Das sieht Kritiker Jan Drees im Deutschlandfunk ganz anders: Der neue Brenner-Roman sei "arg brav und bieder" und "erwartbar": Die Geschichte "ist – abgesehen von den letzten Kapiteln – mit einer Trägheit erzählt, als habe sie die ebenfalls träge Hauptfigur Simon Brenner selbst notiert. So wirkt der von zahlreichen Recyclingvarianten berichtende neunte Teil dieser Krimireihe selbst wie ein Recycling der vorherigen acht."
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Wolf Haas: "Müll"
© Hoffmann und Campe
Ein neuer Fall für Simon Brenner
07:11 Minuten
Wolf Haas
MüllHoffmann & Campe, Hamburg 2022288 Seiten
24,00 Euro
Seine Krimiserie um den ehemaligen Hauptkommissar Brenner geht in die neunte Runde. Diesmal lenkt Autor Wolf Haas seinen eigensinnigen Ermittler durch Müll und Schrott – in gewohnt mitreißendem Tonfall.
Ein bisschen ist es so, als würde man einem alten Bekannten begegnen: Ach, richtig, der Brenner, das ist er endlich wieder! Wie hat man ihn vermisst, diesen knarzigen Ermittler, der in seine Fälle eher hineinstolpert und dann aber sofort einen Plan hat. Und auch dieses Mal verfällt man sowohl ihm als auch der geschwätzigen Erzählerstimme im Handumdrehen.
Ein menschliches Knie unterm Sperrmüll
Wie man es aus früheren Brenner-Romanen kennt, laviert sich der Erzähler mit Lebensweisheiten und Allgemeinplätzen durch, haut einem dauernd imaginär auf die Schulter und serviert fast nebenbei das neuste Abenteuer von Simon Brenner. Der 1960 in Maria Alm geborene Wolf Haas, promovierter Sprachwissenschaftler, legt mit "Müll" den neunten Band seiner Reihe vor.
Der Titel deutet es schon an: Der Fall dreht sich im weitesten Sinne um „Mist“, wie die Österreicher sagen. Hauptschauplatz ist tatsächlich ein Recyclinghof, die Protagonisten sind, Brenner inklusive, allesamt „Mistler“.
Kriminalfall über Rache und Organhandel
Eines Morgens, so geht die Sache los, taucht in Wanne 4 ein menschliches Knie auf, dabei soll da eigentlich nur Sperrmüll rein. Kein Wunder, dass kurz darauf die Polizei aufkreuzt. Einer der beiden Kripo-Beamten, der Kopf nämlich, erkennt den Brenner, der früher sein Chef war. Auf einmal begegnen ihm die Mistler mit neuem Respekt. Der Brenner, seit jeher ohne festen Wohnsitz, ist ein bisschen auf den Hund gekommen: Seit er bei seiner Freundin rausgeflogen ist, steigt er als „Bettgeher“ in fremde Wohnungen ein, deren Besitzer gerade auf Urlaub sind. Dass das nicht gutgehen kann, ahnt man von Anfang an.
Noch viel komplizierter ist aber die Geschichte mit der zerstückelten Leiche, die hier natürlich unmöglich verraten werden darf. Nur so viel: Eine junge Frau namens Iris kommt ins Spiel, ein von Rache besessener Fuhrunternehmer taucht auf, es gibt noch mehr Tote, und über Organhandel lernt man auch eine Menge.
Mitreißender Tonfall der Brenner-Serie
Wie jedes Mal reizt Wolf Haas die Regeln des Krimis maximal aus und liefert eine mitreißende Variation des Genres. Bemerkenswert ist die Sprache. Die rhetorische Strategie der Verkürzung entfaltet einen ganz eigenen Groove und eine enorme Komik.
Besonders angetan haben es dem Erzähler feststehende Redewendungen wie „frage nicht“ oder „sprich“. Brenners Rauswurf habe etwas mit an falschen Stellen herumliegenden Socken zu tun gehabt: „Oder um die ganze Wahrheit zu sagen, eigentlich war es nicht die falsche Stelle, sondern die falschen Socken, sprich, Socken von der Freundin der Freundin.“
Über die beiden Kripo-Beamten lässt der Erzähler verlauten: „der Ältere war wieder zu mollig für Chef, also nicht einfach chefmäßig fett, sondern von der ganzen dings her zu weich“. Manchmal fehlt ihm halt das richtige Wort, aber, so seine Anmutung, es weiß ja eh jeder, was gemeint ist. In anderen Situationen legt der Erzähler Wert darauf, sich besonders gewählt auszudrücken: Dann ist die Rede von „Kofferräumlichkeiten“.
Wolf Haas selbst hat einmal erklärt, der Tonfall seiner Brenner-Serie sei der, den man in den 1960er-Jahren in Österreich auf dem Land gepflegt habe. Zum Suchtpotenzial der Brenner-Fälle trägt er in jedem Fall bei.