Verdrängen als Überlebensstrategie
Wie selbstgewählt ist das Leben auf der Straße? Wohnungslose Frauen geben sich oft tougher, als sie sind. Raubbau an der Gesundheit und niedrige Lebenserwartung blenden sie aus. Sozialmediziner sprechen vom "Zufriedenheits-Paradoxon".
In einer überdachten Einkaufspassage mitten in Mainz hat sich Nana ihr Freiluft-Wohnzimmer eingerichtet. Auf der Grundfläche einer dünnen Isomatte. "Ach ja, so dünn ist die gar nicht. Also, mein Hintern ist auf jeden Fall nicht kalt."
Trotz frostiger Temperaturen an diesem düsteren Dezember-Spätnachmittag. Nana kuschelt sich in dicke Decken. Auch ihren Mischlingshund deckt sie fürsorglich zu.
Der Hund Taboo soll nicht frieren. Seine Besitzerin trägt über einer Baseballkappe noch eine beigefarbene Wollmütze, tief ins schmale Gesicht gezogen. Eine grün gefärbte Strähne schaut raus. Will sie als Frau nicht erkannt werden?
"Ach, was - nein. Das ist, weil es hier so zugig ist." Angst hat Nana nicht, auch nachts nicht. Da baut sie auf ihren Freund, der neben ihr schläft, und ihren Hund. Nana schiebt die Kappe aus dem Gesicht. "Undercover hat sich hier in Mainz schon erledigt."
Viele Passanten kennen sie. "Danke schön!"
Bringen ihr mal eine Brezel, einen Kaffeebecher oder ein Buch.
"Manchmal ist es sogar so, wenn ich jemanden zufällig mal eine Weile nicht getroffen habe, weil wir zeitlich einfach nicht am selben Platz waren, dann kriege ich manchmal schon zu hören 'Ooch, Gott sei Dank, wir haben uns schon Sorgen gemacht – so lange nicht mehr gesehen'. Ist schon süß, ja."
Trotz frostiger Temperaturen an diesem düsteren Dezember-Spätnachmittag. Nana kuschelt sich in dicke Decken. Auch ihren Mischlingshund deckt sie fürsorglich zu.
Der Hund Taboo soll nicht frieren. Seine Besitzerin trägt über einer Baseballkappe noch eine beigefarbene Wollmütze, tief ins schmale Gesicht gezogen. Eine grün gefärbte Strähne schaut raus. Will sie als Frau nicht erkannt werden?
"Ach, was - nein. Das ist, weil es hier so zugig ist." Angst hat Nana nicht, auch nachts nicht. Da baut sie auf ihren Freund, der neben ihr schläft, und ihren Hund. Nana schiebt die Kappe aus dem Gesicht. "Undercover hat sich hier in Mainz schon erledigt."
Viele Passanten kennen sie. "Danke schön!"
Bringen ihr mal eine Brezel, einen Kaffeebecher oder ein Buch.
"Manchmal ist es sogar so, wenn ich jemanden zufällig mal eine Weile nicht getroffen habe, weil wir zeitlich einfach nicht am selben Platz waren, dann kriege ich manchmal schon zu hören 'Ooch, Gott sei Dank, wir haben uns schon Sorgen gemacht – so lange nicht mehr gesehen'. Ist schon süß, ja."
Von der Schule "auf die Platte" gewechselt
Der kleine Bücherstapel unter Nanas Geldkästchen ist ihr Markenzeichen. Und dass sie oft da sitzt und liest. Alles – außer Liebesromane: "Weil die alle gleich sind. Aber so ist es leider mit vielem - auch mit Fantasy-Romanen, da muss man schon gucken."
"Danke schön." Linda, Passantin im warmen rostroten Mantel, hat gerade ein paar Münzen ins Kästchen gelegt. "Ich lauf' immer an ihr vorbei. Bei der Kälte jetzt mache ich mir einfach Sorgen. Ich wollte sie immer schon mal fragen, warum."
Und jetzt fasst sich Linda ein Herz, spricht Nana auf ihre Obdachlosigkeit an. "Selbst gewählt", antwortet Nana. Seit mehr als zehn Jahren sei sie schon unterwegs. Von der Schule "auf die Platte" gewechselt sozusagen. Vorher hatte sie geschwänzt, war erst vom Gymnasium, dann von der Realschule geflogen. Mit dem Hauptschul-Abschluss zog sie zuhause aus. Aus einem beschaulich-langweiligen Dorf bei Sinsheim ins 20 Kilometer entfernte Heidelberg – unter die Brücke zu Punker-Freunden. Die fanden – wie sie – das Leben in einer festen Wohnung spießig. Die Clique lebt heute verstreut über ganz Deutschland, aber ein fester Kern trifft sich immer noch, erzählt Nana.
"Ja, in erster Linie ging es darum, mobil zu sein. Nicht nur in Deutschland, sondern auch außerhalb von Deutschland unterwegs. Sinn der Obdachlosigkeit war eigentlich das Rumziehen."
Mit der Freiwilligkeit ist das so eine Sache, weiß Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin. Mit dem Arztmobil des Vereins Armut und Gesundheit versorgt er Nana und andere Mainzer Obdachlose medizinisch. Heute winkt Nana ab, kein Bedarf.
"Sie brauchen nix?", fragt er. "Nee, mir geht es gut so weit." Nana hält sich für abgehärtet. "Ich glaube, wenn man lange draußen ist, lernt der Körper sowieso, anders damit umzugehen. Es kommt nicht so oft vor, dass ich krank bin."
Der Sozialmediziner beurteilt das Leben auf der Straße weniger optimistisch: "Also, viele sind kränker - zunehmend. Das Leben auf der Straße zehrt an der Gesundheit und führt eben auch zu einem früheren Sterben."
"Danke schön." Linda, Passantin im warmen rostroten Mantel, hat gerade ein paar Münzen ins Kästchen gelegt. "Ich lauf' immer an ihr vorbei. Bei der Kälte jetzt mache ich mir einfach Sorgen. Ich wollte sie immer schon mal fragen, warum."
Und jetzt fasst sich Linda ein Herz, spricht Nana auf ihre Obdachlosigkeit an. "Selbst gewählt", antwortet Nana. Seit mehr als zehn Jahren sei sie schon unterwegs. Von der Schule "auf die Platte" gewechselt sozusagen. Vorher hatte sie geschwänzt, war erst vom Gymnasium, dann von der Realschule geflogen. Mit dem Hauptschul-Abschluss zog sie zuhause aus. Aus einem beschaulich-langweiligen Dorf bei Sinsheim ins 20 Kilometer entfernte Heidelberg – unter die Brücke zu Punker-Freunden. Die fanden – wie sie – das Leben in einer festen Wohnung spießig. Die Clique lebt heute verstreut über ganz Deutschland, aber ein fester Kern trifft sich immer noch, erzählt Nana.
"Ja, in erster Linie ging es darum, mobil zu sein. Nicht nur in Deutschland, sondern auch außerhalb von Deutschland unterwegs. Sinn der Obdachlosigkeit war eigentlich das Rumziehen."
Mit der Freiwilligkeit ist das so eine Sache, weiß Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin. Mit dem Arztmobil des Vereins Armut und Gesundheit versorgt er Nana und andere Mainzer Obdachlose medizinisch. Heute winkt Nana ab, kein Bedarf.
"Sie brauchen nix?", fragt er. "Nee, mir geht es gut so weit." Nana hält sich für abgehärtet. "Ich glaube, wenn man lange draußen ist, lernt der Körper sowieso, anders damit umzugehen. Es kommt nicht so oft vor, dass ich krank bin."
Der Sozialmediziner beurteilt das Leben auf der Straße weniger optimistisch: "Also, viele sind kränker - zunehmend. Das Leben auf der Straße zehrt an der Gesundheit und führt eben auch zu einem früheren Sterben."
Traberts Erfahrung ist, dass bei Wohnungslosigkeit oft Alkohol und illegale Drogen eine Rolle spielen, mal als Ursachen, mal als Folgen.
Das "Zufriedenheits-Paradoxon" als Überlebensstrategie
"Wir kennen auch das Phänomen 'Zufriedenheits-Paradoxon', dass man die eigene Situation positiver einschätzt, als sie objektiv ist. Um einfach auch in dieser Situation überleben zu können. Wenn ich mir dann noch mal verdeutliche, wie schlimm die Situation ist, wie dramatisch die Gründe waren, warum ich vielleicht auf die Straße gegangen bin, dann wird das noch schwieriger, Überlebensstrategien zu entwickeln."
Zweimal begleite ich Gerhard Trabert bei seinen drei-, vierstündigen Arztmobil-Runden zu den Hotspots der Wohnungslosen in ganz Mainz. An einem dunklen Donnerstagabend im Dezember und an einen hellen Dienstagmorgen im Februar. Schaue mit ihm unter Brücken, in Passagen, Notwohnungen, Container. Und rede mit ihm über das Wegschieben und Verdrängen von dramatischen Lebensumständen. Das macht der Sozialmediziner nämlich als Begleiterscheinung oder als eine der Ursachen von Obdachlosigkeit aus.
"Taboo" – die unausgesprochene Übereinkunft, bestimmte Dinge nicht anzusprechen – daran hat Nana vermutlich nicht gedacht, als sie ihren Hund so nannte. Dass sie bei aller Offenheit reserviert bleibt, führe ich auf Tabus, zurück, die ihr Leben auf der Straße bedingen und begleiten.
Anfangs reizte Nana das Herumziehen, aber mit Mitte zwanzig wird es ihr zu anstrengend, täglich einen neuen Schlafplatz zu suchen. Sie bleibt in Mainz, zeltet dort in der warmen Saison mit ihrem Freund an abgelegenen Orten. Tagsüber lässt sich Nana in der Einkaufspassage am Dom nieder. Weil sie da Geld sammeln kann, "schnorren", nennt sie das. "Und wenn es jetzt richtig kalt wird im Winter?", fragt Linda, die Passantin, die ihren Nachnamen nicht preisgeben will.
"Ich kann mir das Wetter leider nicht aussuchen."
"Aber gerade so nachts, gibt's da einen Platz, wo man hingehen kann?"
"Ja, jetzt gibt's die Container bald, also ab morgen."
"Ab morgen." – "Ja."
Passantin Linda ist beruhigt. Erstmals zieht Nana zu Winteranfang in einen beheizten Vier-Bett-Container. Bislang schlief sie nur im kältesten Teil der Saison in der kleinen Containersiedlung, die von der Stadt Mainz immer vor Jahresende aufgebaut wird. Doch der vergangene Winter war so eisig, dass dauernd das Wasser im Hundenapf gefror. Und dieser wird lang, glaubt Nana. In der Einkaufspassage sitzt die Endzwanzigerin oft allein, aber im Container übernachtet sie mit ihrem Freund und zwei anderen Männern.
"Ich habe Glück, wir haben zwei Freunde, mit denen wir in den Container gehen. Und dann ist das zwar auch ziemlich eng, aber es ist in Ordnung."
"Und die Männer sind okay?"
"Ja klar, sonst würde ich nicht mit denen in die Container gehen."
"Taboo" – die unausgesprochene Übereinkunft, bestimmte Dinge nicht anzusprechen – daran hat Nana vermutlich nicht gedacht, als sie ihren Hund so nannte. Dass sie bei aller Offenheit reserviert bleibt, führe ich auf Tabus, zurück, die ihr Leben auf der Straße bedingen und begleiten.
Anfangs reizte Nana das Herumziehen, aber mit Mitte zwanzig wird es ihr zu anstrengend, täglich einen neuen Schlafplatz zu suchen. Sie bleibt in Mainz, zeltet dort in der warmen Saison mit ihrem Freund an abgelegenen Orten. Tagsüber lässt sich Nana in der Einkaufspassage am Dom nieder. Weil sie da Geld sammeln kann, "schnorren", nennt sie das. "Und wenn es jetzt richtig kalt wird im Winter?", fragt Linda, die Passantin, die ihren Nachnamen nicht preisgeben will.
"Ich kann mir das Wetter leider nicht aussuchen."
"Aber gerade so nachts, gibt's da einen Platz, wo man hingehen kann?"
"Ja, jetzt gibt's die Container bald, also ab morgen."
"Ab morgen." – "Ja."
Passantin Linda ist beruhigt. Erstmals zieht Nana zu Winteranfang in einen beheizten Vier-Bett-Container. Bislang schlief sie nur im kältesten Teil der Saison in der kleinen Containersiedlung, die von der Stadt Mainz immer vor Jahresende aufgebaut wird. Doch der vergangene Winter war so eisig, dass dauernd das Wasser im Hundenapf gefror. Und dieser wird lang, glaubt Nana. In der Einkaufspassage sitzt die Endzwanzigerin oft allein, aber im Container übernachtet sie mit ihrem Freund und zwei anderen Männern.
"Ich habe Glück, wir haben zwei Freunde, mit denen wir in den Container gehen. Und dann ist das zwar auch ziemlich eng, aber es ist in Ordnung."
"Und die Männer sind okay?"
"Ja klar, sonst würde ich nicht mit denen in die Container gehen."
Geslöst aus "den Fesseln" von Hartz-IV und Arbeitsamt
Für Nana mag das klar sein. Viele obdachlose Frauen aber riskieren auf der Straße ihre Selbstbestimmung, nicht nur die sexuelle.
"Gerade Frauen haben große Probleme", bestätigt Ma-ah-tee. Ich treffe sie auf der Arztmobil-Tour vor der Psychosozialen Beratungsstelle der evangelischen Mission Leben. Das diakonische Unternehmen betreibt dort einen Tagestreff. Obdachlose Frauen und Männer können sich dort duschen oder ihre Wäsche waschen.
Während der Arzt die Seitentür seines Transporters am Straßenrand aufschiebt und damit sein mobiles Sprechzimmer öffnet, kommt Ma-ah-tee aus der Tür des Treffs. Offen und gesprächig. Vor zehn Jahren löste sich die 62-Jährige aus "den Fesseln" von Hartz-IV und Arbeitsamt – so jedenfalls stellt sie selbst das dar.
Als die Töchter aus dem Haus waren, gab sie ihre Wohnung auf und lebt nun wie Nana im Zelt an einem abgelegenen Ort auf der anderen Rheinseite. Allerdings ganzjährig. "Ich hab jetzt ein Hauszelt, das ist abisoliert durch Notfallfolie, durch Planen. Ich hab einen Gaskocher, wenn ich den anmache, dann habe ich in fünf Minuten eine warme Bude."
Bei der Arbeitsagentur in Mainz kann sich Ma-ah-tee ihren Tagessatz abholen - oder sie kann es lassen. Sie muss niemandem Rechenschaft ablegen. Das ist ihre neue Freiheit. Die Fußmärsche über den Rhein vom Zelt zum Amt und zum Duschen lindern ihr langjähriges Gelenkrheuma.
"Meine Allergien haben sich zurückgenommen, ich kann mittlerweile fast alles essen. Das ist sehr viel auch ein seelisches Problem gewesen, was ich hatte - durch dieses Eingesperrt-Sein. Dieses Eingesperrt-Sein ist weg, dadurch geht es mir besser. Das ist aber eine große, große Ausnahme. Die meisten auf der Straße – denen geht es verdammt schlecht. Der Doktor, der ist immer ganz erstaunt, weil es stimmt wirklich: Es geht mir, seit ich draußen bin, ging es mir von Woche zu Woche und Monat zu Monat besser."
"Der Doktor", Gerhard Trabert, sieht Ma-ah-tees Wohlergehen auf der Straße nicht ganz so euphorisch. Sie führe das kräftezehrende und für Frauen gefährliche Leben ja noch nicht so lange, erzählt er mir später im Auto. Auf Dauer sei die Platte ungesund.
Bei der Arbeitsagentur in Mainz kann sich Ma-ah-tee ihren Tagessatz abholen - oder sie kann es lassen. Sie muss niemandem Rechenschaft ablegen. Das ist ihre neue Freiheit. Die Fußmärsche über den Rhein vom Zelt zum Amt und zum Duschen lindern ihr langjähriges Gelenkrheuma.
"Meine Allergien haben sich zurückgenommen, ich kann mittlerweile fast alles essen. Das ist sehr viel auch ein seelisches Problem gewesen, was ich hatte - durch dieses Eingesperrt-Sein. Dieses Eingesperrt-Sein ist weg, dadurch geht es mir besser. Das ist aber eine große, große Ausnahme. Die meisten auf der Straße – denen geht es verdammt schlecht. Der Doktor, der ist immer ganz erstaunt, weil es stimmt wirklich: Es geht mir, seit ich draußen bin, ging es mir von Woche zu Woche und Monat zu Monat besser."
"Der Doktor", Gerhard Trabert, sieht Ma-ah-tees Wohlergehen auf der Straße nicht ganz so euphorisch. Sie führe das kräftezehrende und für Frauen gefährliche Leben ja noch nicht so lange, erzählt er mir später im Auto. Auf Dauer sei die Platte ungesund.
Die Frau in den schwarzen Klamotten widerspricht: "Das ist aber der Normalfall – aber ich bin nicht normal!"
Ma-ah-tee: Frauen machen sich in Beziehungen klein
Ma-ah-tee hat ihren ersten Winter im eisigen Jahr 2010 im Zelt überstanden und glaubt, ab jetzt jeden Frost verkraften zu können. Die viel jüngere Nana kehrt nachts lieber in den engen Vierer-Container zurück, selbst wenn es in der kleinen männerdominierten Siedlung rund um ihre WG oft laut und ruppig zugeht.
Ma-ah-tee ist kräftig gebaut - das Gegenprogramm zu der zarten jungen Nana mit den blond-bunten Haaren und der etwas piepsigen Stimme. Die resolute Ma-ah-tee beobachtet, dass sich viele Frauen auf Platte in konfliktreichen Beziehungen kleinmachen, unterordnen:"Dass es also wirklich große Reibereien gibt, sie sich dann immer wieder zurücknehmen, denn sie brauchen ja den Mann zum Schutz. Und eine Frau, die den Mann zum Schutz braucht, die hat im Grunde noch mehr verloren als eine, so wie ich, die dann sagt 'Komm Junge – nicht mit mir.'"
Bei den jüngeren Pärchen ist es besonders schlimm, beobachtet Ma-ah-tee, oft zerstörerisch für die Frauen. Nur eine harmonisch wirkende Ausnahme kennt sie: Nana und ihren Freund. "Die sind nicht verheiratet, aber die leben glücklich zusammen. Die haben auch ihren Platz, die haben ihren Hund, da ist die Beziehung auch in Ordnung. Aber halt nicht ganz drogenfrei", meint Ma-ah-tee.
Drogenabhängigkeit kann Obdachlosigkeit verfestigen, kommentiert Gerhard Trabert im Auto auf den wenigen Metern zur Container-Siedlung auf der Anhöhe. Aber um vom Wohnungslosen zum "Wohnenden" zu werden, sei nicht unbedingt ein harter Entzug nötig. Ersatzprogramme mit Methadon und synthetischem Heroin ermöglichten Abhängigen in Großstädten längst ein bürgerliches Leben in vier Wänden.
Bei den jüngeren Pärchen ist es besonders schlimm, beobachtet Ma-ah-tee, oft zerstörerisch für die Frauen. Nur eine harmonisch wirkende Ausnahme kennt sie: Nana und ihren Freund. "Die sind nicht verheiratet, aber die leben glücklich zusammen. Die haben auch ihren Platz, die haben ihren Hund, da ist die Beziehung auch in Ordnung. Aber halt nicht ganz drogenfrei", meint Ma-ah-tee.
Drogenabhängigkeit kann Obdachlosigkeit verfestigen, kommentiert Gerhard Trabert im Auto auf den wenigen Metern zur Container-Siedlung auf der Anhöhe. Aber um vom Wohnungslosen zum "Wohnenden" zu werden, sei nicht unbedingt ein harter Entzug nötig. Ersatzprogramme mit Methadon und synthetischem Heroin ermöglichten Abhängigen in Großstädten längst ein bürgerliches Leben in vier Wänden.
"Das Arztmobil ist da!" Nana hatte mir signalisiert, dass sie in der Container-Unterkunft keinen Besuch möchte. Mit drei Männern in einem Raum gibt es ohnehin keine Intimsphäre. Das Mainzer Winterquartier aus sieben Wohn-, einem Sanitär- und Dusch-Container liegt in einer ruhigen Sackgasse zwischen einem Park und einem Sandstein-Festungsbau aus dem 19. Jahrhundert. Sozialarbeiter der "Mission Leben" betreuen die Anlage. Und "der Doktor" schaut regelmäßig vorbei. "Das Arztmobil ist da – wenn Sie was brauchen!"
Abschließbare Waschräume für Frauen sind unabdingbar
An dem Februarmorgen, an dem ich mich trotz Nanas Veto in die Container-Siedlung wage, öffnet auf Traberts Rufen hin keiner aus ihrer Vierer-Unterkunft die Tür. Vielleicht schlafen sie noch, vielleicht sind sie schon unterwegs.
Der Sozialmediziner wirft einen kurzen Blick in den Hygiene-Container, runzelt die Stirn. "Da hat irgendjemand die Tür an der Toilette rausgerissen, das ist halt dann immer blöd."
Vandalismus - an der Tagesordnung. Im vergangenen Jahr hatten Bewohner die Duschen demoliert, sodass man die Türen nicht mehr verriegeln konnte. Die Randalierer haben jetzt Hausverbot. Abschließbare Waschräume für Frauen - Professor Trabert findet das unabdingbar: "Frauen brauchen diesen besonderen Schutzraum, weil alle Untersuchungen zeigen, dass gerade auch Frauen auf der Straße häufiger Gewalt – sexueller Gewalt – ausgesetzt sind."
Und dass sie oft erst in die Wohnungslosigkeit gerutscht sind, weil sie vorher sexuell missbraucht wurden, weisen die Studien auch nach. "Deshalb ist es so wichtig, dass man diese separaten Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen schafft."
Der Mediziner schaut auf den neuen separaten Frauen-Container. Den hat die Stadt Mainz unlängst aufgestellt, weil Trabert und sein Verein nicht locker ließen. Vor einem Jahr war einer Frau, die auch im Winter gezeltet hatte, nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ein Platz im Männer-Container angeboten worden.
"Und dann hat sie gesagt: nein. Was auch nachvollziehbar war, und dann ist sie leider eine Woche später in ihrem Zelt gestorben. Und das hat uns sehr betroffen gemacht. Und dann haben wir gesagt: Natürlich muss es einen separaten Frauen-Container geben. Das war für uns beschämend, dass wir jetzt erst darauf gekommen sind, das auch so vehement einzufordern."
Vandalismus - an der Tagesordnung. Im vergangenen Jahr hatten Bewohner die Duschen demoliert, sodass man die Türen nicht mehr verriegeln konnte. Die Randalierer haben jetzt Hausverbot. Abschließbare Waschräume für Frauen - Professor Trabert findet das unabdingbar: "Frauen brauchen diesen besonderen Schutzraum, weil alle Untersuchungen zeigen, dass gerade auch Frauen auf der Straße häufiger Gewalt – sexueller Gewalt – ausgesetzt sind."
Und dass sie oft erst in die Wohnungslosigkeit gerutscht sind, weil sie vorher sexuell missbraucht wurden, weisen die Studien auch nach. "Deshalb ist es so wichtig, dass man diese separaten Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen schafft."
Der Mediziner schaut auf den neuen separaten Frauen-Container. Den hat die Stadt Mainz unlängst aufgestellt, weil Trabert und sein Verein nicht locker ließen. Vor einem Jahr war einer Frau, die auch im Winter gezeltet hatte, nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus ein Platz im Männer-Container angeboten worden.
"Und dann hat sie gesagt: nein. Was auch nachvollziehbar war, und dann ist sie leider eine Woche später in ihrem Zelt gestorben. Und das hat uns sehr betroffen gemacht. Und dann haben wir gesagt: Natürlich muss es einen separaten Frauen-Container geben. Das war für uns beschämend, dass wir jetzt erst darauf gekommen sind, das auch so vehement einzufordern."
Nana hat den Rat des Mediziners angenommen
Dass die blasse, dünne Nana seinen Rat angenommen hat und die Winternächte jetzt im warmen Container verbringt, beruhigt ihn. Vom Alter her könnte Nana meine Tochter sein. Vermutlich würde ich als Mutter versuchen, sie vom Leben auf der Straße abzubringen. Nana lächelt: "Nee, nee, meine Mama macht das nicht. Aber meine Mama kennt mich auch. Das hätte auch keinen Sinn. Aber meine Mama weiß auch, dass ich nicht auf der Straße sterben werde. Sie weiß auch, dass da auf jeden Fall noch was kommt."
Und was? "Auf jeden Fall was anderes, ja." Ihre Mutter macht sich Sorgen, weiß Nana. Deshalb hat sie sich unlängst von ihr überzeugen lassen, zumindest ein Handy zu haben. Ihre Chancen, aus der Obdachlosigkeit herauszufinden? Schwer zu beurteilen, auch für einen Insider wie Gerhard Trabert.
"Bei Jüngeren habe ich häufig das Gefühl, da sind es doch gravierende Erfahrungen gewesen, in der Kindheit, im Jugendalter - und da einen Zugang zu finden, vielleicht eine Möglichkeit auch des Austauschs, der Therapie, der Selbstfindung - das ist etwas ganz Entscheidendes. Es kommt darauf an, dass derjenige selbst dahintersteht."
Nana überlegt, nochmal auf die Schule zu gehen. Mehr zu wissen, reizt sie. Aber ob das reicht, um wieder in ein Leben mit Stundenplänen einsteigen zu können? Sie bräuchte den festen Willen dazu, glaubt Gerhard Trabert. Ob sie den aufbringt? Der Arzt zuckt die Schultern.
Und was? "Auf jeden Fall was anderes, ja." Ihre Mutter macht sich Sorgen, weiß Nana. Deshalb hat sie sich unlängst von ihr überzeugen lassen, zumindest ein Handy zu haben. Ihre Chancen, aus der Obdachlosigkeit herauszufinden? Schwer zu beurteilen, auch für einen Insider wie Gerhard Trabert.
"Bei Jüngeren habe ich häufig das Gefühl, da sind es doch gravierende Erfahrungen gewesen, in der Kindheit, im Jugendalter - und da einen Zugang zu finden, vielleicht eine Möglichkeit auch des Austauschs, der Therapie, der Selbstfindung - das ist etwas ganz Entscheidendes. Es kommt darauf an, dass derjenige selbst dahintersteht."
Nana überlegt, nochmal auf die Schule zu gehen. Mehr zu wissen, reizt sie. Aber ob das reicht, um wieder in ein Leben mit Stundenplänen einsteigen zu können? Sie bräuchte den festen Willen dazu, glaubt Gerhard Trabert. Ob sie den aufbringt? Der Arzt zuckt die Schultern.
Einen Berufswunsch hat die 28-Jährige nicht. Aber eine Vision schon: Leben in einem Bauwagen – irgendwie draußen, aber mit Heizung, wenn es nötig ist: "Das wäre auf jeden Fall schon mal was Gutes."