Brücken nach Russland müssen erhalten bleiben
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Der Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede spricht sich dafür aus, die kulturellen Verbindungen nach Russland nicht alle abzubrechen. Aus Entsetzen über den Ukraine-Krieg komme es da zu mancher "Unbeholfenheit". Die Brücken würden weiter gebraucht.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine richtet sich der Protest nicht nur gegen die Politik Russlands, auch im Kulturaustausch werden alte Verbindungen gekappt. So sind beispielsweise Auktionen mit russischer Kunst wegen des Krieges abgesagt.
"Ich finde das nicht richtig", sagt der Bremer Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede. Er könne gut verstehen, dass man sich mit Russland auf eine neue Weise auseinandersetzen müsse. Auch auf Szenen der Verbrüderung sollte jetzt verzichtet werden.
Russlands Kultur nicht pauschal verdammen
Es gebe derzeit in den Kulturbeziehungen zu Russland natürlich Anlass, sich selbst zu hinterfragen, was vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges noch möglich sei und was nicht. Der Krieg müsse zu Ende gebracht werden und zwar in einer Weise, die der Ukraine ein würdiges Fortleben sichere, sagt Eichwede.
Doch dürfe Russland nicht pauschal mit seiner Kultur verdammt werden. "Wir werden Brücken brauchen", so Eichwede. Selbst in dieser Kriegszeit habe man von der russischen Kultur zu lernen. Der Osteuropa-Experte pflegte schon zu sowjetischer Zeit enge Beziehungen nach Russland.
Dass derzeit im Kulturaustausch mit Russland viel verloren gehe, liege nicht primär an der westlichen Seite, die Veranstaltungen absage. "Es ist zunächst mal eine Reaktion auf den schrecklichen, in keiner Weise zu verantwortenden Krieg", so Eichwede. "Die Verantwortung für diesen Krieg trägt das Putinsche Russland."
Allerdings sei in der westlichen Reaktion manche "Unbeholfenheit" enthalten, weil aus dem Entsetzen über den Krieg alles Russische damit verbunden werde. "Das sollten wir nicht machen", sagt der Historiker.
Das Kriegsdenken überwinden
Er erinnere sich noch sehr gut an das Jahr 1961, als die Berliner Mauer gebaut wurde, so Eichwede. Damals habe das Baseler Theater die "Dreigroschenoper" von Bert Brecht abgesagt, als Protest gegen die DDR.
"Das sind Reaktionen, die in einem Kriegsdenken verhaftet sind, während wir diesen Krieg überwinden wollen und während wir Brücken aufrecht erhalten müssen oder neue bauen müssen in Jahren oder Jahrzehnten nach diesem Krieg." Auf diese Brücken könne nicht verzichtet werden.
Eichwede erinnert an die Bedeutung der Gegenkultur, die viel zum Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen habe. Das sei damals friedlich geschehen. "Solche Kulturen müssen wir fördern und stützen."
Unterschiede zur Sowjetzeit
Allerdings hätten damals die Schriftsteller in der Konfrontation mit dem sowjetischen Staatsapparat eine in der Gesellschaft viel stärker verankerte Funktion gehabt als heute, sagt der Historiker. "Putin hat keine Ideologie, Putin hat ein Feindbild, das er seiner eigenen Gesellschaft aufdrückt und in diesem Feindbild ist eine so kategorische Ablehnung des Westens enthalten, dass es auch den Künstlern im heutigen Russland schwer macht, sich Freiräume zu erhalten, die wir in der alten Sowjetunion bewundert haben."
Er sei davon überzeugt, dass sich die russische Kultur in ihrer ganzen Breite vielleicht für kurze Zeit totmachen oder totstellen lasse. Aber sie werde sich wieder erheben und wieder ihre Wege finden: "In dieser Suche der russischen Kultur nach sich selbst und nach einem anderen Bild des eigenen Landes müssen wir helfen, soweit wir das nur irgendmöglich unter den heutigen Bedingungen können."
(gem)