Programmtipp: 11:07 Uhr in der Tonart: Wolf Biermann - einmal rein musikalisch betrachtet; hier zum Nachhören .
"Ich sollte wenigstens die Welt retten"
Ein stattliches Lebenswerk von Liedern und Gedichten, eine dicke Autobiografie, Vater von zehn Kindern und Gefährte bekannter Frauen – Wolf Biermann kann an seinem 80. Geburtstag auf ein bewegtes deutsch-deutsches Leben zurückblicken.
Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag hat der Liedermacher Wolf Biermann seine Autobiografie "Warte nicht auf bessere Zeiten" geschrieben. Neben der "überbordenden Egomanie" des Verfassers fänden sich darin auch überraschende Anflüge von Selbstzweifel, meint Rezensent Rolf Schneider über das witzig und schnoddrig geschriebene Buch.
Unser Literaturkritiker Tobias Wenzel erlebte einen Besuch bei Wolf Biermann anlässlich des Erscheinens des Buches als "Zwangstherapiesitzung beim Hobbypsychologen", die vor einem Gemälde auf der Toilette endete.
Eher der 100-Meter-Sprinter
Eigentlich könne er gar keine Prosa schreiben, gestand Biermann auf dem Blauen Sofa der Frankfurter Buchmesse, sondern nur Gedichte und Lieder. Er sei im sportlichen Sinne mehr ein 100-Meter-Sprinter als ein Marathonläufer. Seine Frau Pamela habe ihm das Buch mit einem Trick abgerungen, verriet er.
Mit der Schauspielerin Eva-Maria Hagen, Mutter von Nina Hagen, war er als junger Mann in der DDR ein Paar. Sie schrieb ihrerseits ein umfangreiches Buch über die Jahre mit ihm in "Eva und der Wolf". Später war er mit der Ärztin Christine Barg verheiratet und unter anderen mit Sibylle Havemann, der Tochter des DDR-Regimekritikers Robert Havemann, liiert.
"Die Aufgabe meines Lebens"
Kaum ein anderer Künstler steht mit seinem Leben so für die deutsche Nachkriegsgeschichte wie Wolf Biermann. 1936 in Hamburg geboren, war er der einzige Sohn von Emma und Dagobert Biermann, zwei überzeugten Kommunisten. Vater Biermann arbeitete für die Hamburger Werft Blohm & Voss und wurde wegen Sabotagevorwürfen verhaftet, als sein Sohn gerade mal drei Monate jung war. Für den Sohn hatte die Ermordung des jüdischen Vaters 1943 im KZ Auschwitz lebenslange Folgen sagte er "Im Gespräch":
"Ich sah die Aufgabe meines Lebens darin, wie meine Mutter es kindlich formulierte, meinen Vater zu rächen (...). Ich sollte wenigstens den Kommunismus aufbauen und die Menschheit retten und diesen kleinen Gefallen wollte ich meine Mutter tun. Und deswegen ging ich mit 16 Jahren nach Osten in die DDR und wunderte mich, dass mir so viele Leute entgegenkommen."
Dass er im Jahr mit 16 Jahren in die DDR übersiedelte, bezeichnet er im Interview mit Literaturkritiker Tobias Wenzel als "das Beste, was ich in meinem ganzen Leben gemacht habe".
"Ich musste die Lektion lernen, im Vaterland aller Werktätigen, im Arbeiter- und Bauernparadies wirklich zu leben, und nicht nur als Revolutionstourist mal eben vorbeischnuppern. Und wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre ich ja gar nicht der Biermann geworden. Ich wäre hier in Hamburg geblieben und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verblödet."
Bezahlt haben wir mit Seelengeld, Tränen und Wut
In Ostberlin hat er großes Glück: Helene Weigel holt ihn als Regieassistent ans Berliner Ensemble, Hanns Eisler entdeckt sein Talent zum Liedermacher. Weil seine Texte immer kritischer werden, wird er nach einem Konzert in Köln 1976 aus der DDR ausgebürgert. Das Konzert wurde live vom WDR-Fernsehen vor einem Millionenpublikum in Ost und West ausgestrahlt und von den "Stuttgarter Nachrichten" später als "das größte deutsch-deutsche Fernsehereignis vor dem Mauerfall" bezeichnet.
Manche seiner Lieder wie "Die Stasi-Ballade" (Youtube) werden zu heimlichen Hymnen der DDR-Oppositionellen.
Neben seinen Hunderten Tagebüchern soll ihm seine 50.000 Seiten umfassende Stasiakte beim Schreiben seiner Autobiografie geholfen haben, sagt er zu Tobias Wenzel:
"Da besucht mich Allen Ginsberg aus New York, der Dichter der Beat Generation, und mich besucht Joan Baez, die Folklore-Sängerin, die ich so liebe – und alles das steht ja haarklein und genau in meinen Akten. (...) Und das ist natürlich ein unglaublicher Service. 'Kostenlos' würde ich das nicht nennen. Denn bezahlt haben wir alle mit Ängsten, mit Seelengeld, mit Tränen, mit Wut, mit Verbitterung."