Wohnungsbau

Immer mehr Stornierungen

06:42 Minuten
Zu sehen sind die Füße in gelben Gummistiefeln eines Bauarbeiters, der Zement auf einem Boden verteilt
Zement ist der wichtigste Baustoff - und ausgerechnet der wird knapp. © picture alliance / Zoonar / Wolfgang Filser
Von Michael Watzke |
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Das Baukosten-Risiko – es schüttelt gerade die gesamte Immobilienbranche durch. Das spüren große Konzerne ebenso wie kleine Handwerker. Stornierungen sind an der Tagesordnung. Corona, Krieg, Inflation: Für die Unsicherheit gibt es viele Gründe.
Eine Groß-Baustelle in Ismaning, nördlich von München. Hier, im Agrob-Medienpark, erneuert der deutsch-österreichische Immobilienentwickler Wealthcore ein bestehendes Büroareal. Oder, wie Firmenchef Michael Klement das im Fachjargon nennt: „Redeveloppen und neupositionieren. Und in den nächsten Jahren eine Neuvermietung starten. Wir werden dort sehr stark auf die Nachhaltigkeit setzen.“
Bestehende Gewerbeimmobilien grün umbauen - also dämmen, Heizkosten einsparen, erneuerbare Energien nutzen. Solche Bauprojekte laufen derzeit in der Baubranche noch am besten, sagt Klement.
„Absolut. In der derzeitigen Phase tut man sich im Bestandsmanagement viel leichter als bei einem klassischen Neu-Projekt, wo ich auf der grünen Wiese eine neue Immobilie hinstelle. Weil ich bereits an der Substanz arbeiten kann und dieses Baukosten-Risiko nicht habe.“

Geld wird derzeit zusammengehalten

Das Baukosten-Risiko – es schüttelt gerade die gesamte Immobilienbranche durch. Das spüren die großen Konzerne ebenso wie kleine Handwerker. Stornierungen seien an der Tagesordnung, sagt Bauunternehmer Thorsten Bach aus Potsdam.
„Es wird viel auf Eis gelegt, es wird viel zurückgehalten. Die Leute wissen nicht, was kommt – preislich bezogen -, und halten ihr Geld zusammen. Bau ich? Bau ich nicht? Sie warten erst mal ab, schauen, ob sie sich das leisten können. Und dann schauen sie weiter.“

Auftragseingänge stark zurückgegangen

Die Unsicherheit hat mehrere Gründe, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes (ZDB).
„Wir haben Corona- und kriegsbedingt deutliche Materialpreissteigerungen. Die Bauzinsen haben sich verdreifacht. Hinzu kommt die hohe Inflation. Das führt dazu, dass wir gerade im Wohnungsbau deutliche Rückschläge haben. Die Auftragseingänge sind sehr, sehr stark zurückgegangen.“
Das betrifft vor allem den Bau von Einfamilienhäusern und Mietwohnungen, aber auch Gewerbeimmobilien und Infrastrukturvorhaben wie Straßen und Kanalisationen in Städten und Gemeinden.
„Die Kommunen haben sowieso schon einen großen Investitionsstau: 150 Milliarden Rückstand in den kommunalen Investitionen. Hier muss der Bund, müssen die Länder den Kommunen gezielt helfen!“

Weniger Regulierung gefordert

Aber Bund und Länder ächzen selbst unter Geldmangel und halten das Staatssäckel derzeit eher zu – zumindest was Bauprojekte angeht. Josef Wallner vom bayerischen Bau- und Industrieverband rechnet nicht mit zusätzlichen staatlichen Investitionen. Ihm würde es schon reichen, wenn der Staat in Sachen Regulierung und Bürokratie die Fesseln lösen würde.
„Wir sagen immer: Zum Kostenanstieg im Bau trägt der Staat einen Großteil bei. Übrigens auch bei seinen eigenen Gebäuden. Wir haben im Baugewerbe sehr hohe Anforderungen. Andere Länder haben weniger hohe Anforderungen. Zum Beispiel die Niederlande. Und holländische Häuser stürzen auch nicht ein!“

In Ballungszentren fehlen Wohnungen

In den letzten zehn Jahren sind mehrere Millionen Menschen nach Deutschland gekommen: Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder der Ukraine, Arbeitsmigranten aus Europa und Asien, Studenten aus aller Welt. Sie bräuchten dringend mehr Wohnraum.
„Im Bund gibt’s ja diese Zahl: 400.000 Wohnungen pro Jahr. Das ist noch nie erreicht worden. Das rückt jetzt in noch weitere Ferne. Diese Wohnungen würden vor allem in den Ballungszentren gebraucht. In den Städten und Metropolregionen. Dort sind die Grundstücke knapp und schwierig zu bekommen.“
In früheren Jahren galt in der Baubranche die Faustregel: „Auf zwei Kostenblöcke schau‘ – Grund und Bau!“ Grundstückspreise sind in Ballungsräumen schon seit Jahrzehnten exorbitant hoch. Jetzt explodierten auch noch die Baupreise, stöhnt Michael Klement.

Baustoff Zement wird knapp

Wichtigster Baustoff: Zement. Und ausgerechnet der wird knapp. Grund: Bei der Zement-Produktion entsteht sehr viel umweltbelastendes CO2. Die Hersteller müssen in Zukunft mehr Kohlendioxid einsparen. Das verknappt den Rohstoff und steigert den Preis. Die Branche sucht inzwischen verstärkt nach Zement-Alternativen, erklärt Rohstoffexperte Karl Lichtblau.
„Wenn wir nach Substitutionen suchen, dann sind wir ganz schnell bei unspektakulären Rohstoffen wie Flugasche, Karbon, Kalzium, Stahlpulver oder Pilzen, die heute als ökologisch unkritisch gelten.“
Diese Baustoffe sind zwar im Vergleich zu Zement ökologisch nachhaltiger. Sie haben aber den Nachteil, so Karl Lichtblau von der Beratungsfirma IW Consult, „dass die Produktionskosten einfach deutlich höher sind als Zement. Also einen Technologiewechsel werden wir bei Zement meiner Einschätzung nach nur mit steigenden Preisen hinbekommen.“

Auch die Personalkosten steigen

Steigende Preise überall. Auch bei den Personalkosten. Hier wirken sich sowohl die Mindestlohn-Erhöhung als auch der Fachkräftemangel aus, sagt Bauinvestor Michael Klement. „Die werden im nächsten Jahr zu einer deutlichen Erhöhung kommen, auch weil es durch die Inflation zu Gehaltsanpassungen kommen wird.“
Der Österreicher Klement kritisiert die Bundesregierung. Sie sei der Bremser in Europa – nicht nur für die Baukonjunktur, sondern für das gesamte Wirtschaftswachstum. „Aus meiner Sicht wird die Wirtschaft unnötig entkurbelt. Mit zu vielen Forderungen und zu forschen Vorgaben rund um das Thema Nachhaltigkeit wird die Produktion gedrosselt und gestoppt.“

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Aber wie sollen sonst die CO2-Einsparungsziele erreicht werden? Gerade die Bauwirtschaft kann viel zur Nachhaltigkeit beitragen – sowohl beim Bau selbst als auch durch Energieeinsparung in Häusern und Gebäuden. Vom Thema „Flächenfraß“ ganz abgesehen. Josef Wallner vom bayerischen Bau- und Industrieverband fordert mehr Fantasie von Immobilienentwicklern, Häuslebauern und der Politik.
„Mehr Nachverdichtung, mehr Aufstockung bestehender Gebäude. Vielleicht auch Umbau überflüssig gewordener Hotels und überflüssig gewordener Unternehmensstätten zu Wohnungen. Mit einiger Fantasie ist da noch mehr möglich. Es muss ja nicht immer der Neubau sein.“
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