Wolfgang Frühwald hält Plagiatsvorwurf gegen Annette Schavan nicht für erhärtet
Annette Schavan habe nach bestem Wissen und Gewissen zitiert, meint der Germanist Wolfgang Frühwald. Es sei ein "Skandal", dass das Gutachten der Öffentlichkeit zugespielt worden sei. Der Fakultätsrat und Promotionsausschuss könnten jetzt nicht mehr unvoreingenommen urteilen.
Andreas Müller: Der Druck auf Bundesbildungsministerin Annette Schavan wegen des Plagiatsvorwurfs wächst. Die Kanzlerin hält zwar offen zu ihr, aber aus Reihen der Opposition wird scharf geschossen, Grünen-Fraktionschefin Künast nennt das Verhalten der Ministerin, Zitat, "beschämend". Schavan selbst geht in die Offensive, sie habe zu keinem Zeitpunkt bei der Arbeit an ihrer Dissertation versucht zu täuschen, sie wolle, sobald ihr Gelegenheit gegeben werde, zu den Vorwürfen Stellung nehmen. In einem Gutachten heißt es, Schavans Arbeit von 1980 zeige das, Zitat, "charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise". Am Telefon ist jetzt der Germanist Prof. Wolfgang Frühwald, der sich unter anderem intensiv mit der Plagiats-Affäre Guttenberg beschäftigt hat. Schönen guten Tag!
Wolfgang Frühwald: Guten Tag, Herr Müller!
Müller: Gibt es eine Plagiats-Affäre Schavan?
Frühwald: Es gibt die Plagiats-Affäre Schavan natürlich. Ob es gerechtfertigt ist, von der Sache her von einem Plagiat zu sprechen, ist nach wie vor umstritten, auch wenn jetzt das Gutachten, das die Fakultät bestellt hat, vorliegt und vorweg an die Presse gegeben worden ist.
Müller: Was sind denn die gravierenden Unterschiede zu zu Guttenberg?
Frühwald: Bei Guttenberg ist es mit Sicherheit so gewesen – und das ist deutlich geworden –, dass er zum Beispiel sich ein Papier vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages hat schreiben lassen und offenkundig dieses Papier dann 1:1 in seine Arbeit übernommen hat, ohne es hinterher noch zu wissen, dass er es so getan hat. Und wenn man weiß, wie solche Papiere entstehen, dass solche Papiere nämlich aus schon vorhandenem Material wieder Material zusammenstellen, um den Bundestagsabgeordneten bei ihren Reden zu helfen, dann haben Sie mit einem Schlag wirklich eine ungeheure Zahl von Plagiaten in einer Arbeit. Also Guttenberg hat tatsächlich abgeschrieben. Bei Annette Schavan sind es insgesamt sechs Stellen, wo man sagen kann, sie sind nicht nachgewiesen, der Rest ist mit Sicherheit zumindest diskutabel.
Müller: Wie eindeutig lässt sich das überhaupt feststellen? Bei Guttenberg ist eine Software zum Einsatz gekommen, und da konnte man dann schön mit einer Balkengrafik feststellen, zu wie viel Prozent Plagiat in der Arbeit steckte. Geht das bei Schavan?
Frühwald: Das geht bei Schavan sehr schwer. Das können Sie im Grunde grafisch nicht darstellen, weil das eine Arbeit ist, die viel mit wissenschaftlicher Literatur arbeitet und arbeiten muss, und die die Theorien, die über Person und Gewissen vorhanden sind in der wissenschaftlichen Literatur mit Quellenliteratur bereits vermengt. Und diese Vermengung muss in der Arbeit, die über Person und Gewissen geht bei Frau Schavan, wieder abgebildet werden. Frau Schavan hat nach bestem Wissen und Gewissen, wie mir scheint, zitiert. Sie hat fast zu viel zitiert. Aber wenn man natürlich dann die einzelnen Belegstellen mit der Arbeit konfrontiert und das genau vergleicht, dann kommen eben wie gesagt letzten Endes sechs Stellen raus, wo sie nicht genau zitiert hat. Ich gebe zu bedenken: Es war eine Zeit vor 32 Jahren, da hat man nicht mit dem Computer gearbeitet, man hat mit Zettelkästen gearbeitet, mit handschriftlichen Exzerpten, mit Schere und Kleister, um sich so eine Seite abzubilden. Das waren völlig andere Arbeitsbedingungen. Diese vorausgesetzt halte ich den Plagiatsvorwurf eigentlich für nicht gerechtfertigt.
Müller: Wie ist das eigentlich mit Grauzonen, mit Ermessungsspielräumen? Wie exakt sind die Kriterien für das, was Sie da jetzt auch gerade beschrieben haben, sechs Stellen, die vielleicht nicht ganz präzise waren? Wäre das an einer anderen Uni vielleicht gar nicht weiter interessant gewesen, beziehungsweise inwieweit haben damals oder hat der Doktorvater da auch nicht richtig hingeguckt?
Frühwald: Also mir scheint, dass der Doktorvater das nicht hat finden können. Ich habe zwar meine Assistenten häufig dazu angehalten, bei Doktoranden die Zitate zu prüfen, weil Doktoranden dazu neigen, schlampig zu zitieren grundsätzlich, ich auch als Doktorand. Und die Assistenten – wenn die die Zitate geprüft haben und gesagt haben, das ist in Ordnung, dann war ich als derjenige, der das Gutachten geschrieben hat, auch zufrieden. Ganz exakt kann es der Doktorvater nicht. Es herrscht zwischen dem Doktorvater und seinen Doktorandinnen und Doktoranden ein Vertrauensverhältnis. Wenn dieses Vertrauensverhältnis getäuscht wird, dann ist es schlimm, und dann wird die Universität im Mark getroffen. Ich glaube, dass dieses Vertrauensverhältnis zwischen Frau Schavan und ihrem Doktorvater nach wie vor besteht, und dass die Stellen, von denen behauptet wird, sie habe sie aus anderen übernommen, von den anderen, von einem Teil dieser anderen jedenfalls als keine Plagiate angesehen werden. Es gibt eine Grauzone, da haben Sie völlig recht, und die Entscheidungskriterien sind nicht ganz einfach, weil es ja um hermeneutische Wissenschaften geht, und das heißt, um Wissenschaften, die es mit dem Textverständnis zu tun haben und mit der Textinterpretation zu tun haben. Was ich dem Gutachten aus Düsseldorf vorwerfen würde, ist, dass es einen Schluss zieht, hier sei bewusst getäuscht worden. Die Bayreuther haben damals sogar bei Guttenberg intensivst vermieden, von bewusster Täuschung zu sprechen, weil das etwas ist, was man wirklich nicht nachweisen kann. Das wäre dann die Art eines Staatsanwalts, und ich finde, das ist im wissenschaftlichen Gutachten nicht brauchbar.
Müller: Über die Plagiatsvorwürfe gegen Bildungsministerin Annette Schavan spreche ich mit dem Germanisten Wolfgang Frühwald. Wir sind dann schon bei den Umständen, denn dieser Prüfungsbericht wurde vor Kenntnisgabe des Promotionsausschusses und Frau Schavan selbst publik, ist dem "Spiegel" offensichtlich zugespielt worden, manche sagen sogar, der "Spiegel" hat es gekauft. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Frühwald: Ich halte den Vorgang, wenn er so ist, wie Sie es soeben gesagt haben, für einen Skandal, und die Universität müsste diesen Skandal aufklären. Jede amerikanische Jury würde an dieser Stelle ein solches Verfahren sofort abbrechen und ein neues Gutachten anfordern, denn der Fakultätsrat, der Promotionsausschuss, also diejenigen, die über dieses Gutachten jetzt zu urteilen haben, können nicht mehr unvoreingenommen urteilen. Es ist ein als vertraulich einzuschätzender Vorgang an die Öffentlichkeit gegeben worden oder an die Öffentlichkeit geraten, ehe die Betroffene selbst überhaupt eine Ahnung davon hatte. Das trifft die guten Sitten der Universität ins Mark, und die Universität müsste dagegen etwas unternehmen.
Müller: Ernst Ludwig Winnacker, das ist ein ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hat der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, er halte die ganze Sache für eine, Zitat, "politische Aktion". Würden Sie das unterschreiben?
Frühwald: Das hat er mir auch gesagt, der Herr Winnacker gestern, ja, und ich glaube, er hat recht, ja. Es ist sehr viel Politik in diesem, obwohl die Universität sich bemüht, es rein auf wissenschaftlichem Level zu behandeln. Das ist auch anzuerkennen und ist zu konstatieren. Aber jetzt ist durch die Weitergabe, die vorzeitige Weitergabe dieses Gutachtens ein völlig anderer und damit auch ein politischer Umstand eingetreten.
Müller: Es gibt noch einen weiteren interessanten Aspekt. Frau Schavan weist immer darauf hin, dass es gar nicht die letzte Fassung ist, die da in diesem Gutachten, also es ist gar nicht die schlussendliche Arbeit gewesen, die bewertet wurde. Da sei etwas durchgesteckt worden, was nie eigentlich eine Dissertation, also es war eine Vorstudie dieser Dissertation. Wie bewerten Sie das?
Frühwald: Das kann ich nicht entscheiden, weil ich das Verhältnis von Vorstudie zu endgültiger Fassung nicht kenne, ich kenne nur die endgültige Fassung. Und wenn ich das richtig sehe, dann ist das Gutachten, das angefertigt worden ist in Düsseldorf, auch auf der Basis des gedruckten Textes erfolgt.
Müller: Was muss nun passieren?
Frühwald: Die Universität müsste den Skandal aufklären und sie müsste in der Tat sich auch mit sich selbst in diesem Fall befassen, denn es kann ja eigentlich nur jemand aus dem engeren Umkreis der Vertrauten ein solches Gutachten weitergeben. Und dann müsste die Universität sehen, wie weiter zu verfahren ist, und es müsste auch bewertet werden, ob das Gutachten nun wirklich in seiner Schlussfolgerung eindeutig ist oder nicht. Ich meine, dass der Text des Gutachtens aus Düsseldorf, das Fazit dieses Gutachtens nicht hergibt, das heißt, dass das Fazit, hier sei bewusste Täuschung vorgenommen worden, dass dieses Fazit durch den Text der Untersuchungen nicht gedeckt wird.
Müller: Herr Frühwald, Sie hatten in einem Artikel zusammen mit mehreren Hochschulleitern und hochrangigen Wissenschaftsfunktionären sehr kritisch sich zum Plagiats-Jägertum geäußert und das Spektakel gegeißelt, das es bietet, und den Schaden für die Wissenschaftskultur beklagt. Der Fall Schavan, der muss Sie in Ihrer Kritik mehr als bestätigen.
Frühwald: Ja, das finde ich langsam sehr schlimm. Ich finde, dass die Universitäten – dazu bin ich langsam zu alt und zu weit weg von der Universität –, aber ich finde, dass die Universitäten hier im Kern ihres Geschäftes und ihres Aufgabenbereiches getroffen werden. Sie lassen sich von außen vorschreiben, was und wie sie beurteilen sollen, Dissertationen. Das darf nicht sein. Es müsste längst ein Symposion einberufen sein, wo die Universitäten sich selbst darüber klar werden, wie sie mit solchen Umständen umgehen, wie sie in Zukunft damit umgehen, ob es nicht Regeln gibt, die man festlegen kann, an die man sich in Zukunft halten kann. Ein solches Symposion hat nicht stattgefunden. Jede Universität versucht es für sich, auf ihre Weise, und jede Universität macht es anders als die andere. Das ist ein Zustand, den ich für unhaltbar halte, die Universitäten sind aufgerufen, sich selbst zu retten.
Müller: Jede amerikanische Jury würde das Verfahren an dieser Stelle abbrechen, hat er gesagt – Wolfgang Frühwald, der Germanist, zu den Umständen des Promotionsverfahrens gegen Annette Schavan. Haben Sie vielen Dank!
Frühwald: Ich danke Ihnen, Herr Müller!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolfgang Frühwald: Guten Tag, Herr Müller!
Müller: Gibt es eine Plagiats-Affäre Schavan?
Frühwald: Es gibt die Plagiats-Affäre Schavan natürlich. Ob es gerechtfertigt ist, von der Sache her von einem Plagiat zu sprechen, ist nach wie vor umstritten, auch wenn jetzt das Gutachten, das die Fakultät bestellt hat, vorliegt und vorweg an die Presse gegeben worden ist.
Müller: Was sind denn die gravierenden Unterschiede zu zu Guttenberg?
Frühwald: Bei Guttenberg ist es mit Sicherheit so gewesen – und das ist deutlich geworden –, dass er zum Beispiel sich ein Papier vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages hat schreiben lassen und offenkundig dieses Papier dann 1:1 in seine Arbeit übernommen hat, ohne es hinterher noch zu wissen, dass er es so getan hat. Und wenn man weiß, wie solche Papiere entstehen, dass solche Papiere nämlich aus schon vorhandenem Material wieder Material zusammenstellen, um den Bundestagsabgeordneten bei ihren Reden zu helfen, dann haben Sie mit einem Schlag wirklich eine ungeheure Zahl von Plagiaten in einer Arbeit. Also Guttenberg hat tatsächlich abgeschrieben. Bei Annette Schavan sind es insgesamt sechs Stellen, wo man sagen kann, sie sind nicht nachgewiesen, der Rest ist mit Sicherheit zumindest diskutabel.
Müller: Wie eindeutig lässt sich das überhaupt feststellen? Bei Guttenberg ist eine Software zum Einsatz gekommen, und da konnte man dann schön mit einer Balkengrafik feststellen, zu wie viel Prozent Plagiat in der Arbeit steckte. Geht das bei Schavan?
Frühwald: Das geht bei Schavan sehr schwer. Das können Sie im Grunde grafisch nicht darstellen, weil das eine Arbeit ist, die viel mit wissenschaftlicher Literatur arbeitet und arbeiten muss, und die die Theorien, die über Person und Gewissen vorhanden sind in der wissenschaftlichen Literatur mit Quellenliteratur bereits vermengt. Und diese Vermengung muss in der Arbeit, die über Person und Gewissen geht bei Frau Schavan, wieder abgebildet werden. Frau Schavan hat nach bestem Wissen und Gewissen, wie mir scheint, zitiert. Sie hat fast zu viel zitiert. Aber wenn man natürlich dann die einzelnen Belegstellen mit der Arbeit konfrontiert und das genau vergleicht, dann kommen eben wie gesagt letzten Endes sechs Stellen raus, wo sie nicht genau zitiert hat. Ich gebe zu bedenken: Es war eine Zeit vor 32 Jahren, da hat man nicht mit dem Computer gearbeitet, man hat mit Zettelkästen gearbeitet, mit handschriftlichen Exzerpten, mit Schere und Kleister, um sich so eine Seite abzubilden. Das waren völlig andere Arbeitsbedingungen. Diese vorausgesetzt halte ich den Plagiatsvorwurf eigentlich für nicht gerechtfertigt.
Müller: Wie ist das eigentlich mit Grauzonen, mit Ermessungsspielräumen? Wie exakt sind die Kriterien für das, was Sie da jetzt auch gerade beschrieben haben, sechs Stellen, die vielleicht nicht ganz präzise waren? Wäre das an einer anderen Uni vielleicht gar nicht weiter interessant gewesen, beziehungsweise inwieweit haben damals oder hat der Doktorvater da auch nicht richtig hingeguckt?
Frühwald: Also mir scheint, dass der Doktorvater das nicht hat finden können. Ich habe zwar meine Assistenten häufig dazu angehalten, bei Doktoranden die Zitate zu prüfen, weil Doktoranden dazu neigen, schlampig zu zitieren grundsätzlich, ich auch als Doktorand. Und die Assistenten – wenn die die Zitate geprüft haben und gesagt haben, das ist in Ordnung, dann war ich als derjenige, der das Gutachten geschrieben hat, auch zufrieden. Ganz exakt kann es der Doktorvater nicht. Es herrscht zwischen dem Doktorvater und seinen Doktorandinnen und Doktoranden ein Vertrauensverhältnis. Wenn dieses Vertrauensverhältnis getäuscht wird, dann ist es schlimm, und dann wird die Universität im Mark getroffen. Ich glaube, dass dieses Vertrauensverhältnis zwischen Frau Schavan und ihrem Doktorvater nach wie vor besteht, und dass die Stellen, von denen behauptet wird, sie habe sie aus anderen übernommen, von den anderen, von einem Teil dieser anderen jedenfalls als keine Plagiate angesehen werden. Es gibt eine Grauzone, da haben Sie völlig recht, und die Entscheidungskriterien sind nicht ganz einfach, weil es ja um hermeneutische Wissenschaften geht, und das heißt, um Wissenschaften, die es mit dem Textverständnis zu tun haben und mit der Textinterpretation zu tun haben. Was ich dem Gutachten aus Düsseldorf vorwerfen würde, ist, dass es einen Schluss zieht, hier sei bewusst getäuscht worden. Die Bayreuther haben damals sogar bei Guttenberg intensivst vermieden, von bewusster Täuschung zu sprechen, weil das etwas ist, was man wirklich nicht nachweisen kann. Das wäre dann die Art eines Staatsanwalts, und ich finde, das ist im wissenschaftlichen Gutachten nicht brauchbar.
Müller: Über die Plagiatsvorwürfe gegen Bildungsministerin Annette Schavan spreche ich mit dem Germanisten Wolfgang Frühwald. Wir sind dann schon bei den Umständen, denn dieser Prüfungsbericht wurde vor Kenntnisgabe des Promotionsausschusses und Frau Schavan selbst publik, ist dem "Spiegel" offensichtlich zugespielt worden, manche sagen sogar, der "Spiegel" hat es gekauft. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Frühwald: Ich halte den Vorgang, wenn er so ist, wie Sie es soeben gesagt haben, für einen Skandal, und die Universität müsste diesen Skandal aufklären. Jede amerikanische Jury würde an dieser Stelle ein solches Verfahren sofort abbrechen und ein neues Gutachten anfordern, denn der Fakultätsrat, der Promotionsausschuss, also diejenigen, die über dieses Gutachten jetzt zu urteilen haben, können nicht mehr unvoreingenommen urteilen. Es ist ein als vertraulich einzuschätzender Vorgang an die Öffentlichkeit gegeben worden oder an die Öffentlichkeit geraten, ehe die Betroffene selbst überhaupt eine Ahnung davon hatte. Das trifft die guten Sitten der Universität ins Mark, und die Universität müsste dagegen etwas unternehmen.
Müller: Ernst Ludwig Winnacker, das ist ein ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hat der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, er halte die ganze Sache für eine, Zitat, "politische Aktion". Würden Sie das unterschreiben?
Frühwald: Das hat er mir auch gesagt, der Herr Winnacker gestern, ja, und ich glaube, er hat recht, ja. Es ist sehr viel Politik in diesem, obwohl die Universität sich bemüht, es rein auf wissenschaftlichem Level zu behandeln. Das ist auch anzuerkennen und ist zu konstatieren. Aber jetzt ist durch die Weitergabe, die vorzeitige Weitergabe dieses Gutachtens ein völlig anderer und damit auch ein politischer Umstand eingetreten.
Müller: Es gibt noch einen weiteren interessanten Aspekt. Frau Schavan weist immer darauf hin, dass es gar nicht die letzte Fassung ist, die da in diesem Gutachten, also es ist gar nicht die schlussendliche Arbeit gewesen, die bewertet wurde. Da sei etwas durchgesteckt worden, was nie eigentlich eine Dissertation, also es war eine Vorstudie dieser Dissertation. Wie bewerten Sie das?
Frühwald: Das kann ich nicht entscheiden, weil ich das Verhältnis von Vorstudie zu endgültiger Fassung nicht kenne, ich kenne nur die endgültige Fassung. Und wenn ich das richtig sehe, dann ist das Gutachten, das angefertigt worden ist in Düsseldorf, auch auf der Basis des gedruckten Textes erfolgt.
Müller: Was muss nun passieren?
Frühwald: Die Universität müsste den Skandal aufklären und sie müsste in der Tat sich auch mit sich selbst in diesem Fall befassen, denn es kann ja eigentlich nur jemand aus dem engeren Umkreis der Vertrauten ein solches Gutachten weitergeben. Und dann müsste die Universität sehen, wie weiter zu verfahren ist, und es müsste auch bewertet werden, ob das Gutachten nun wirklich in seiner Schlussfolgerung eindeutig ist oder nicht. Ich meine, dass der Text des Gutachtens aus Düsseldorf, das Fazit dieses Gutachtens nicht hergibt, das heißt, dass das Fazit, hier sei bewusste Täuschung vorgenommen worden, dass dieses Fazit durch den Text der Untersuchungen nicht gedeckt wird.
Müller: Herr Frühwald, Sie hatten in einem Artikel zusammen mit mehreren Hochschulleitern und hochrangigen Wissenschaftsfunktionären sehr kritisch sich zum Plagiats-Jägertum geäußert und das Spektakel gegeißelt, das es bietet, und den Schaden für die Wissenschaftskultur beklagt. Der Fall Schavan, der muss Sie in Ihrer Kritik mehr als bestätigen.
Frühwald: Ja, das finde ich langsam sehr schlimm. Ich finde, dass die Universitäten – dazu bin ich langsam zu alt und zu weit weg von der Universität –, aber ich finde, dass die Universitäten hier im Kern ihres Geschäftes und ihres Aufgabenbereiches getroffen werden. Sie lassen sich von außen vorschreiben, was und wie sie beurteilen sollen, Dissertationen. Das darf nicht sein. Es müsste längst ein Symposion einberufen sein, wo die Universitäten sich selbst darüber klar werden, wie sie mit solchen Umständen umgehen, wie sie in Zukunft damit umgehen, ob es nicht Regeln gibt, die man festlegen kann, an die man sich in Zukunft halten kann. Ein solches Symposion hat nicht stattgefunden. Jede Universität versucht es für sich, auf ihre Weise, und jede Universität macht es anders als die andere. Das ist ein Zustand, den ich für unhaltbar halte, die Universitäten sind aufgerufen, sich selbst zu retten.
Müller: Jede amerikanische Jury würde das Verfahren an dieser Stelle abbrechen, hat er gesagt – Wolfgang Frühwald, der Germanist, zu den Umständen des Promotionsverfahrens gegen Annette Schavan. Haben Sie vielen Dank!
Frühwald: Ich danke Ihnen, Herr Müller!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.