"Man kann den Grindel nur hassen oder lieben"
Ursprünglich sollten die Grindelhochhäuser von britischen Offizieren bewohnt werden, diese gingen aber dann doch nach Frankfurt. Die Neubauten konnten zivil genutzt werden. Seit der Nachkriegszeit lockt das denkmalgeschützte Gebäudeensemble mit seiner zentralen Lage und attraktiven Grünflächen.
Horst Behrens wohnt weit oben. So weit, dass man mit dem etwas betagten Fahrstuhl erst in den 13. Stock hinaufgehoben wird und die letzte Etage dann zu Fuß erklimmen muss. Oben angekommen steht Horst Behrens schon in der offenen Tür, bittet hinein in seine Traumwohnung:
"Mein Ziel war von vornherein: ich muss in den Grindelhochhäusern eine eigene Wohnung finden. Mit einem Grundsatz: ich wollte partout erreichen, dass ich die oberste Etage mit einer Wohnung erwische."
Vor zehn Jahren war das, kurz nach dem Tod seiner Frau. Horst Behrens wollte nicht mehr auf dem Land leben, sondern zurück in die Stadt und in das Viertel, in dem er lange gearbeitet hatte. Er hatte Glück: knapp drei Monate musste Behrens warten. Dann konnte er einziehen. Direkt unters Dach, in den 14. Stock. In einen der zwölf gelbverklinkerten Blöcke. Mit einem Ausblick über Hamburg, der meist nur Firmenvorständen zuteil wird.
"Ich schaue hier aus dem Fenster, von Blankenese bis hier rechts, der Flughafen. Dann kommt das gesamte Hamburger Gebiet bis zur Innenstadt bis ganz, ganz links der Hamburger Michel liegt."
Man sieht jedes Feuerwerk am Hamburger Hafen
Auf dem breiten Fensterbrett steht neben den Topfpflanzen ein Fernglas bereit.
"Jedes Feuerwerk am Hafen sehe ich. Jedes große auslaufende Schiff, wenn es denn beleuchtet ist abends. Habe dann an der linken Seite noch das St. Pauli-Stadion. Und bei gutem Wetter und offenem Fenster höre ich sogar die Torschreie."
Fünfzig Quadratmeter groß ist die Zwei-Zimmer-Wohnung. Die kleine Küche liegt vis-à-vis zum Wohnzimmer, hier fällt der Blick nach Osten, während der Filterkaffee durch die Maschine läuft. Horst Behrens wohnt seit zehn Jahren in einem von zwölf Grindel-Hochhäusern. Das Viertel kennt er schon seit Jahrzehnten. 1960 trat er seinen Dienst als Streifenpolizist und Streifenwagenfahrer beim Polizeirevier in der nahegelegenen Oberstraße an.
"Die Grindelhochhäuser waren in unserem ach so kleinen Revier wieder eine kleine Stadt für sich. Und so hatte ich schon seit 1960 einen ganz engen Kontakt zu allen Häusern."
Nachts legte er sich mit einem Kollegen auf die Lauer und schnappte die Diebe, die sich auf die Kellerräume der damals hochmodernen Häuser spezialisiert hatten, erzählt der Pölizist a.D. bei einer Zigarette. Den Abfall konnten die Bewohner auch aus dem 14. Stock bequem über die Müllschlucker entsorgen. Für saubere Wäsche sorgte eine zentrale Reinigung. In den Erdgeschossen der schmalen, entlang der Nord-Süd-Achse ausgerichteten Grindelblöcke gab es Bäckereien, Metzger, ein Schuhgeschäft und Cafés, kleine Einkaufsläden. In einem der Gebäude ist bis heute das Bezirksamt von Hamburg-Eimsbüttel untergebracht.
"Man kann den Grindel nur hassen oder lieben. Eine Zwischenstation gibt es nicht. Viele sind der Meinung, diese Gegend ist kriminell hochbelastet. Andere sagen, man wohnt im Grünen, zentral, hat drei, vier Parks in unmittelbarer Nachbarschaft. Die letzte Version, die stimmt! Diese Ecke ist nie richtig übermäßig als kriminell bekannt geworden. Dass sich hin und wieder an irgendeiner Ecke mal kurz eine Rockergruppe bildet oder dass mal einer ermittelt wird, der mit Rauschgift handelt – das ist in allen Stadtteilen im gleichen Maße gegeben. Der Grindel ist Multikulti geworden. Und das ist schön so!"
Britische Offiziere sollten die Wohnungen bewohnen
Genauso wie die zentrale Lage der Hochhaussiedlung, die so locker, mit so viel grüner Wiese, alten Bäumen, einem kleinen Teich beieinander stehen, dass Luft zum Atmen bleibt. Wohl fühlt sich auch Richard Dörner in den Grindelhochhäusern. Der Architekt und sein Team arbeiten in einem der vielen Büros, die heute im Erdgeschoss des Ensembles untergebracht sind. Dörner zeigt in einem Bildband frühe Schwarzweißfotos vom Bau der Hochhäuser. Ursprünglich sollten sie der British Army als Hauptquartier dienen. Die entschied sich dann aber für Frankfurt.
"Man musste dann auch schnell umdenken, weil es dann keine Offizierswohnungen mehr wurden, sondern Wohnungen, die die Stadt dann zur Verfügung gestellt hat, auch für ausgebombte Menschen und so weiter. Die wollten alle hier rein, die fanden das natürlich irre: Neubau! Schauen sie sich mal die Lage an! Auch schon damals waren die Bäume so hoch. Die sind alle in den Fünfzigerjahren entstanden und ich finde, die sehen auch toll aus! Sind wirklich fantastische Gebäude und auch wirklich erhaltenswert und es ist auch gut, dass sie unter Denkmalschutz stehen."
Seit 1999 genießen die Grindelhochhäuser diesen Schutz. Die letzte Sanierungs- und Renovierungsrunde, immerhin 75 Millionen Euro teuer, endete vor zehn Jahren. Einer der Teiche aus den Fünfzigerjahren ist noch erhalten, ebenso die bronzenen Figuren auf den weiten Grünflächen, auf die der Blick durch die Panoramascheiben des Architektenbüros fällt.
"Wir sind hier total gerne in dem Gebäude! Natürlich ist es eine sehr enge Situation, wenn man hier reinkommt. Das staut sich manchmal, dieser Eingangsbereich ist relativ eng. Und manchmal haben wir auch honorige Gäste hier, die sich dann begegnen mit den Menschen aus dem Haus. Aber es funktioniert. Und ich finde, das müssen auch alle ertragen können. Das macht ja so eine Struktur auch bunt und lebenswert. Und hier drinnen, mit den Ausblicken nach draußen. Ich meine: wo kann man so schön sitzen wie hier und guckt in so einen Park! Wir sind hier sehr gerne!"
Und auch für den alten Horst Behrens ist klar: er will nicht mehr weg aus den Grindelhochhäusern. Wenn überhaupt, erzählt er lachend, dann nur mit den Füßen zuerst.