Zum Tod von Wolfgang Hagen

Leidenschaftlicher Radiomacher und mutiger Erneuerer

Porträt von Wolfgang Hagen.
Erfand Radioformate, verlegte und schrieb Bücher und forschte zur Mediengeschichte: Wolfgang Hagen. © picture alliance / Karlheinz Schindler
Von Stephan Detjen und Marcus Gammel |
Aus ganzem Herzen Radiomacher sein, aber über Formular-Rhetorik von Powerpoint schreiben: Diesen Spagat beherrschten wenige wie Wolfgang Hagen. Später nahm er Abschied vom Radio und einen Ruf der Uni an. Jetzt ist Hagen mit 71 Jahren gestorben.
Wolfgang Hagen gehörte zu den herausragenden Gestalten und Gestaltern des öffentlich-rechtlichen Radios in Deutschland. Er war ein grenzenlos gebildeter Intellektueller, leidenschaftlicher Radiomacher, mutiger Erneuerer und renommierter Wissenschaftler.
In Berlin gehörte Hagen in den 1970er-Jahren zum Gründerkollektiv des Merve-Verlags um Peter Gente. Als dessen Lektor und Geschäftsführer trug er mit dazu bei, die Philosophie des französischen Poststrukturalismus und der Postmoderne in Deutschland bekannt zu machen.

Zwischen "SFBeat" und Schillerverehrung

Hagens eigenes Denken wurde besonders von der Systemtheorie und Begegnungen mit Niklas Luhmann geprägt. In seiner Dissertationsschrift beschrieb er die „Schillerverehrung in der Sozialdemokratie vor 1914“ als Ausdruck einer „ideologischen Formation der proletarischen Kulturpolitik“ im Kaiserreich.
Ende der 70er-Jahre stieß Hagen zum Radio, zunächst als Kulturredakteur und Moderator bei Radio Bremen, dann im SFB als Mitbegründer von "SFBeat", einer damals völlig neuartigen Magazinsendung, die englische Popmusik und Information mit innovativen Gestaltungselementen wie Jingles und Trailern präsentierte. In den 1980er- und 1990er-Jahren kehrte er noch einmal zu Radio Bremen zurück, moderierte die Sendung "3 nach 9" und war dann erster Programmchef der Jugendwelle Radio Bremen Vier.
2002 kam er zum Deutschlandradio. Er forderte alle heraus, die mit ihm arbeiteten, regte an, suchte Diskussion, produktive Reibung und Widerspruch. Sein Ziel war es, das ganze Spektrum kulturjournalistischer Ausdrucksformen auszuloten und weiterzuentwickeln.

Wurfsendungen und Radiofeuilleton

Mit den "Wurfsendungen" entwickelte er ein einzigartiges Kurzformat, das die formale Hülle kommerzieller Radiowerbung mit den Inhalten und Mitteln der Radiokunst füllt. Die Idee der "Wurfsendung" wurde international beachtet und von anderen Rundfunkanstalten aufgenommen.

Die Kulturwissenschaftlerin Julia Tieke betreut die "Wurfsendung" im Deutschlandfunk Kultur heute. Über Wolfgang Hagen sagt sie, er habe das Programm des Senders sehr geprägt und präge es bis heute. „Er liebte wirklich dieses Medium. Er war ein Intellektueller, aber eben auch Praktiker und freier Geist, der keine Scheu hatte, in die Unterhaltung zu gehen.“ Den Hörer ernst nehmen, unterhalten, aber trotzdem auch experimentierfreudig sein, das beschreibe Hagen. Der Radiomacher fand etwa, dass Radiowerbung manchmal interessanter war als die Sendung drumherum. So entstand die Idee für Mini-Hörspiele in der Länge von Werbespots und schließlich das Format "Wurfsendung".

2004 entwickelte Wolfgang Hagen mit einem Team im Berliner Funkhaus das Radiofeuilleton. Auch hier war seine Grundidee, ein bestehendes Radioformat, das Inforadio mit seiner sich selbst wiederholenden Stundenuhr, zu einem innovativen Kulturradio weiterzuentwickeln.
Das Sendeschema erinnere an „scharf kalkulierte Flugpläne auf einem internationalen Airport: Alle drei Minuten hebt ein glänzender Jet in eine neue Himmelsrichtung ab. Wunderbarerweise ist genau das sehr reizvoll. Diese gewisse geistreiche Anarchie hört man im Moment wohl nur beim neuen Deutschlandradio“, schrieb damals der "Tagesspiegel". Die Hörerzahlen stiegen, das Programm gewann Preise und wurde zu einem bedeutenden Forum kultureller Diskurse in Deutschland.

Der Kreis schließt sich beim Merve-Verlag

2012 verließ Wolfgang Hagen das Deutschlandradio und nahm einen Ruf als Professor an der Leuphana-Unversität in Lüneburg an. Er forschte über den Zusammenhang zwischen der Erfindung des Radios, Spiritismus und Psychoanalyse und über Medienkulturen und Techniken der Digitalisierung.

Der Physiker und Kulturinformatiker Martin Warnke, der gemeinsam mit Wolfgang Hagen an der Leuphana-Universität in Lüneburg lehrte, erinnert an die große Quellenkenntnis seines Kollegen, seine warme, einfühlsame und interessierte Art. Hagen sei jemand gewesen, der andere auch immer gern mitgenommen und ihnen zu neuen Erkenntnissen verholfen habe. In seiner Kennerschaft der Musikliteratur und auch der Wissenschaft sei er immer unbestechlich geblieben: „Das hat sich, wie ich finde, in seinen Radiobeiträgen auch widergespiegelt und eine Resonanz gefunden. Diese Klarheit und die Entschiedenheit und die Unbestechlichkeit ohne Schärfe und ohne Hochnäsigkeit.“

Neuere Arbeiten widmen sich dem Stil von Programmiersprachen, der Formular-Rhetorik von Powerpoint oder der sozialen Sensorik von Smartphones. Sein letztes Buch „Das Loch. Beobachtungen vom Schwinden des Seins“ konnte er kurz nach Diagnose seiner schweren Erkrankung fertigstellen. Es wird posthum beim Merve-Verlag erscheinen, den Wolfgang Hagen in den 1970er-Jahren mit aufgebaut hat.

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