Wolfgang Engler: Trotz Krise eine gute Zeit fürs Theater
Der Rektor der Berliner Schauspielschule "Ernst Busch", Wolfgang Engler, glaubt, dass die Wirtschaftskrise auch die kulturellen Einrichtungen erreichen wird. Mit Blick auf die Uraufführung von Elfriede Jelineks Stück "Die Kontrakte des Kaufmanns" in Köln betonte er aber, derzeit habe das Theater "die Nase vorn im Wirklichkeitskontakt".
Gabi Wuttke: Volker Lösch und Elfriede Jelinek, deren neues Stück "Die Kontrakte des Kaufmanns" heute in Köln uraufgeführt wird, galten vielen lange als Abgedrehte, als ewige Nörgler. Am Telefon ist Wolfgang Engler, Chef der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin. Guten Morgen!
Wolfgang Engler: Grüße Sie!
Wuttke: Was kann denn Theater in diesen Zeiten überhaupt leisten? Welche Herausforderungen stellen sich jetzt von diesen beiden Menschen, die wir mal exemplarisch nehmen, nach den Jahren der großen Selbstbezogenheit auf den Theaterbühnen?
Engler: Na ja, das Theater hat, glaube ich, im Augenblick die Nase vorn im Wirklichkeitskontakt, wenn man Schwesterkünste vergleichend heranzieht. Das hat den Vorteil – nicht nur, aber auch –, dass es auf das Wort baut, anders als die Musik, der Tanz, dass es zugleich anders als der Film relativ kurzzeitig reagieren kann, kurzfristig, geringere Produktionsaufwendungen auch hat. Und wenn man ein einigermaßen wacher Zeitgenosse ist – und da gibt es ja ein paar mehr als die beiden, über die wir gerade sprechen –, dann kann man das, was Theater ja auch in früheren Zeiten war, also operatives Theater, ein Theater, das ohne große Umstände zu machen, in etwas eingreift. Denken Sie nur an die Aktion von Rimini Protokoll vor wenigen Tagen, wo sich 20 Leute in die Aktionärsversammlung eines großen deutschen Unternehmens eingeschleust haben und allein dadurch, dass sie das getan haben, den Inszenierungscharakter dieser Veranstaltung sozusagen allen klar vor Augen gestellt haben. Dann sieht man, dass man mit wenig Aufwand viel erreichen kann. Und da war das Theater eigentlich immer relativ nah an der Zeit, wenn es das wollte, und das ist es jetzt auch wieder.
Wuttke: Was heißt das denn für die dramaturgischen Mittel, die es jetzt einzusetzen gilt?
Engler: Dass sie sehr breit gestreut sind. Man kann, wie es Thomas Ostermeier an der Schaubühne gemacht hat hier in Berlin, die Dramengeschichte auf Aktualität befragen, einen Ibsen ausgraben gewissermaßen und aktualisieren, eine Bankergeschichte, vor mehr als 100 Jahren geschrieben, jetzt sieht man sie vor dem heutigen Kontext, plötzlich hat sie einen ganz anderen Background gewissermaßen. Elfriede Jelineks Stück ist ja auch vor Lehman Brothers geschrieben, jetzt hat es plötzlich, wie Stemann, der Regisseur, zu Recht sagt, der das jetzt in Köln macht, eine globale Aktualität. Man kann das sogenannte dokumentarische Theater, wie diese Gruppe das macht, Rimini Protokoll, sozusagen eher auf Aktionen setzen. Also da sind die Mittel breit gestreut. Das geht vom klassischen Repertoire-Theater, was aus dem Repertoire aktualisierbare Stoffe herausgreift, bis zum interventionistischen Aktionstheater, bis zum Event.
Wuttke: Also das heißt, eigentlich ist die große Krise für das Theater eine große Chance, wenn sie sie denn ergreift, weil sich die Frage stellt, inwiefern kann Theater auch auf das einwirken, was passiert?
Engler: Das würde ich denken, dass das eine Chance ist. Natürlich ist das Theater, wie die anderen kulturellen Institutionen auch, auch betroffen von der Krise. Also auch in einer reaktiven Position in angelsächsischen Gesellschaften, namentlich in den USA, sieht man da schon große Weg- und Einbrüche im Theater, in Museen, Universitäten, weil die oft auch von oder häufig von Sponsorengeldern leben. In Deutschland ist das eher über den Staat vermittelt, aber da kommt die Krise über den Umweg auch an. Man guckt dann immer auf die nächste Steuerschätzung. Aber das sind eher die reaktiven Prozesse, neue Sponsoren, neue Geldgeber zu besorgen.
Wuttke: Glauben Sie denn, dass tatsächlich angemessen auf diese Krise von der deutschen Theaterseite aus zugegriffen wird oder wird es so sein, dass das Ausnahmeerscheinungen sind und eben weiter diese große Selbstbezogenheit zumindest erst mal noch Oberhand behalten wird?
Engler: Ja, ich glaube, man darf das, auch wenn man den Prozess an und für sich begrüßt, wie ich das tue, nicht berauschen lassen. Das wird ein Moment bleiben, ein Trend, eine Tendenz bleiben, die andere wird nicht sogleich verschwinden. Aber immerhin, das wird jetzt vernehmbarer, hörbarer, ist auch stärker in der Diskussion. Natürlich finde ich langfristige Vorhaben, wie sie hier in Berlin insbesondere das Maxim Gorki Theater vorantreibt, die übergreifend arbeiten, auch mit Wissenschaftlern, die Feldstudien machen in bestimmten Gegenden, wo man Stückaufträge gibt, wo man mit anderen Leuten diskutiert, die ganz andere sozusagen Themenstellungen haben. Das sind eher die langfristigen Prozesse, von denen man sich über Jahre hinaus was erwarten kann. Ob die punktuellen Interventionen wirklich Schule machen, warten wir's mal ab.
Wuttke: Um mal einen Vergleich zu ziehen, Herr Engler, was konnte das Theater nach dem Schwarzen Freitag von 1929 in Deutschland leisten bzw. woran ist es gescheitert?
Engler: Na ja, es hatte nicht so furchtbar viel Zeit, sich wirklich dauerhaft in Deutschland zu entfalten. Aber wenn man an Piscator denkt, wenn man an Brecht denkt, wenn man an Leute denkt, die von außerhalb kamen und hier kräftig mitmischten, da war das zeitweise genauso ein interventionistisches, eingreifendes, operatives Theater in der Krise, wie wir das gegenwärtig – wahrscheinlich nicht nur in Deutschland, da kennen wir uns vielleicht dann ein bisschen besser aus – auch erleben. Also viele Stücke, die heute seltener gespielt werden, Brecht-Stücke, "Der Brotladen" oder andere Sachen aus der Zeit '29, '30, '31 …
Wuttke: Aber warum sollten wir uns immer am Alten bedienen?
Engler: Das ist doch eine wunderbare Zeit für Dramatiker. Dramatikerinnen, die heute mit Mitte 20, Ende 20, Anfang 30 sind, und für die ist das doch, etwas grob gesagt, ein gefundenes Fressen, oder?
Wuttke: Das möchte ich hoffen! Ich danke Ihnen! Das war der Rektor der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin, der Soziologe und Philosoph Wolfgang Engler. Vielen Dank und schönen Tag!
Engler: Ja, danke auch, gleichfalls! Ciao!
Wolfgang Engler: Grüße Sie!
Wuttke: Was kann denn Theater in diesen Zeiten überhaupt leisten? Welche Herausforderungen stellen sich jetzt von diesen beiden Menschen, die wir mal exemplarisch nehmen, nach den Jahren der großen Selbstbezogenheit auf den Theaterbühnen?
Engler: Na ja, das Theater hat, glaube ich, im Augenblick die Nase vorn im Wirklichkeitskontakt, wenn man Schwesterkünste vergleichend heranzieht. Das hat den Vorteil – nicht nur, aber auch –, dass es auf das Wort baut, anders als die Musik, der Tanz, dass es zugleich anders als der Film relativ kurzzeitig reagieren kann, kurzfristig, geringere Produktionsaufwendungen auch hat. Und wenn man ein einigermaßen wacher Zeitgenosse ist – und da gibt es ja ein paar mehr als die beiden, über die wir gerade sprechen –, dann kann man das, was Theater ja auch in früheren Zeiten war, also operatives Theater, ein Theater, das ohne große Umstände zu machen, in etwas eingreift. Denken Sie nur an die Aktion von Rimini Protokoll vor wenigen Tagen, wo sich 20 Leute in die Aktionärsversammlung eines großen deutschen Unternehmens eingeschleust haben und allein dadurch, dass sie das getan haben, den Inszenierungscharakter dieser Veranstaltung sozusagen allen klar vor Augen gestellt haben. Dann sieht man, dass man mit wenig Aufwand viel erreichen kann. Und da war das Theater eigentlich immer relativ nah an der Zeit, wenn es das wollte, und das ist es jetzt auch wieder.
Wuttke: Was heißt das denn für die dramaturgischen Mittel, die es jetzt einzusetzen gilt?
Engler: Dass sie sehr breit gestreut sind. Man kann, wie es Thomas Ostermeier an der Schaubühne gemacht hat hier in Berlin, die Dramengeschichte auf Aktualität befragen, einen Ibsen ausgraben gewissermaßen und aktualisieren, eine Bankergeschichte, vor mehr als 100 Jahren geschrieben, jetzt sieht man sie vor dem heutigen Kontext, plötzlich hat sie einen ganz anderen Background gewissermaßen. Elfriede Jelineks Stück ist ja auch vor Lehman Brothers geschrieben, jetzt hat es plötzlich, wie Stemann, der Regisseur, zu Recht sagt, der das jetzt in Köln macht, eine globale Aktualität. Man kann das sogenannte dokumentarische Theater, wie diese Gruppe das macht, Rimini Protokoll, sozusagen eher auf Aktionen setzen. Also da sind die Mittel breit gestreut. Das geht vom klassischen Repertoire-Theater, was aus dem Repertoire aktualisierbare Stoffe herausgreift, bis zum interventionistischen Aktionstheater, bis zum Event.
Wuttke: Also das heißt, eigentlich ist die große Krise für das Theater eine große Chance, wenn sie sie denn ergreift, weil sich die Frage stellt, inwiefern kann Theater auch auf das einwirken, was passiert?
Engler: Das würde ich denken, dass das eine Chance ist. Natürlich ist das Theater, wie die anderen kulturellen Institutionen auch, auch betroffen von der Krise. Also auch in einer reaktiven Position in angelsächsischen Gesellschaften, namentlich in den USA, sieht man da schon große Weg- und Einbrüche im Theater, in Museen, Universitäten, weil die oft auch von oder häufig von Sponsorengeldern leben. In Deutschland ist das eher über den Staat vermittelt, aber da kommt die Krise über den Umweg auch an. Man guckt dann immer auf die nächste Steuerschätzung. Aber das sind eher die reaktiven Prozesse, neue Sponsoren, neue Geldgeber zu besorgen.
Wuttke: Glauben Sie denn, dass tatsächlich angemessen auf diese Krise von der deutschen Theaterseite aus zugegriffen wird oder wird es so sein, dass das Ausnahmeerscheinungen sind und eben weiter diese große Selbstbezogenheit zumindest erst mal noch Oberhand behalten wird?
Engler: Ja, ich glaube, man darf das, auch wenn man den Prozess an und für sich begrüßt, wie ich das tue, nicht berauschen lassen. Das wird ein Moment bleiben, ein Trend, eine Tendenz bleiben, die andere wird nicht sogleich verschwinden. Aber immerhin, das wird jetzt vernehmbarer, hörbarer, ist auch stärker in der Diskussion. Natürlich finde ich langfristige Vorhaben, wie sie hier in Berlin insbesondere das Maxim Gorki Theater vorantreibt, die übergreifend arbeiten, auch mit Wissenschaftlern, die Feldstudien machen in bestimmten Gegenden, wo man Stückaufträge gibt, wo man mit anderen Leuten diskutiert, die ganz andere sozusagen Themenstellungen haben. Das sind eher die langfristigen Prozesse, von denen man sich über Jahre hinaus was erwarten kann. Ob die punktuellen Interventionen wirklich Schule machen, warten wir's mal ab.
Wuttke: Um mal einen Vergleich zu ziehen, Herr Engler, was konnte das Theater nach dem Schwarzen Freitag von 1929 in Deutschland leisten bzw. woran ist es gescheitert?
Engler: Na ja, es hatte nicht so furchtbar viel Zeit, sich wirklich dauerhaft in Deutschland zu entfalten. Aber wenn man an Piscator denkt, wenn man an Brecht denkt, wenn man an Leute denkt, die von außerhalb kamen und hier kräftig mitmischten, da war das zeitweise genauso ein interventionistisches, eingreifendes, operatives Theater in der Krise, wie wir das gegenwärtig – wahrscheinlich nicht nur in Deutschland, da kennen wir uns vielleicht dann ein bisschen besser aus – auch erleben. Also viele Stücke, die heute seltener gespielt werden, Brecht-Stücke, "Der Brotladen" oder andere Sachen aus der Zeit '29, '30, '31 …
Wuttke: Aber warum sollten wir uns immer am Alten bedienen?
Engler: Das ist doch eine wunderbare Zeit für Dramatiker. Dramatikerinnen, die heute mit Mitte 20, Ende 20, Anfang 30 sind, und für die ist das doch, etwas grob gesagt, ein gefundenes Fressen, oder?
Wuttke: Das möchte ich hoffen! Ich danke Ihnen! Das war der Rektor der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin, der Soziologe und Philosoph Wolfgang Engler. Vielen Dank und schönen Tag!
Engler: Ja, danke auch, gleichfalls! Ciao!