Kampf um die Kleingärten
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Mitten in der Großstadt einen eigenen Garten haben – für viele tausend Berliner eine schöne Realität. Doch in Zeiten von Wohnraumknappheit werden immer mehr Schrebergartenkolonien aufgelöst. SPD und Linke wollen das verhindern.
Michael Klemp steht vor dem Tor der Kleingartenkolonie Morgengrauen in Berlin-Mariendorf. 50 Meter geradeaus, direkt hinter der großen Tanne, liegt seine Parzelle. Hin kommt er allerdings nicht mehr. Das Tor ist mit einer großen Eisenkette verriegelt.
"500 Quadratmeter groß, mit einem Haus drauf, seit 1982. Und in dem Haus sind neben meiner Frau und mir noch zwei weitere Generationen aufgewachsen. Enkel und Urenkel."
An den Zaun haben die Kleingärtner weiße Holzkreuze angebracht – auf jedem eine Zahl. Die Nummer der Parzelle.
"Jetzt irgendwann im März fängt ja normalerweise die Bewirtschaftung der Gärten an, da wird’s dann nochmal besonders schwierig. Vor allem für meine Frau, die vermisst ihn noch viel schlimmer als ich."
Die Stadt braucht Platz für Schulen
Über dem Eingangstor haben sie ein Banner befestigt: "99 Jahre grüne Lunge – durch einen Federstrich des Bezirksamts Tempelhof für immer vernichtet." Im November wurde die Kleingartenkolonie Morgengrauen endgültig dichtgemacht, denn hier soll irgendwann einmal eine Schule gebaut werden. Anfang 2020 hatte der Bezirk sie auf eine Informationsveranstaltung hingewiesen.
"Sie haben sich da auf den alten Flächennutzungsplan berufen, gesagt, dass sie hier Baurecht haben und hier die einfachste Möglichkeit besteht, eine Schule zu bauen, da anderweitig im Bezirk kein anderes Grundstück zur Verfügung steht. Und da war klar, jetzt müssen wir runter", berichtet Klemp.
Der 73-jährige Rentner verliert mit der Räumung der Kolonie nicht nur einen kleinen Garten, sondern sein zweites Zuhause, erzählt er, während wir in der eisigen Kälte vom Tor stehen. Seit fast 40 Jahren bewirtschaftet Klemp seine Parzelle – von April bis September hat er mit seiner Familie hier Jahr für Jahr gelebt.
"Den ganzen Sommer über haben wir uns hier aufgehalten. Unsere Kinder sind mit Blumen, mit Pflanzen aufgewachsen. Wussten, was Natur ist, meine Tochter kann es überhaupt nicht fassen, was hier los war."
Die grüne Lunge Berlins
SPD und Linke in Berlin dürften Kleingartenkolonien wie die von Klemp im Sinn haben, mit dem geplanten Kleingartensicherungsgesetz. Geht es nach den beiden Regierungsparteien, dürfte künftig auch ein Schulbau keinen Grund mehr darstellen, einen Kleingarten in Berlin plattzumachen, sagt Daniel Buchholz, Sprecher für Stadtentwicklung der SPD. Alle Kleingärten, die immerhin 3 Prozent der gesamten Stadtfläche ausmachen, sollen erhalten bleiben.
"Wir leben in Zeiten des Klimawandels, wir merken, wir müssen die grünen Flächen, die Erholungsflächen sichern und dafür sorgen, dass die Kaltluft-Entstehungsgebiete – und das sind viele Kleingärten, wo wirklich frische Luft entsteht – die die Stadt belüften, die müssen wir sichern.
Und das muss auch kein Widerspruch zum Wohnungsbau sein. Wir müssen nur an den richtigen Flächen verdichtet bauen, dann können wir auch die Freiflächen erhalten, die für uns alle so lebensnotwendig sind, damit wir durchatmen können."
SPD und Linke wollen die Gärten erhalten
Schon seit Jahrzehnten ist die dauerhafte Sicherung der Kleingärten immer mal wieder Thema fast aller Parteien, doch die Pläne sind immer wieder gescheitert. Jetzt im beginnenden Wahlkampf hat es die SPD wieder auf die Agenda gehoben. Zwar bietet der Kleingartenentwicklungsplan schon heute einen gewissen Bestandsschutz für die Gärten, aber eben nicht für alle. Rund 80 Prozent der 71.000 Kleingärten auf Landesgrund sind aktuell relativ sicher vor einer anderen Nutzung, weitere zehn Prozent haben bis 2030 eine Art Schonfrist. SPD und Linke reicht das nicht.
"Eine Möglichkeit wäre, dass wir die Senatsverwaltungen und alle Bezirke auffordern, verbindliche Bebauungspläne und auch Änderungen des Flächennutzungsplans vorzunehmen, mit denen dann auch auf den privaten Flächen die Kleingärten geschützt wären", so Buchholz.
Der BUND plant ein Volksbegehren mit ganz ähnlichen Forderung zur Sicherung der Kleingärten und wird dabei von den Sozialdemokraten unterstützt.
Die Berliner Kleingartenvereine freut das alles. Vor allem die Idee, neue Bebauungspläne aufzustellen, sagt Gabriele Gutzmann. Sie ist Vorsitzende der Kleingartenkolonie am Stadtpark in Berlin-Wilmersdorf.
"Als Kleingärtnerin, aber auch als Bürgerin dieser Stadt finde ich das Grün sehr wichtig. Das hat ja auch die Pandemie gezeigt: Es ist für die Gesundheit und das Wohlergehen sehr wichtig, dass auch im innerstädtischen Bereich die Grünflächen erhalten bleiben."
Kleingärten müssen sich den Bürgern öffnen
Im Gegenzug für den Bestandsschutz sollen sich die Kolonien künftig stärker öffnen, sagt der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz. Für alle Berliner aus den Kiezen:
"Wir öffnen die Kolonien, dass eben nicht andere Leute, die keine Parzelle haben, vor der ersten Tür praktisch ausgesperrt bleiben. Wir wollen mehr Kooperation, zum Beispiel mit der benachbarten Kita oder dem Seniorenheim und mit Urban-Gardening-Initiativen, also gemeinschaftliches Gärtnern ermöglichen. Und wir wollen, dass ökologische Bewirtschaftung Standard wird."
Eine sinnvolle Forderung, findet Gutzmann. Ihre Kolonie in Charlottenburg sei schon seit Jahren offen für alle – es gebe Austausch mit den Kitas und Kiez. Doch das ist eher die Ausnahme als die Regel.
Ein bisschen Urban Gardening hier, ein wenig Lerngarten für Grundschüler dort – manchen Stadtplanern geht eine solche Öffnung der Kleingärten nicht weit genug. Letztlich hätten ja doch nur die Kleingärtner selbst das Privileg einer Oase mitten in der Stadt, sagt etwa Andreas Becher. Er ist Vorsitzender des Bundes der Architekten Berlin. Ginge es nach ihm, müssten mindestens ein Drittel der begehrten Kolonieflächen weichen, um dort bezahlbare Wohnungen zu bauen:
"Das sind unser aller Grundstücke, und wieso gibt es so ein paar Privilegierte, die sich ihre Oase schaffen? Ich rede nicht davon, Kleingärten in private Hände zu geben, sondern hier muss das Land Berlin eigenes Geld in die Hand nehmen, eigene Wohnungen bauen und endlich wieder zu städtischen Wohnungen finden, die zu bezahlbaren Preisen vermietet werden können."
300.000 bezahlbare Wohnungen statt Kleingärten
Würde man ein Drittel der Kleingärten bebauen, könnte der Senat 300.000 bezahlbare Wohnungen schaffen – das Wohnungsproblem der Stadt wäre gelöst, meint Becher. Dass in keiner Partei über solche Lösung überhaupt nur nachgedacht werde, ärgert den Architekten. Offenbar sind die Kleingärtner und ihre Familien eine zu wichtige Wählerklientel, vermutet er.
Was ich aber überhaupt nicht verstehe, denn letztlich sind es "nur" 60.000 Wähler und deren Angehörige in einer 4-Millionen-Stadt.
Dass die entgegengesetzten Pläne von SPD und Linkspartei, der Bestandsschutz für alle Gärten, umgesetzt werden, ist aber alles anders als sicher. Die mitregierenden Grünen haben rechtliche Bedenken: Bei den privaten Kleingartenflächen könnte das Recht auf Eigentum unzulässig eingeschränkt werden. Außerdem schränke eine Sicherung aller Gärten die Möglichkeiten zur Stadtentwicklung zu sehr ein.
Für den Kleingärtner Michael Klemp käme das alles ohnehin zu spät. Er hätte wie einige seiner Mitgärtner einen Ausweichgarten bekommen können, doch das kam für den gesundheitlich angeschlagenen Rentner nicht wirklich infrage: "Ich kann's nicht mehr, ich möchte nicht mehr neu anfangen."