Die fast perfekte Zukunft des Wohnens
Ein Gemeinschafts-Wohnprojekt im Riesenformat, das ist die "Kalkbreite" in Zürich. Sie ist eine Stadt in der Stadt: mit Restaurants, Bars, Kino, Kita und sogar einem Geburtshaus. In der Kalkbreite gebe es fast alles - aber etwas fehlt ihm doch, gesteht Bewohner Fred Frohofer.
Christine Watty: Kaum Wohnungen, und wenn, dann unbezahlbar – das ist die grobe Zusammenfassung des Lebens in Metropolen und unser Thema in dieser Woche. Wir waren auf den Spuren des Lebens in Mexiko-Stadt, Nairobi, Los Angeles oder Sydney und haben nach traditionellen und neuen Wohnformen gesucht. Heute ist die Schweiz an der Reihe.
In Zürich nämlich gibt es ein großes Genossenschaftsprojekt, das nicht nur in der Stadt für Aufsehen sorgt als innovatives Wohnkonzept: die Kalkbreite. Um die 250 Menschen leben dort zusammen. Einer von ihnen ist Fred Frohofer, und ich habe ihn gefragt, was er an dem Konzept der Kalkbreite eigentlich so überzeugend findet.
Fred Frohofer: Also es ist natürlich sehr spannend, weil das ein zukunftsfähiges System, eine zukunftsfähige Baute ist, die auch sehr zentral liegt in der Stadt Zürich. Die Wohnungsmieten sind auch relativ tief, weil das eine Kostenmiete. Also es wird keine Rendite abgezogen, aber was wirklich spannend ist, sind die vielen gemeinschaftlichen Nutzungen. Das heißt, der eigentliche Wohnraum ist etwas kleiner wie ortsüblich in der Stadt Zürich. Also wir haben einen individuellen Wohnflächenverbrauch von 39 Quadratmetern. Hier in der Kalkbreite ist er durchschnittlich bei 31,2 Quadratmetern. Jetzt haben wir aber stattdessen zum Beispiel eine Cafeteria, die ist selbstverwaltet. Ich selber bin noch bei einem Großhaus angeschlossen. Das heißt, wir haben Köche angestellt, wir haben einen Essraum, eine Küche, und da wird das Abendessen für uns zubereitet, und das finanzieren wir natürlich mit, diese Löhne et cetera, aber dennoch ist die Miete für mich vergleichsweise tief gegenüber der Miete in der Umgebung.
Die Genossenschaft betreibt sogar eine Pension
Watty: Dieses Genossenschaftsprojekt basiert ja auch unter anderem darauf, dass man Dienste für die Gemeinschaft erledigt. Jetzt haben Sie gerade schon die Köche angesprochen, weswegen ich gerade überlegt habe, ob nicht der Vorteil sogar ist, dass man in dieser großen Gemeinschaft Dienste ganz outsourcen oder auslagern kann. Machen Sie denn auch was für die Gemeinschaft, also hat wirklich jeder so eine spezielle Aufgabe?
Frohofer: Es ist eigentlich sehr viel hier professionalisiert. Also wir haben zum Beispiel sogar die Gästezimmer ausgelagert in eine Pension, und die wird aber bewirtschaftet von der Genossenschaft selber. Also ich muss, wenn ich ein Gästezimmer miete, muss ich nichts tun. Ich muss nicht mal die Betten beziehen oder Wäsche hinlegen. Nichts, das wird alles erledigt. Der Professionalisierungsgrad ist hier relativ groß. Wir haben allerdings Arbeitsgruppen für diverseste Aufgaben: Die Familien haben Arbeitsgruppen, wo sie schauen, wie sie mit den Kinderspielzeugen, mit den gemeinsam genutzten, umgehen et cetera. Es gibt eine Werkstattgruppe. Ich selber bin in einer Gruppe, die nennt sich "Leicht leben". Wir machen so Vorschläge, wie man ökologisch haushalten kann, und wir schauen da auch, dass wir zum Beispiel Anlässe organisieren können, wo Leute kommen, Podiumsgespräche veranstalten et cetera.
Die soziale Mischung ist gelungen
Watty: Ziel war es ja auch, dass die Kalkbreite sozial gemischt ist. Ist das denn Realität geworden?
Frohofer: Auf jeden Fall. Also wir hatten ja eine Vermietungskommission, die ist auch immer noch aktiv, und die hat ein Reglement, und das heißt auch, dass die Durchmischung eigentlich schon vorgegeben ist. Das heißt, wir müssen die Demografie der Schweiz, der Stadt Zürich einigermaßen abbilden hier in der Kalkbreite. Das ist mal ein Beschluss gewesen, der gesamten Genossenschaft.
Das bedeutet, wir bilden den Ausländeranteil ab, die Geschlechterverhältnisse. Wir haben einen Akademikergrad, der einigermaßen eingehalten werden muss. Wir haben auch … viele Leute aus dem Ausland, von Afrika, von überall her, wohnen hier, und von daher denke ich, wir haben eine hohe Durchmischung. Was wir nicht haben, sind ganz, ganz, ganz alte Leute. Die ältesten Leute, die hier eingezogen sind, die waren etwas 70, aber das kommt ja dann noch.
Watty: Das stimmt. Das passiert automatisch, von ganz alleine.
Frohofer: Genau.
"Trutzburg wurde schon gesagt"
Watty: Es gibt eine Kritik an der Kalkbreite, die oftmals geäußert wird, auch wenn jetzt von den Formalien sozusagen das Konzept zu stimmen scheint, dass Sie aber doch relativ abgeschottet leben: grünes Ghetto ist, glaube ich, so ein Begriff, der mal durch die Medien waberte, auch, dass man sagt, ja, Sie müssen eigentlich dieses Ganze, die Kalkbreite, dieses Gebäude und den Hof überhaupt nicht mehr verlassen. Ist das ein bisschen so, dass Sie doch einigermaßen abgeschottet in Zürich da vor sich hinresidieren zu den eben eigenen Bedingungen, die dann aber mit dem Rest von außen rum nicht so viel zu tun haben?
Frohofer: Das ist natürlich so, dass wir auch einen hohen Gewerbeanteil haben, also wir haben hier Läden, wir haben Gastronomiebetriebe, wir haben eine Arztpraxis hier, wir haben eine Kita hier, wir haben sogar eine Bankfiliale hier. Es ist eigentlich alles vorhanden. Insofern muss man nicht unbedingt, um Besorgungen zu machen, das Haus verlassen. Das ist richtig, ja. Und wenn man jetzt von außen das Haus anschaut, dann ist es riesengroß, weil halt diese Einhausung Platz braucht.
Wenn man drin ist, wenn man auf dem Hof ist, ist es nicht mehr so, und das ist natürlich, wenn man dann von außen schaut, das ist so … Trutzburg wurde schon gesagt, und wenn man das natürlich dann so anschaut, dann kommt man natürlich schon auf den Gedanken, ja, ja, die sind so für sich, in diesem Ort sehr abgetrennt und so weiter, aber ich kenne ja die Leute hier, und die sind alle total gut vernetzt in der Stadt. Also alle – ich kenne nicht ganz alle, aber die meisten. Also es gibt nicht einen Kalkbreite-Spirit in diesem Sinne.
Mehrwert durch gemeinschaftliche Nutzung
Watty: Ist denn Ihrer Meinung nach dieses Modell massentauglich, also gerade in Zeiten von explodierenden Mieten und der Frage, wo man eigentlich überhaupt wohnen soll? Würden Sie sagen, so zu leben, also einen kleineren Wohnraum für sich zu nutzen und die Gemeinschaftsanlagen miteinander zu nutzen und auch zu teilen und auch Dienste auszutauschen, ist eigentlich ein Modell, was zukunftsträchtig ist?
Frohofer: Ja, auf jeden Fall. Man muss sich das einfach so vergegenwärtigen: Also ich bezahle 0,8 Quadratmeter mehr als ich Fläche habe, und mit dem finanziere ich die ganzen Flächen, also diese Cafeteria, die Eingangshalle, diese Räume für Nähen et cetera, die ich erwähnt habe, finanziere ich damit, und wenn ich das privatisiert hätte, diese Fläche, könnte ich geradewegs nur einen Stuhl mir aufstellen. Also das heißt, wenn ich Dinge aus der privaten Nutzung in eine gemeinschaftliche Nutzung gebe, habe ich einen Mehrwert.
Watty: Sagt Fred Frohofer, Bewohner des genossenschaftlichen Projektes Kalkbreite in Zürich. Vielen Dank für das Gespräch, und alle Teile unserer Serie "Wohnen in Metropolen" können Sie auch online nachhören auf deutschlandfunkkultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.