Wolfgang Hetzer: Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung? Leistung, die Leiden schafft
Westend-Verlag, Frankfurt 2015
224 Seiten, 17,99 Euro, auch als E-Book erhältlich
Jurist plädiert für ein Unternehmensstrafrecht
Tricks, Täuschungen, Intransparenz: Wolfgang Hetzer bezeichnet das unternehmerische Klima bei der Deutschen Bank als "organisierte Verantwortungslosigkeit". In seinem neuen Buch fordert der Jurist den Gesetzgeber auf, endlich ein zeitgemäßes Unternehmensstrafrecht zu schaffen.
So reißerisch die Frage auf dem Buchdeckel gestellt ist, so nüchtern und klar folgt die Antwort im Text. Nein, Wolfgang Hetzer erklärt die größte deutsche Bank nicht zu einer kriminellen Vereinigung. Er wäre wohl auch kein guter Jurist, würde er sich durch ein Pauschalurteil mit der Rechtsabteilung eines vielleicht angeschlagenen, aber immer noch wehrhaften Konzerns anlegen.
Ausdrücklich nimmt er nicht Tausende von Bankangestellten ins Visier, sondern lediglich Investmentbanker, gefragte und gehätschelte Spezialisten also, die für ihren Arbeitgeber über Jahre große Gewinne und für sich selbst riesige Boni erwirtschaftet haben, denen allerdings auch vorgeworfen wird, bei hochriskanten Geschäften manipuliert und beträchtlichen finanziellen Schaden verursacht zu haben.
Kriminelles Betriebsklima wurde begünstigt
Und er wirft Management und Aufsichtsräten vor, nicht nur Kontrollpflichten vernachlässigt, sondern ein betriebliches Klima geschaffen zu haben, das seinerseits kriminelle Energien von Mitarbeitern begünstigte und deckte. Er nennt dies "organisierte Verantwortungslosigkeit".
Sie schlug finanziell auf die Deutsche Bank zurück und bescherte ihr -wie anderen namhaften Investmentbanken - Tausende von Rechtsstreitigkeiten mit Behörden und Geschäftspartnern sowie Milliarden an Strafzahlungen und Schadensersatzforderungen: beispielsweise wegen ausfallgefährdeter Kreditverbriefungen, Zinsmanipulationen, Umsatzsteuerbetrug beim Handel mit CO2-Zertifikaten.
In seinen Büchern arbeitet er die jüngste weltweite Finanz- und Bankenkrise vornehmlich aus strafrechtlicher Sicht auf. Dabei nimmt er die immer wieder gehörte Ausrede nicht hin, es handelte sich um Einzelfälle, die von wenigen "schwarzen Schafen" in ansonsten seriös gestalteten Marktsegmenten verschuldet worden seien. Vielmehr macht er auf das Netzwerk hinter dem Geschehen aufmerksam.
Organisierte Kriminalität wird nur unzureichend verstanden
Mit den Problemfeldern "Korruption", "Organisierte Kriminalität" und "Geldwäsche" hatte Wolfgang Hetzer sich bereits beruflich auseinandergesetzt: von 2002 bis 2013 als Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zuvor als Referatsleiter im Bundeskanzleramt.
Völlig unzureichend, ja veraltet sei das kriminologische und kriminalistische Verständnis von "Organisierter Kriminalität", die gemeinhin allein gewalttätigen, primitiven Banden aus Rauschgifthändlern, Betrügern und Räubern zugeschrieben werde. Weil Geld geräuschloser als Waffen sei, werde dabei verkannt, wie sehr sich wirtschaftliche und politische Macht kriminell verbinden könnten.
Gerade ein europäischer Binnenmarkt mit komplexer Gesetzgebung, nationalen Eigenheiten, enormen Geldtransfers und zahlreichen Lücken staatlicher Kontrolle bietet einer kaufmännisch und weitsichtig kalkulierenden Mafia beträchtliche Gewinnchancen. Und ebenso viele Betrugschancen, darauf weist Wolfgang Hetzer hin, erlauben spezialisierte, schlecht regulierte Finanzmärkte, an denen schwer durchschaubare Wertpapiere in großem Stil abseits der Börsen gehandelt werden.
Wenn Banken zudem ihre Dienste anbieten, um Steuern zu vermeiden und Geld zu waschen, hebeln sie seiner Meinung nach auch die nationale Geldpolitik aus – durch nicht nachvollziehbare Kapitalbewegungen. Denn das Kernübel ist – neben Tricksen und Täuschen – das Geschäftemachen mit der Intransparenz.
Unternehmensstrafrecht wäre notwendig
Und so stimmt er in den alten Warnruf von Wettbewerbshütern, Verbraucherschützern und Antikorruptionskämpfern ein, dass eine Marktwirtschaft sich selbst zerstöre, wenn sie sich nicht an Gesetze der Fairness halte und regelwidriges Treiben leichtfertig verharmlose, eben nicht als organisiert und hochkriminell erkenne.
Nur will er sich nicht mit Ordnungswidrigkeiten und deren durchaus beachtlichem Strafrahmen begnügen. Er fordert ein Unternehmensstrafrecht, um auch Organisationen als juristische Personen zur Verantwortung ziehen zu können, wo in einem kriminellen Netzwerk die Suche nach der Schuld einzelner Täter Stückwerk bleibt.
Das Strafrecht soll demnach den versprochenen "Kulturwandel" in Wirtschaft und Gesellschaft erzwingen – von wirtschaftlicher Gier hin zu ordoliberalem Gemeinsinn. Und für diese Aufgabe schreibt Wolfgang Hetzer dem Gesetzgeber ein Pflichtenheft. Dessen Details sind Juristen und Kriminologen wohl bekannt. Sie vermissen vor allem politischen und gesellschaftlichen Nachdruck.