Wolf Biermann: "Warte nicht auf bessre Zeiten. Die Autobiografie"
Propyläen Verlag, Berlin 2016
576 Seiten, 28 Euro
Er spart nicht mit Grobianismen
Der Liedermacher Wolf Biermann hat seine Autobiografie geschrieben. Sie sei witzig, schnoddrig und manchmal grob, meint Rezensent Rolf Schneider. Und neben der "überbordenden Egomanie" des Verfassers fänden sich darin auch überraschende Anflüge von Selbstzweifel.
Der Liedermacher Wolf Biermann legt seine Autobiografie recht routiniert vor: Sie liest sich flüssig, ist manchmal witzig, manchmal schnoddrig, sie spart nicht mit Grobianismen und belegt die überbordende Egomanie des Verfassers. So kennt man ihn. Dass Biermann aber auch Selbstzweifel äußern und überraschend nachsichtig sein kann, wusste man bislang nicht.
Die erste Hälfte seines nunmehr achtzigjährigen Lebens beansprucht drei Viertel des fünfhundert Seiten starken Buchs. Beeindruckend die Passagen über die Hamburger Kindheit: durch das erinnerte Milieu, durch Szenen aus dem Krieg. Biermann, Sohn eines jüdisch-kommunistischen Arbeiters, den die Nazis verhafteten und in Auschwitz umbrachten, erlebte seinen Vater kaum. Die Mutter, die Familie, politische Gefährten kümmerten sich um ihn. Die Schilderungen des alliierten Bombenangriff auf die Hansestadt sind beeindruckend, vergleichbar denen bei Ralph Giordano und Hans Erich Nossack.
Aufwachsen im "besseren" deutschen Staat
Die Mutter schickte den Halbwüchsigen in die DDR als den – nach ihrer Überzeugung – besseren, weil von Kommunisten regierten deutschen Staat. Sein künstlerisches Initiationserlebnis erfuhr Biermann durch das Theater Bertolt Brechts. Er begann zu schreiben und zu singen. Er sah, wie Ideal und Wirklichkeit im ostdeutschen Staat auseinanderfielen und machte dies zum Inhalt seiner Texte. Die Folge war, das man ihn verbot.
Es folgten jene Jahre, in denen er berühmt wurde. Seine Verse und Lieder erschienen im deutschen Westen und wirkten über das Radio zurück in die DDR. Seine Prominenz war bald so groß, dass die DDR-Obrigkeit nicht wagte, ihn zu inhaftieren - der internationalen Proteste wegen, die das hervorgerufen hätte.
Erst Festhalten an der kommunistischen Idee, dann die Aufgabe
Neben dem Physiker Robert Havemann, seinem Freund, war er Ostdeutschlands bekanntester und privilegiertester Dissident. 1976, zeitgleich mit seinem vierzigsten Geburtstag, bürgerten die ostdeutschen Behörden ihn aus. Dem öffentlichen Protest dagegen, auch dem in der DDR, folgten dort Verhaftungen und der Exodus zahlreicher Künstler.
Biermann hielt auch nach seiner Ausbürgerung an der kommunistischen Idee fest - für eine Weile. Dann gab er sie auf. Er erzählt davon. Sie und der untergegangene ostdeutsche Staat waren die wichtigsten Elemente seines künstlerischen Lebens. Sie inspirierten seine besten Arbeiten. Dass er, indem er seine einstige Weltanschauung aufgab, auch jene Arbeiten beschädigte, scheint er zu spüren. Aufschreiben mochte er es nicht.