Klaus Englert ist Journalist und Buchautor. Er schreibt für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den Hörfunk, vornehmlich über architektonische und philosophische Themen. Des Weiteren ist er als Kurator für Architektur-Ausstellungen tätig. 2019 ist bei Reclam sein neues Buch erschienen: "Wie wir wohnen werden: Die Entwicklung der Wohnung und die Architektur von morgen".
Renaissance der Solidarität
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In Ballungsräumen wird Wohnraum immer teurer. Ein zentraler Lebensbereich ist zum Spielball von Spekulanten geworden. Wohnungsbaugenossenschaften sind ein bewährtes Gegenmodell zum Schutz vor der Profitgier der Anleger, sagt Journalist Klaus Englert.
Die Wohnungsgenossenschaften entstanden vor etwa hundert Jahren, als Folge der sozialen Verwerfungen des Industriekapitalismus. 1919 wurde das erste genossenschaftliche Wohnmodell der Schweiz vom späteren Bauhaus-Direktor Hannes Meyer errichtet. Subsistenzwirtschaft, gemeinsames Arbeiten und Wohnen waren Grundpfeiler des in der Nähe von Basel errichteten Modells.
Das Recht auf preiswerten und guten Wohnraum
Vor hundert Jahren ähnelte die gesellschaftliche Lage in den Staaten des Industriekapitalismus der heutigen: exzessive Steigerung der Wohnungsrendite, großer Wohnungsbedarf und große Wohnungsengpässe. Die Gründung von Wohnungsgenossenschaften war nicht nur eine der Folgen des Kapitalismus, sondern auch eine Reaktion auf die Verarmung größerer Bevölkerungsschichten, die die teuren Mieten in den Großstädten nur mit großer Mühe zahlen konnten.
Für Arbeiter war es verlockend, ihren feuchten, dunklen und engen Behausungen zu entkommen, in Wohnungsgenossenschaften einzutreten und damit das Recht auf preiswerten und guten Wohnraum zu erlangen. Denn hier sind die Bewohner nicht nur Mieter, sondern gleichzeitig Teilhaber an einer Eigentümergemeinschaft, in deren Mittelpunkt nicht der Profit, sondern die Interessen der Genossenschaftler stehen.
Wiederentdeckung eines attraktiven Modells
Die Idee hat sich bis heute bewährt: In westlichen Metropolen wie Berlin, Zürich und Barcelona feiert das Genossenschaftsmodell mittlerweile eine regelrechte Renaissance. Viele haben erkannt, dass ein lebenslanges und vererbbares Wohnrecht, aber auch die Garantie gleichbleibender oder nur geringfügig steigender Mieten ungeheuer attraktiv sind.
Die Wohnungsgenossenschaften sind heute mehr denn je ein Ort der Solidarität in einem umkämpften, durch Spekulationen angeheizten Markt, der zusehends von mächtigen Immobiliengruppen unter sich aufgeteilt wird. Von internationalen Investoren und Fondsgesellschaften wie Blackrock, denen die Rendite oberstes Gesetz ist. Die Genossenschaften sind ein Mittel gegen die wachsende Privatisierung auf dem Wohnungsmarkt, sie vertreten das Recht auf Stadt gegenüber den kommerziellen Partikularinteressen.
Aus gutem Grund gehören in Berlin gut neun Prozent der den Genossenschaften, während im überteuerten Zürich immerhin 18 Prozent den Grundbestand der Genossenschaften ausmachen. Insgesamt sind in Zürich sogar 25 Prozent des Wohnungsbestands Eigentum von Kommune, öffentlichen Stiftungen oder Wohnungsgenossenschaften.
Die Politik hat versagt
Dass in Berlin die fünf größten kommerziellen Wohnungsunternehmen – Deutsche Wohnen, Vonovia, Ado, Covivio und Akelius – knapp 210.000 Wohnungen unter sich aufgeteilt haben, steht für das Versagen von Bundes- und Kommunalpolitik. Konkret bedeutet das: Der Bund strich vor Jahren das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz und die Kommunen privatisierten die staatlich geförderten Wohnungen.
Nutznießer waren die Immobilien-Unternehmen. Was damals noch zur Haushaltssanierung billig abgestoßen wurde, verwandelten sie in renditestarke Immobilien.
Die Macht der Wohnungsunternehmen wankt
Doch die große Rendite mit dem Wohnungseigentum steht in überhitzten Immobilienmärkten wie Berlin auf der Kippe. Die Macht von Deutsche Wohnen & Co. wankt. Es bleibt zu hoffen, dass die Genossenschaftler, die das Recht auf Wohnen verteidigen, den längeren Atem haben werden.
Neue Gemeinschaftsprojekte eröffnen neue stadtpolitische Perspektiven und verteidigen das Recht der Bürger auf ihre Stadt. Das ist nicht wenig in einer Zeit, in der die öffentlichen zusehends von kommerziellen Interessen verdrängt werden.