Wolfgang Benz: Wie es zu Deutschlands Teilung kam. Vom Zusammenbruch zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1945-1949
dtv Sachbuch, München 2018
424 Seiten, 26 Euro
Ein Umbruch mit Vorgeschichte
Geschichte basiert auf langen Wirkungslinien: Das gilt auch für die "Geburt" von BRD und DDR im Jahr 1949. Der Zeithistoriker Wolfgang Benz beschreibt die Voraussetzungen der Teilung Deutschlands - angenehm unideologisch, urteilt unser Rezensent.
"Dass die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin,
sondern ihre Hände reichen
uns wie andern Völkern hin"
wie vor einer Räuberin,
sondern ihre Hände reichen
uns wie andern Völkern hin"
... schrieb Bertolt Brecht 1950 in einem Lied, das als Nationalhymne gedacht war. Großes Pathos lag in der Luft, den Deutschen stand ein Umbruch ihrer nationalen Identität bevor, als nun endlich alles anders werden konnte. Und musste.
"Immer schreibt der Sieger die Geschichte der Besiegten" – auch dieser Satz stammt von Brecht. Aus Sicht der Sieger des Zweiten Weltkrieges war Deutschland aus einem Subjekt der Geschichte zu einem Objekt derer geworden, die dieses Volk nun zu bewachen, zu versorgen und umzuerziehen hatten.
Benz vermeidet das pathetische "Wir"
Wolfgang Benz meidet das pathetische "Wir", wenn er von den Deutschen spricht. Mit höchster Kompetenz beschreibt er die Ambitionen und Streitigkeiten der Siegermächte, ihre Vereinbarungen und Zerwürfnisse. Er fragt aber auch danach, wie es den Besiegten damit erging. Er fragt, wie sich diejenigen befunden und eingefunden, sich abgefunden und neu erfunden haben, über die nun verfügt werden musste und so verfügt, dass sie wohl am Leben, aber auf keinen Fall dieselben blieben: diese apokalyptisch infektiösen Deutschen.
Niemand wusste damals, ob die Welt diesem Volk je wieder trauen, ob es sich selbst je wieder trauen könne. Bis heute ist ein Gefühl von dünnem Eis geblieben, das sich regelmäßig zeigt, wenn es um Neonazis geht.
Viel aus der katastrophalen Niederlage gewonnen
Benz kennt die Ängste vor dem braunen Bodensatz, er argumentiert auch gelegentlich gegen rechte Geschichtsdeutung, etwa, wenn es um den Morgenthau-Plan geht. Vor allem aber kann er zeigen, dass diese Deutschen aus ihrer katastrophalen Niederlage weit mehr gewonnen haben als aus all ihren militärischen Siegen zuvor.
Ihn interessiert, wie diese Verlierer vom Objekt der Re-Edukation wiederum zum Subjekt ihrer Geschichte wurden, zu einem tatsächlich anderen Subjekt, was bei Benz nicht optimistische Behauptung bleibt, sondern untermauert wird durch Fakten. Auch solchen, die in anderen historischen Abrissen fehlen.
1948, zum Beispiel, gab es da in der Bizone einen politisch motivierten Generalstreik. Etwa neun Millionen Arbeiter folgten dem Streikaufruf und demonstrierten in einer 24-stündigen Arbeitsruhe gegen die Marktwirtschaft. Die Auseinandersetzungen um die Wirtschaftsordnung dauerten an und standen ein halbes Jahr später im Mittelpunkt des Wahlkampfes für den ersten Deutschen Bundestag. Kohäsionskräfte gegen die Spaltung, die sich nicht historisch rückwärts sondern vorwärts wendeten.
Ringen um die kulturelle Einheit
Im selben Jahr 1948 organisieren deutsche Studenten eine gesamtdeutsche Konferenz, die der Autor als "eine letzte Beschwörung der kulturellen Einheit" bezeichnet. Als die Konfrontation der beiden Gesellschaftssysteme im Alltag eines jeden Deutschen spürbar wurde, trafen sich Delegierte aus allen vier Besatzungszonen zu einer Konferenz in Berlin, um "... die innere Separation in Deutschland zu verhindern und das geistige Deutschland wieder in den gesamten europäischen Kulturkreis einzubeziehen."
Innere Separation – eine treffende Beschreibung auch für die Flucht aus einer nationalen Identität, derer man sich schämte. In dieser Hinsicht war die Spaltung auch eine Entlastung. Insbesondere nach der Gründung der beiden deutschen Staaten wähnte man die ewig Gestrigen stets hinter der innerdeutschen Grenze.
Whisky und Zigaretten zur Unterstützung
Zur Organisation jener Studenten-Konferenz von 1948 hatte ein für Erziehung und Bildung zuständiger Offizier in der amerikanischen Militärregierung auf seine Weise beigetragen: "Außer dem ideellen Interesse an der studentischen Initiative, das er mit seinem britischen Kollegen teilte, förderte er das Unternehmen durch 20 Stangen Chesterfield und fünf Flaschen Whisky – nach damaligem Schwarzmarktkurs war das eine beträchtliche Unterstützung."
Auch in der sowjetischen Besatzungszone keimten frühe Pflänzchen kultureller Selbstbestimmung, oft von den sowjetischen Besatzern selbst initiiert. Im Juli 1945, wurde in Berlin der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" aus der Taufe gehoben. Wolfgang Benz beschreibt diese Gründung in einer gesamtdeutschen Tonlage, die vor dem Ende des Kalten Krieges kaum denkbar gewesen wäre:
"Obwohl die marxistisch orientierten Mitglieder den Ton angaben und obwohl die SMAD (Sowjetische Militäradministration) ein wachsames Auge auf den Kulturbund hatte, war er kein Werkzeug kommunistischer Propaganda, sondern der wohl früheste Versuch geistigen Neubeginns in Deutschland. Den Verschleißerscheinungen des Kalten Kriegs fiel natürlich auch der Kulturbund allmählich zum Opfer, aber die Anfänge waren verheißungsvoll gewesen, und erstaunlich lange bot er auch Nichtmarxisten eine geistige Heimat."
Ulbricht war nicht nur eine Witzfigur
Zu den Verschleißerscheinungen des Kalten Krieges gehören auch die ideologischen Blickachsen, die Wolfgang Benz meidet und infrage stellt. Mit der wieder gewonnenen deutschen Souveränität ist ein gerechterer Blick auf unsere Geschichte möglich geworden, auch auf eine Figur wie Walter Ulbricht, der in Ost wie West immer als Witzfigur galt.
Benz widmet ihm ein Porträt, dessen Tonlage nicht mehr als östliche oder westliche zu erkennen ist. In der schnörkellosen, leicht verständlichen Sprache des Hochschulprofessors zeichnet er die frühen Weichenstellungen, die Konditionen, unter denen aus etwas Fremdem etwas Eigenes werden konnte. Aus den "Eingeborenen von Trizonesien" die in aller Welt geachteten Bundesbürger, aus den "armen Brüdern und Schwestern in der Ostzone" jene friedlichen Revolutionäre, deren Aktionen der Beginn waren vom Ende der deutschen Spaltung.