Proteste gegen neue Stadtteile in Berlin und Freiburg
Der Bedarf an Wohnraum in Städten ist groß. Um diesen zu decken, planen Berlin und Freiburg neue Stadtquartiere – auf Kosten von Mensch, Tier und Natur. Die Gegenstimmen sind laut und verlangsamen den Wohnungsneubau.
Die 'Erholungsanlage Blankenburg' ist eine der vielen Grünoasen, um die Berlin über seine Grenzen hinaus beneidet wird. Wohl gepflegte Gärten unter hoch gewachsenen Bäumen, akkurat beschnittene Hecken vor hübschen, bunten Eigenheimen. Idylle pur. An die Flugzeuge, die regelmäßig über die Anlage hinweg dröhnen, haben sich die meisten gewöhnt: "Alle die 400 Menschen, Parzellen-Eigentümer, die hier wohnen, die möchten hier bleiben."
Über 10.000 neue Wohnungen
Verärgert sind die Bewohner dagegen über die Politik. Sie sind sauer auf die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Denn die plant den Neubau von bis zu 10.600 Wohnungen auf einem riesigen Areal zwischen den Pankower Ortsteilen Blankenburg und Heinersdorf. Ein neues Stadtquartier soll hier entstehen, Arbeitstitel: Blankenburger Süden. Mittendrin die gar nicht so kleine Erholungsanlage.
Deren Vorstandsvorsitzende Ines Landgraf ist schockiert: "Es war von 6.000 die Rede auf dem Rieselfeld, jetzt werden es fast 11.000, und es wird über uns drüber geplant, ganz viele ältere und junge Menschen mit Kindern, ganze Familien werden hier vertrieben, wenn wir überplant werden – und das geht nicht."
Erholungsanlage Blankenburg
Wohnungsneubau ja, aber doch bitte auf der freien Ackerfläche daneben, einem Rieselfeld, und nicht hier, heißt es unisono in der 'Erholungsanlage Blankenburg'. 83 Hektar ist sie groß, über einhundert Jahre alt. Neben den 400 Eigenheimbesitzern wohnen hier noch zahlreiche Kleingärtner, die ein Grundstück gepachtet haben, und andere Mieter. Insgesamt etwa 4.000 Menschen, damit zählt die Anlage zu den größten ihrer Art in Europa. Seitdem die Senatspläne vor einem halben Jahr bekannt wurden, machen die Bewohner mobil.
Ines Landgraf und ihre Mitstreiter führen regelmäßig interessierte Politiker und Medienvertreter durch die Gärten.
"Also 'ne Eigentümerin hat gesagt: 'Wir wohnen schon so lange hier, und wir haben noch aus dem Zweiten Weltkrieg die Einschusslöcher im Keller, und mein Mann sträubt sich, die zu versiegeln, zu verputzen, weil: das ist noch mal so ein Relikt der Geschichte'. Ja, die Häuser stehen wirklich so lange schon in dritter, vierter, fünfter Generation, haben zwei Weltkriege überdauert, wir alle, unsere Häuslichkeiten, es durfte auch hier notgesiedelt werden, und das allein ist ja auch schon ein Indiz dafür, dass Wohnen schon ganz lange hier geht und gestattet ist."
Eiskalte Enteignung
Das Problem: Seit mehr als zwanzig Jahren ist der Blankenburger Süden als Potenzialfläche für Wohnungsneubau ausgewiesen – im Flächennutzungsplan. Es könnte jederzeit losgehen. Im März stellte die dafür zuständige Senatsverwaltung erstmals mehrere Bauvarianten für die Entwicklung des Stadtquartiers auf einer Bürgerversammlung vor. Von Einfamilien- bis Punkthochhäusern alles dabei. Mindestens 6.000 Wohnungen auf dem sogenannten Kerngebiet, dem 70 Hektar großen Rieselfeld. Um die 10.000, wenn man die Flächen daneben hinzuziehe, zum Beispiel die 'Erholungsanlage Blankenburg'.
Die Bewohner trauten ihren Ohren kaum: "Wir haben seit vorigem Jahr 'nen Garten dort gepachtet, haben 'ne Menge bezahlt, haben 'ne Menge Geld rein gesteckt, unsere Kinder wohnen dort, haben Eigentumsgrundstück mit zwei kleinen Kindern, die müssten auch runter da, …"
"Na, ganz mies fühlen sie sich an. Vor allen Dingen, weil ja die Pläne von der Bebauung schon seit hundert Jahren gehen, aber alle haben sich davor gescheut, und jetzt haben wir ne rot-rot-grüne Regierung, und die sagt: 'Ja, machen wir einfach so'. Also: eiskalte Enteinigung."
Unklarheit über Gebietsbegrenzung
Was die Siedler und Kleingärtner besonders erzürnt: Im Vorfeld sei es immer nur um die Bebauung des Kerngebiets gegangen, des Rieselfeldes, sagen sie. Das zeige eben, wie kompliziert der Prozess der Bürgerbeteiligung ist, meint Sebastian Scheel von der Linken, Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen: "Wir waren in der Tat alle miteinander etwas überrascht, dass die Erwartung war, wir reden eigentlich nur über diesen Kern. Und dass alle angrenzenden Bereiche maximal für die Frage der verkehrlichen Anbindung relevant sind. Wir haben anderthalb Jahre mit den Bürgerinitiativen, den betroffenen Vereinen, Verbänden, Kirche usw., alles was da so an Multiplikatoren in dem Bereich aktiv ist, gesprochen und haben mit ihnen eigentlich eine Vereinbarung über den Prozess erzielt. Innerhalb dieses Prozesses ist aber nie darüber geredet worden: Was machen wir eigentlich?"
"Gewinnen Sie unser Vertrauen zurück! Wie Sie das schaffen? Hängt an Ihnen."
Auf einer Bürgerwerkstatt im Mai war die Stimmung entsprechend angespannt. 70 der so genannten Multiplikatoren machten ihrem Unmut über die verschiedenen Planungsvarianten Luft. Dabei verbucht die Senatsverwaltung das Beteiligungskonzept als großen Erfolg, gar als Alleinstellungsmerkmal im Rahmen städtebaulicher Planungsprozesse. Alle Vorgänge seien transparent, die Anliegen der Bürger würden berücksichtigt, so die Argumentation.
"Die Möglichkeit, die Fehler von früher nicht zu wiederholen"
Dirk Kachel, ein kräftiger Mann, der in der 'Erholungsanlage Blankenburg' groß geworden ist und noch immer dort wohnt, überzeugt das nicht. Aber wenigstens ein Anfang sei gemacht: "Bisher war es einfach nur so gewesen: Die haben uns was vorn Latz gehauen, und wir haben gesagt, 'das machen wir nicht, nicht mit uns'. Wir wehren uns nicht gegen den Wohnungsbau. Wir wehren uns dagegen, dass wir vertrieben werden, damit andere Wohnungen bekommen. Es gibt genug Flächen, dass das Land Berlin bauen kann. Wat bringt 'ne Satellitenstadt, was zum Beispiel den Dorfkern von Blankenburg kaputt macht? Ich muss doch integriert sein, die Leute sollen sich wohlfühlen, auch Leute von außerhalb, wenn sie kommen, sollen sich wohlfühlen. Wer fährt denn nach Marzahn und setzt sich da in den Park rein zum Erholen vor den Hochhäusern? Hier ist die Möglichkeit, die Fehler von früher nicht zu wiederholen."
"Ich denke, gemeinsam können wir das wuppen. Können wir das hinbekommen, wenn wir das gemeinsame Verständnis des gemeinsamen Handelns und Planens wirklich ernst nehmen", so Staatssekretär Sebastian Scheel. Er und seine Verwaltung haben reagiert und haben die Präsentation der sogenannten Vorzugsvariante für das Stadtquartier Blankenburger Süden auf 2019 verschoben. Eigentlich sollte sie dem Abgeordnetenhaus schon in diesem Sommer vorgelegt werden.
"Es ist aber richtig, bei einem Vorhaben, das eigentlich mehr als ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen wird, in der Realisierung, dass man, wenn man merkt: Okay, wir haben hier noch mal die Notwendigkeit, diesen Umsteuerungsprozess zu machen, mit den Leuten gemeinsam über Varianten zu diskutieren und uns dann festzulegen, dass man sich dieses Jahr, was notwendig ist, noch mal Zeit nimmt. Wir werden dieses Jahr eh brauchen, um die Verkehrsführung auch noch mal abschließend zu beraten und bevor dort keine Straße und keine Straßenbahn ist, macht es auch keinen Sinn, dort eine Wohnung zu bauen, weil: Dann kommt keiner hin und auch keiner mehr weg. Und das kann ja nicht Sinn der Entwicklung sein."
Schulen, Kitas und Gewerbe
Natürlich sollen nicht nur Wohnungen entstehen. Auch mehrere Schulstandorte, Kitas und Gewerbeflächen sind geplant. Das lässt sich jedoch nur entwickeln, wenn die Verkehrssituation verbessert wird. Hier sind weitere Voruntersuchungen und Gutachten notwendig. Denn die alten Pläne sind längst überholt, sagt Dennis Buchner, der hier seinen Wahlkreis hat und für die SPD im Abgeordnetenhaus sitzt: "Die Tangentiale Verbindung Nord, über die geredet wird, das wäre einfach nur eine Verbindung von der Bundesstraße zur Autobahn, die würde zusätzlichen Verkehr hier in die Anlage bringen bzw. nach Blankenburg bringen und würde kein verkehrliches Problem lösen, es ist aber unsere Aufgabe, die Verkehrsprobleme jetzt zu lösen."
Überbauung
Und so kommt es, dass sich das Gesamtprojekt weiter verzögert – und die Koalitionspartner auf Konfrontationskurs gehen. Dennis Buchner, SPD, ist überzeugt: 6.000 Wohnungen sind Maximum: "Die Bezirksverordnetenversammlung in Pankow hat entschieden und hat sich klar für den Erhalt der Anlage Blankenburg ausgesprochen, und ich gehe davon aus, dass das Berliner Abgeordnetenhaus nichts mehr vorgelegt bekommt, was die Überbauung der Anlage Blankenburg vorsieht."
Linken-Staatssekretär Scheel findet derlei Prognosen dagegen fahrlässig. Auch wenn er zu erkennen gibt, dass diese eine zutreffen könnte: "Wenn wir Beteiligungsformate und Beteiligung von Bürgern ernst nehmen, und ich denke, auch der Genosse Buchner wird das tun, dann gehe ich fest davon aus, dass man diese Ergebnisse dann auch respektiert und dementsprechend mit den Leuten eine solche Variante entwickelt, wenn die dann heißt zum Beispiel: 'Wir wollen hier keine Wohnbebauung, alles soll so bleiben, wie es ist', dann wird das vielleicht schwierig sein in der Zukunft, aber mit dem können wir uns auch anfreunden, solange gewährleistet ist, dass wir die Frage der verkehrlichen Erschließung des Kerngebietes realisieren können."
"… nein, hier vorne das auf der Ecke, und das dahinter, das ist also auch Eigentum, ja, es müsste ganz schön viel entschädigt werden."
Kommunaler Wohnungsbau – ein langwieriger Prozess
In der Erholungsanlage selbst geht der Kampf weiter. Auch wenn es inzwischen zarte Hinweise gibt, die Wohnbebauungspläne seien vom Tisch. Vorstandsvorsitzende Ines Landgraf ist vorsichtig optimistisch: "Ich bin mir nicht sicher. Ich muss das erst irgendwo lesen, schwarz auf weiß, dann kann ich mir vorstellen, wenn man es aufschreibt, dass es nicht kommt, dass es dann tatsächlich nicht kommt, aber sicher bin ich mir nicht."
Das geplante Stadtquartier im Blankenburger Süden ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie kompliziert es mit dem kommunalen Wohnungsbau in Berlin ist. Die Fläche, zumindest das Kerngebiet, ist eigentlich gut geeignet für den Bau bezahlbarer Wohnungen. Es könnte jederzeit losgehen. Aber die Verwaltungsabläufe und Beteiligungsverfahren dauern. 100 neue Stellen sollen jetzt Abhilfe schaffen. Ob das soeben vorgelegte 'Handlungsprogramm zur Beschleunigung des Wohnungsbaus' tatsächlich greift, darf bezweifelt werden. Die Koalitionspartner von SPD, Linken und Grünen wollen jetzt die Plattenbauten aufstocken. Die in den 1990er Jahren für viel Geld rückgebaut wurden. In Blankenburg jedenfalls wird es noch lange dauern, bis der erste Bagger rollt.
"Wohnen oder Landwirtschaft. Klimaschutz oder Ende Erde" – die Bäuerin Monika Falkner formuliert drastische Alternativen. Und Bauer Erwin Wagner wäre froh, "wenn die Landwirte mal auf die Rote Liste kommen, dann geht’s uns auch besser".
Einheimische Lebensmittel sind gefragt in Freiburg, aber ihnen als Bauern nimmt man die Felder dafür weg, bemängeln Falkner und Wagner. Dass Landwirte sich für die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten anmelden – ein ungewöhnlicher Auftakt zur vogelkundlichen Wanderung des Naturschutzbundes Nabu. Gleich drei Dutzend Interessierte sind zum Ausflug in die Niederung des Dietenbachs gekommen, einschließlich Falkner und Wagner vier Landwirte – ebenfalls ungewöhnlich. Ihr Interesse an den Piepmätzen ist auch politisch motiviert, geben die Bauern mit Flächen im geplanten Mega-Quartier zu.
"Also, wir wollen regionale Landwirtschaft und Freiflächen erhalten, nicht nur in Freiburg, sondern Freiburg und Umgebung, deshalb haben wir uns gegründet vor eineinhalb Jahren. Wir sind eine Bürgerinitiative 'Pro Landwirtschaft und Wald in Freiburg-Dietenbach und Umgebung'", so Wortführerin Monika Falkner. "Wir haben uns zusammengefunden, weil wir finden, dass 170 Hektar der letzten landwirtschaftlichen Flächen hier in Freiburg erhalten werden sollen. Die Stadt Freiburg möchte einen Riesen-Stadtteil für 15.000 Menschen bauen."
Das größte Bauprojekt in der jüngeren Geschichte Freiburgs
Ein Drittel größer als das Rieselfeld-Neubauviertel von Mitte der 1990er Jahre. An dessen Straßenbahnendhaltestelle startet die abendliche Vogel-Wanderung in die noch unbebaute Niederung des Dietenbachs. Wie andere Umweltverbände opponiert auch der Naturschutzbund dagegen, dass im Freiburger Nordwesten neue Häuser aus dem Acker gestampft werden, das größte Bauprojekt in der jüngeren Geschichte der badischen Unistadt: mit 19 Kitas, zwei Turnhallen und einem Kostenvolumen von mehr als 600 Millionen Euro. Auf ihrer Exkursion will Nabu-Vogel-Expertin Lisa Maier zeigen, "was im Dietenbach unterwegs ist, was fliegt und singt vor allem. Und ja, jetzt würde ich sagen, laufen wir einmal ins Gebiet und schauen uns dann um."
Eine der ersten Stationen: das Langmattenwäldchen. "Es gibt kleinere Bäumchen, es gibt aber auch mehrere alte Bäume, die gerade von Spechten zum Höhlenbauen genutzt werden. Was man schon ein paarmal gehört hat im Hintergrund, war der Buntspecht, der so ein recht lautes Kick-Geräusch gemacht hat. Hier sieht man jetzt zum Beispiel, wie quasi für die Exkursion gemacht, eine von diesen Spechthöhlen", Lisa Maier deutet an einem Baumstamm hoch, schaut dann wieder zu Boden.
Eine der ersten Stationen: das Langmattenwäldchen. "Es gibt kleinere Bäumchen, es gibt aber auch mehrere alte Bäume, die gerade von Spechten zum Höhlenbauen genutzt werden. Was man schon ein paarmal gehört hat im Hintergrund, war der Buntspecht, der so ein recht lautes Kick-Geräusch gemacht hat. Hier sieht man jetzt zum Beispiel, wie quasi für die Exkursion gemacht, eine von diesen Spechthöhlen", Lisa Maier deutet an einem Baumstamm hoch, schaut dann wieder zu Boden.
Vogel- und Fledermaus-Arten werden gefährdet
"Wir haben gestern hier einen Hirschkäfer sehen können. Ich weiß nicht, vielleicht haben wir Glück jetzt in der Dämmerung, ob uns noch ein paar begegnen." Die seltenen Hirschkäfer lassen sich nicht blicken, aber erlauschen lassen sich Buchfink und Kleiber. Eine Art Koloratur-Sopran erklingt. "Von hier hinten hört man so ein hohes Geplätscher, das ganz hoch anfängt, und dann nach unten runter perlt, dann eine lange Pause: Das ist das Rotkehlchen", referiert die junge Naturschützerin. "Insgesamt sind in diesem Wäldchen hier und im Fronholz, das ist auf der anderen Seite von Dietenbach, 27 Brutvogelarten nachgewiesen, also eine ganze Menge."
"Dieses Wäldchen ist auch noch wichtig für Fledermäuse, da gibt es mehrere Fledermausarten", ergänzen zwei Exkursions-Teilnehmerinnen. "Wir unterbrechen mal ganz kurz die Vogelkunde für ein paar Bemerkungen über die Planungen zum Neubau-Stadtteil-Dietenbach."
Wenn die Bagger Richtung Dietenbach rollen, ist es mit der Vogel- und Fledermaus-Vielfalt im Langmattenwäldchen nämlich vorbei, fürchtet Georg Löser. Hier solle dann die Straßenbahn fahren, die den neuen Stadtteil ans Freiburger Zentrum anschließt. "Der ist ja noch lange nicht durch, obwohl viele denken, das wäre so", stellt der Chef des Freiburger Umweltvereins Ecotrinova klar. "Es ist ja noch viele Jahre Streit darum. Und wir von den Umweltschutz- und Naturschutzverbänden und Landwirten hoffen natürlich, dass wir gewinnen, ja."
"Dieses Wäldchen ist auch noch wichtig für Fledermäuse, da gibt es mehrere Fledermausarten", ergänzen zwei Exkursions-Teilnehmerinnen. "Wir unterbrechen mal ganz kurz die Vogelkunde für ein paar Bemerkungen über die Planungen zum Neubau-Stadtteil-Dietenbach."
Wenn die Bagger Richtung Dietenbach rollen, ist es mit der Vogel- und Fledermaus-Vielfalt im Langmattenwäldchen nämlich vorbei, fürchtet Georg Löser. Hier solle dann die Straßenbahn fahren, die den neuen Stadtteil ans Freiburger Zentrum anschließt. "Der ist ja noch lange nicht durch, obwohl viele denken, das wäre so", stellt der Chef des Freiburger Umweltvereins Ecotrinova klar. "Es ist ja noch viele Jahre Streit darum. Und wir von den Umweltschutz- und Naturschutzverbänden und Landwirten hoffen natürlich, dass wir gewinnen, ja."
Selbst die Grünen plädieren für den neuen Stadtteil
Innen zu verdichten, muss Vorrang vorm Bauen auf der grünen Wiese haben, ist Lösers Position. Doch auf die Grünen können Umwelt- und Naturschützer als klassische grüne Wählerklientel in der Dietenbach-Frage nicht bauen. Wenn Freiburg für alle erschwinglich bleiben soll, braucht man den neuen Stadtteil, findet die Ökopartei. Sie stützt sich dabei auf die Langfrist-Prognosen für den Wohnungsbedarf. Diese hatte die Stadt 2014 beim Berliner Büro empirica in Auftrag gegeben. Ergebnis: Bis 2030 wächst Freiburg dynamisch, und zwar auf mehr als 230.000 Einwohner mindestens, mehr als 260.000 höchstens. Daher brauche man bis 2030 mindestens 15.000 neue Wohnungen, berechnete empirica. Das sei nur mit dem Neubaugebiet Dietenbach zu machen.
So sieht es auch der parteilose Baubürgermeister Martin Haag: "Freiburg hat die letzten Jahre sehr viel in der Innenentwicklung gemacht. Wir haben keine größeren Kasernengelände mehr, das Vauban ist bebaut. Wir bebauen den alten Güterbahnhof, dort wird schon ein neues Stadt-Quartier entstehen. Und wenn wir jetzt die 15.000 Wohnungen annähernd erreichen wollen, dann brauchen wir einen neuen großen Stadtteil – und den wollen wir mit Dietenbach realisieren."
Lösungsansätze und Kritik
Mit 6.000 neuen Wohnungen soll das geplante Quartier also fast die Hälfte des prognostizierten Langfrist-Bedarfs erbringen. Doch Kritiker werfen der Stadt vor, für ihre Analyse ein Lobby-Unternehmen der Bauwirtschaft ausgewählt zu haben. Und mit Blick auf zunehmende Starkregen-Unwetter monieren die Umweltverbände: Neubau in einer hochwassergefährdeten Bachniederung, die aufgeschüttet werden müsste – nicht zeitgemäß.
Nabu-Mitglied Simone Rudloff setzt auf andere Trends: "Aldi baut nicht nur Supermärkte, sondern baut noch zwei Stockwerke Wohnungen oben drauf. Natürlich kann man das nicht überall machen, aber wenn es zusammenpasst – Wohnen und Gewerbe – könnte man überall noch aufstocken". Das findet auch Bäuerin Monika Falkner: "Da müsste sich die Sparkasse engagieren in meinen Augen, nicht im Neubau, sondern in der Aufstockung und in der innerstädtischen Entwicklung, aber da verdienen die nicht genug, das ist ja klar.
Allianz Landwirtschaft-Naturschutz gegen Flächenfraß
Das Bündnis von Bauern und Naturschützern mutet exotisch an, gibt Nabu-Chef Alexander Milles zu. Doch gemeinsam gegen den Flächenfraß zu kämpfen, ist beiden Seiten inzwischen wichtiger, als sich über Dünger und Pestizide zu zerfleischen. "Wenn man sich die Zahlen anschaut, die Bestandszahlen für so ziemlich jede Vogel- und Insektenart – dass da alles wegbricht – ich denke, dass die Allianz Landwirtschaft-Naturschutz ein Muss ist. Und wenn man sich da anfeindet, passiert gar nichts", prognostiziert Alexander Milles.
"Von einer konventionellen Landwirtschaft – die kann jederzeit zu einer Bio-Landwirtschaft werden. Wenn der Boden einmal versiegelt ist, ist fertig, dann kommen keine Schmetterlinge, keine Bienen. Nix mehr", ergänzt Bäuerin Falkner, BI-Chefin 'Pro Landwirtschaft und Wald'. "Warum? Weil der Aushub so enorm ist, wenn gebaut wird, dass Sie aus dem, was dann übrig bleibt, keine Landwirtschaft mehr betreiben können. Der Boden ist fertig, ja."
"Von einer konventionellen Landwirtschaft – die kann jederzeit zu einer Bio-Landwirtschaft werden. Wenn der Boden einmal versiegelt ist, ist fertig, dann kommen keine Schmetterlinge, keine Bienen. Nix mehr", ergänzt Bäuerin Falkner, BI-Chefin 'Pro Landwirtschaft und Wald'. "Warum? Weil der Aushub so enorm ist, wenn gebaut wird, dass Sie aus dem, was dann übrig bleibt, keine Landwirtschaft mehr betreiben können. Der Boden ist fertig, ja."
Statt Boden auf der Fläche von 84 Fußballfeldern 'fertigzumachen', also neu zu versiegeln, fordern die Aktivisten ein Leerstandskataster für Freiburg inklusive Ursachenforschung. Und energischer einzuschreiten gegen illegale Ferienwohnungen – die Zweckentfremdungssatzung macht das möglich. Außerdem: Wohnungstausch und Gemeinschafts-Wohnprojekte stärker fördern. Dass in Baden-Württemberg jährlich 65.000 neue Wohnungen gebraucht werden, wie die Wohnungswirtschaft ermittelt hat, glauben die Umweltverbände nicht.
Höhere Mietpreise durch Neubaugebiet
"Und gleichzeitig zweifeln wir auch die Entwicklung der Pro-Kopf-Wohnfläche an", so der Freiburger Nabu-Vorsitzende Alexander Milles. Auf 42 Quadratmetern soll der Pro-Kopf-Bedarf bis 2030 in Freiburg angeblich steigen, sei derzeit aber rückläufig, rechnet der junge Umweltwissenschaftler vor. Er hofft auf Martin Horn, den parteilosen Nachfolger des abgewählten grünen Oberbürgermeisters Salomon. Nur wenn 50% geförderter beziehungsweise bezahlbarer Wohnraum durchgesetzt werden könne, soll Dietenbach bebaut werden, hatte Horn erklärt. Milles und seine Mitstreiter sind sicher, dass diese Quote nicht zu realisieren ist. Jedes Neubaugebiet treibe den Mietspiegel weiter hoch, obachten die Skeptiker. Und Freiburg veranschlagt, so der Nabu-Chef, Ausgaben von 100.000 Euro pro Wohneinheit im Dietenbach: "Einfach dadurch, dass es außerhalb ist, dass man Infrastruktur neu erschließen muss, dass man Hochwasserschutz hat, dass man einen ganz anderen Artenausgleich durchführen muss – und da sind die Kosten entsprechend höher."
Lisa Maier vom Nabu-Vorstand führt die Hobby-Vogelkundler aus dem Langmattenwäldchen heraus. In der Ferne fließt der Dietenbach, erkennbar an einem grünen Saum am Horizont. Die 24-Jährige weist über die weite Feld- und Heckenlandschaft: "Das Offenland" – Lebensraum für die Feldlerche: früher ein Allerweltsvogel, heute vom Aussterben bedroht. Ein Brutpaar gibt es im Dietenbach noch; in den Hecken am Feldrand brüten Goldammer und Dorngrasmücke. Blick zum Himmel: "Hier können jetzt auch Greifvögel unterwegs sein. Ich war heute Mittag schon mal da und hab ein bisschen vorgeguckt, hier hatten ein paar Landwirte ihre Felder gepflügt, da war einiges los. Auf einem Feld waren zehn Störche unterwegs, die dort Nahrung gesucht haben, sieben Schwarzmilane, die gekreist haben, also vielleicht haben wir Glück."
Eine Hoffnung haben die Freiburger Naturfreunde jedenfalls: die Kommunalwahlen im kommenden Mai. Und eine neue Mehrheit im Gemeinderat, die das Neubauquartier im Dietenbach beerdigt.
Eine Hoffnung haben die Freiburger Naturfreunde jedenfalls: die Kommunalwahlen im kommenden Mai. Und eine neue Mehrheit im Gemeinderat, die das Neubauquartier im Dietenbach beerdigt.