mal Dreck und Riesenprobleme und plötzlich sagte meine Putzfrau – ganz ärgerlich – kommt der alte Engländer wieder, so ganz böse, weil sie dann Staub und Dreck erwartete. Kommt der alte Engländer wieder – das war ihre größte Sorge."