Wolf Biermann über Liu Xia und China

"Wir wissen, dass das ein Schachspiel ist"

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Die Dichterin Liu Xia spricht bei einer Veranstaltung in Peking im Dezember 2009. Jetzt durfte sie nach langem Hausarrest nach Deutschland ausreisen. © picture alliance / dpa / Kyodo
Wolf Biermann im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
In Berlin findet zum ersten Todestag des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo ein Gedenkgottesdienst statt. Dessen Witwe Liu Xia durfte gerade nach Deutschland ausreisen. Darüber sprechen wir mit dem Liedermacher Wolf Biermann.
Liane von Billerbeck: Am ersten Todestag von Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo wird es in der Berliner Gethsemanekirche eine Gedenkveranstaltung geben. Seine Witwe, die Malerin, Dichterin und Fotografin Liu Xia wird daran vielleicht auch teilnehmen: In dieser Woche hat sie China nach acht Jahren Hausarrest verlassen und ist nach Deutschland gekommen. Für ihre Ausreise hatten sich auch die Schriftstellerin Herta Müller und der Liedermacher Wolf Biermann engagiert.

Lebenslänglicher Zweckpessimist

Herr Biermann, wie groß waren eigentlich Ihre Hoffnungen, dass die Ausreise von Liu Xia tatsächlich gelingen kann?
Wolf Biermann: Klein waren sie, sehr klein. Wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, bin ich ein lebenslänglicher Zweckpessimist. Ich rechne immer mit dem Schlimmsten, versuche aber auch, das Beste tatkräftig anzustreben und zu betreiben.
Der Liedermacher Wolf Biermann sitzt auf einer Bühne, singt ein Lied und spielt Gitarre
Unser Gesprächsgast: Der Liedermacher Wolf Biermann© imago/ Wiegand Wagner
Billerbeck: Was steckt für Sie hinter dieser chinesischen Entscheidung, dass Frau Liu Xia China verlassen konnte? War das Kalkül oder tatsächlich eine humanitäre Geste?
Biermann: Wir wissen beide, dass das ein Schachspiel und der einzelne Mensch darin eine Figur ist, mit der gespielt wird, die geopfert oder freigelassen wird. Es sind ziemlich perverse Zeiten, aber die sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit, dass man sich schon drüber freuen muss, dass ein Mensch, der schuldlos ist, aus dem Gefängnis wenigstens ins Exil getrieben wird.

Freude für diese "Menschin"

Liu Xia verdankt ihre Freilassung meiner Meinung nach auch der Kampagne des Schriftstellers Liao Yiwu, der im Exil in Berlin lebt. Sie verdankt ihre Freilassung aber natürlich auch dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Wenn der nicht in Rambomanier seine America-First-Politik machen würde mit dem Wirtschaftskrieg, der jetzt tobt, hätten die Chinesen ja nicht so ein großes Interesse daran, in Europa gutes Wetter in Europa zu machen. Weil ihnen ein starkes Europa ja sehr wichtig ist, weil China es sich günstiger stimmen will für die Geschäfte, die zu machen sind.
Die chinesische Dichterin und Malerin Liu Xia auf dem Flughafen in Helsinki. Sie lacht fröhlich in die Kamera
Die chinesische Dichterin und Malerin Liu Xia auf dem Flughafen in Helsinki© Jussi Nukari/Lehtikuva/dpa
Trotzdem freue ich mich ohne schiefes Maul, ohne Meckerei freue ich mich, dass dieser Mensch, diese Menschin, diese Frau, die Witwe des Liu Xiaobo aus der Isolationshaft in der eigenen Wohnung rausgekommen ist.
Billerbeck: Wenn Sie an Liu Xias Mann, an Liu Xiaobo, denken, woran erinnern Sie sich vor allem? Denken Sie da an den Schriftsteller, an den Systemkritiker oder an den Gleichgesinnten?
Ein undatiertes schwarz-weiß-Bild zeigt den inhaftierten chinesischen Dissidenten und Bürgerrechtler Liu Xiaobo.
Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo© picture alliance / dpa / epa / Liu Xia
Biermann: Das geht uns doch allen so: Wir vergleichen ja immer mit unserem eigenen Schicksal. Und wenn ich das Schicksal dieses Menschen sehe, dann freue ich mich im Nachhinein doppelt und dreifach, dass ich in gleicher Position in der DDR, in der Diktatur, dermaßen billig davongekommen bin und so viel Glück hatte.

Der ewige Freiheitskrieg der Menschheit

Egal wie man rauskommt oder kaputtgeht, wir haben keine andere Chance, als uns gegenseitig beizustehen und zu ermutigen. Wenn das nicht passiert, sind die einzelnen Menschen verloren. Man kann nicht immer nur allgemein mitteilen, dass man für die Einhaltung der Menschenrechte ist. Das ist eine schöne Losung, eine Phrase im Munde vieler Leute, aber man muss auch für einzelne Menschenexemplare sich einsetzen.
Qin Yongmin (r.) im November 1993 mit anderen Demokratieaktivisten in Peking
Qin Yongmin (r.) im November 1993 mit anderen Demokratieaktivisten in Peking© AFP
Und dass das jetzt gelungen ist, freut mich. Auch wenn ich weiß, dass sie gerade am selben Tag dem anderen Dissidentn Qin Yongmin, der schon 22 Jahre im Knast sitzt, nochmal 13 Jahre draufgeknallt haben, damit solche Schwärmer wie Liu Xia und ich vielleicht nicht übermütig werden in Europa und wissen, dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht.
Aber die Schwalbe kündigt auf jeden Fall doch den Freiheitssommer in China an. Die Diktaturen kommen und gehen in der Menschheitsgeschichte, das wissen wir doch. Das gilt auch für China. Bloß für die, die gerade da leben und deren Leben kaputtgemacht wird, ist das kein Trost. Trotzdem müssen wir wissen, dass Brecht, unser großer Dichter, recht hatte, als er in seinem schönen Lied schrieb, "es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt, da hilft kein Gewalt", oder wenn Sie es moderner haben wollen von Bob Dylan: "The times, they are a-changin’".
Es ist alles dasselbe: Immer, immer die Hoffnung der Menschen, dass die Zeit der Unterdrückung vorbeigeht. Wissen Sie, wie Heinrich Heine, unser Dichter, das nennt, ein schönes Wort hat er sich dafür ausgedacht: den ewigen Freiheitskrieg der Menschheit. Der ist alt wie die Menschheit, wie unsere ganze Geschichte. Der wird immer wieder verloren und immer wieder gewonnen, und jetzt freue ich mich, dass ein Menschenexemplar, diese Frau, vielleicht die letzten Jahre ihres Lebens in Freiheit leben kann.

Ein Lebenslied für eine gerettete Witwe

Billerbeck: Sie haben ja schon die Parallelen zu Ihrer eigenen Biografie aufgezählt. Parallelen gibt es ja auch, wenn man sich den Ort der heutigen Gedenkveranstaltung ansieht. Die Gethsemanekirche, wo diese Gedenkveranstaltung für Liu Xiaobo stattfindet, ist ja ein Ort und ein Symbol der friedlichen Revolution in der DDR. Was werden Sie heute Abend singen?
Biermann: Ich bin mir unsicher geworden. Als der Schriftsteller Liao Yiwu, mein Freund, in Berlin mich zottelte, dass ich da singen soll, wusste er auch gleich, was er hören will. Der bestellte bei mir, "mein Liedermacher, du singst gefälligst das Lied, das du geschrieben hast, das Totenlied für deinen Freund Jürgen Fuchs", der ja im Knast saß in der DDR und den, nach unserer Meinung, die Stasi mit Gammastrahlen bestrahlt hat und der so früh an Blutkrebs gestorben ist.
Der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2012, sitzt im Deutschen Theater in Berlin nach einer Lesung auf einer Treppe.
Der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu© picture alliance / dpa / Marc Tirl
Für den schrieb ich ein kleines Liedchen, das heißt "Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen, da ist mein Freund den letzten Weg nach Nirgendwo gegangen. Dort wartet er nun ohne Hast auf mich. Mir kann er trauen, ich komme nach, dann warten wir auf unsere schönen Frauen. Bis ich dann endlich komme", singe ich dann. Und das Lied soll ich da singen.
Aber:Jetzt möchte ich eigentlich gar nicht das "Totenlied" singen, sondern lieber ein Lebenslied für seine gerettete Witwe, und das könnte vielleicht ein Lied sein, das Sie vielleicht schon mal gehört haben: "Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um, An Bitternis mein Soll hab ich geschluckt und ausgeschrien an Trauer, was da war", und so weiter.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Veranstaltungshinweis:

Gedenkgottediest zum ersten Todestag von Liao Xiaobo
Gethsemanekirche, Berlin
13. Juli 2018, ab 18 Uhr
weitere Informationen online

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