Wohnungsnot

Kreative Lösungen sind gefragt

Überlegungen von Matt Aufderhorst |
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Einige haben zu große Wohnungen, andere zu kleine, aber niemand zieht um: Die explodierenden Mietpreise in den Städten führen zu weniger Bewegung auf dem Wohnungsmarkt. Der Journalist Matt Aufderhorst schlägt vor, Umzugswilligen eine Prämie zu zahlen.
Häuser zu bauen, kann dauern – nicht selten ewig und drei Tage. Wer deswegen verzichtet, hat trotzdem kein Dach überm Kopf. Es ist ein bisschen so, als wenn man sagt: Wenn ich nichts esse, bin ich hungrig. Oder präziser: Wenn ich nichts anbaue, also nichts zu ernten habe.
Allerdings ist das mit dem Anbauen, reden wir von bezahlbaren Wohnungen in Großstädten, eine heikle Sache, die wir als Gesellschaft trotz sozialen Wohnungsbauversprechen bislang weitgehend dem Markt überlassen haben. Einem Markt, der nicht an günstigen Wohnungen für flexiblere Lebensmodelle – mit mehreren Kindern, in polyamourösen Patchwork-Beziehungen, im lebenslustigen Alter, in Mehrgenerationen-WGs – interessiert ist, sondern, knallhart, profitorientiert handelt.
Zum Handeln gehört in dieser Logik übrigens das Nicht-Handeln: Bei mir um die Ecke, in der Berliner Rosenthaler Vorstadt, liegt etwa ein Grundstück seit Jahren brach, dessen passiver Wert – ein aktiver Verlust für die Wohnsituation im Kiez – steigt und steigt. Leute werden reich und reicher, indem sie anderen den Wohnraum vorenthalten. Eine asoziale Strategie, die es auch in Stuttgart, Leipzig, Düsseldorf oder München gibt.

Wohnungsknappheit macht andere reich

Die Alleinschuld für die Wohnungsmisere ist natürlich nicht nur der Politik anzukreiden, die sich mit Mietpreisbremse, gescheitert, oder Wohnkindergeld, urban irrelevant, immerhin an Steuerungselementen versucht hat. An Überhaupt-Versuchen hapert es – bei uns allen. Innovative Wohnmodelle kommen uns gar nicht in den Sinn. Obwohl viele mit den Räumen unzufrieden sind, die ihnen zur Verfügung stehen. Wir sind als Bürgerïnnen, die mieten, vermieten oder Grundrisse entwerfen, viel zu bequem. Anders ausgedrückt: altmodisch und häufig denkfaul.
gemeinschaft und solidarität werden kleingeschrieben, das HIER-ZIEHE-ICH-NIE-WIEDER-AUS dagegen groß. Ausnahmen wie der Berliner Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", der für die Verstaatlichung von Immobilienkonzernen eine Mehrheit gefunden hat, bestätigen eher die Trägheitsregel.

Wohnungstausch wäre eine gute Alternative

Was den Britïnnen als Klischee angehängt wird, "my home is my castle", stimmt für viele von uns: Wir betrachten die Wohnung als eine Burg, deren Beharrungsvermögen Schutz gewährt. Gewiss, zu wohnen heißt, Sicherheit zu haben. Aber diese starre Zuverlässigkeit könnte flexibler sein, den Lebensphasen angepasster.
Die eigenen vier Wände, wie sie jetzt sind, engen uns ein. Befreien wir uns vom Nullachtfünfzehn der Wohnschablonen! Lassen wir die Flat-Sharing-Zugbrücken runter. Fangen wir ruhig vermehrt mit dem Wohnungstauch an. Kreieren wir eine bundesweite Peer-to-Peer-Website, also einen direkten digitalen Austausch zwischen Wohnungsinhaberïnnen.
Erste zaghafte Versuche gibt es bereits in Städten wie Freiburg oder Köln. In Hamburg bietet die SAGA, ein kommunales Wohnungsunternehmen, eine Tauschbörse groß gegen klein an. Wer weniger Raum benötigt, tauscht mit Menschen, die mehr brauchen.

Staatliche Förderung könnte Tauschwillige animieren

Ja, das will genau bedacht sein. Die Angst, sich zu verschlechtern oder den gewohnten Stadtteil zu verlassen, muss man ausschließen. Selbst finanziell könnte sich ein Wohnungstausch allerdings lohnen. Die Mietpartei, die eine größere Wohnung verlässt, bekäme einen Bonus, der Umzug würde bezahlt. Der Quadratmeterpreis der neuen Wohnung darf außerdem nicht höher liegen als der entsprechende Preis der alten. Für Gerechtigkeit muss gesorgt sein. Wer draufzahlt, rührt sich nicht.
Wie das finanziert werden soll? Mit einer Bewegungs-Prämie, die mal nicht den Autoverkehr begünstigt: der W-Mobilität. Solch eine innovative W-Mobilität für diejenigen, die ihre große Wohnung verlassen, in Höhe von 9000 Euro, vergleichbar der E-Mobilität. Knauserigkeit zahlt sich nicht aus, brächte noch andere Vorteile: Wohnungen, die getauscht würden, könnten mit KfW-Fördermitteln energieeffizient renoviert werden. Die Nachhaltigkeit wäre dann sowohl sozial als auch klimafreundlich. Bewegung kreiert Offenheit, Offenheit Bewegung.

Matt Aufderhorst ist 1965 in Hamburg geboren. Er ist Radio- und Fernsehjournalist und Mitbegründer von »Authors for Peace«. Er studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur. Seine Essays über Architektur und Erinnerung sind unter anderem in »Lettre International« und »WOZ« erschienen.

© Ali Ghandtschi
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