Der ehrwürdigste Gott- und Menschenhasser
Vor 200 Jahren geboren, aus einfachsten Verhältnissen stammend, wurde Johann Karl Wezel zu einem vielfach verehrten Schriftsteller. Er schilderte keine Helden, sondern erzählte von einfachen Menschen, Betrug und Verrat. Auch sein eigenes Leben endete tragisch.
Frank Meyer: "Ich, der Gott Wezel", so soll sich der Schriftsteller Johann Karl Wezel selbst genannt haben – "Gott Wezel". Der Autor Arno Schmidt hat bei Wezel den ehrwürdigsten Gott-, Welt- und Menschenhass gefunden, und manche meinen, Wezel habe den besten Roman des 18. Jahrhunderts geschrieben – mit seinem Buch "Hermann und Ulrike".
Heute ist der 200. Todestag von Johann Karl Wezel, und hier im Studio ist jetzt einer der glühendsten Wezel-Bewunderer unter der Sonne: der Verleger und Autor Wolfgang Hörner. Seien Sie willkommen!
Wolfgang Hörner: Hallo!
Meyer: Ich hoffe, das ist ein Ehrentitel für Sie.
Hörner: Aber natürlich.
"Er war ein wirklicher Selbstdenker"
Meyer: Also, Wezel, im Jahr 1747 geboren, in einem kleinen Städtchen in Thüringen. Sein Vater war Koch, seine Mutter Dienerin, um mal ganz kurz einen Lebensabriss anzusteuern. Der Wezel, also niedere Herkunft, wie man damals sagte, muss aber ein junges Genie gewesen sein, denn er wurde schon von seinen Lehrern früh gefördert, hat es an die Universität Leipzig geschafft. Sie feiern Wezel jetzt als einen freien Geist in seiner Zeit. Was macht ihn besonders zu einem freien Geist?
Hörner: Also er war definitiv einer der ersten, wenn nicht der erste freie deutsche Schriftsteller sozusagen, man muss sagen, sein dann grauenhaftes Schicksal sei eine Mahnung. Und dann war er aber auch ein wirklicher Selbstdenker, am Anfang sehr gefördert, aber in der Uni hat er dann Theologiestudium abgebrochen, angefangen, selber rumzulesen, Studium abgebrochen, und dann wurde er freier Schriftsteller, wo er eigentlich alles einmal neu durchdachte.
"Er ging das volle Risiko"
Meyer: Freier Schriftsteller also nicht wie Goethe zum Beispiel angestellt bei irgendeinem Fürsten, sondern auf eigenen Füßen stehend.
Hörner: Er ging das volle Risiko, und das war eine kurze Zeit glühend brillant, ein richtiger Komet, er war ein ganz hell strahlender Stern. Und dann – darauf kommen wir sicher noch – gab es einen schrecklichen Absturz.
Meyer: Und mit welchem Buch ist er zuerst aufgefallen – gleich als Komet in der literarischen Welt?
Hörner: Also aufgefallen mit einem Roman, vierbändig, das Leben von Tobias Knaut, der Stammler genannt, war völlig ungewöhnlich, weil er das Bild, das Porträt eines Menschen macht, der eben nicht ein schlauer, toller Mensch ist, der im Leben erfolgreich ist, sondern eines zurückgebliebenen, der dieses ganze Buch hindurch alle möglichen Abenteuer erlebt, vor allem auch in Deutschland und in deutschen Verhältnissen – das zeichnet Wezel aus.
Er ist ein ganz scharfer Beobachter seiner Zeit, aber er wird im Prinzip so bleiben, wie er ist, und damit negiert Wezel natürlich dieses optimistische Perfektibilitätsdenken und dass der Mensch immer nach oben streben müsse, Literatur müsse immer darstellen, dass alles gut wird. Bei Wezel, bei den ersten Büchern wird nichts gut. Er erlebt eine Enttäuschung nach der anderen und bleibt am Ende so, wie er ist, ein relativ dumpfer Klotz, der Eicheln isst.
Die Welt ist voller Monster
Meyer: Und dass da nichts gut wird in diesem Buch und mit diesem Menschen, war das auch der Grund, dass eben der große Misanthrop Arno Schmidt dann Mitte des 20. Jahrhunderts hier so einen Bruder im Geiste zu finden glaubte und eben den ehrwürdigsten Gott-, Welt- und Menschenhass bei Wezel gesehen hat?
Hörner: Ja, also es war tatsächlich so. Dann kam das zweite Buch von Wezel, "Belphegor" hieß das, und das ist …
Meyer: Das ist noch schwärzer, ne?
Hörner: Das war den Zeitgenossen wirklich zum Teil zu viel. Also er war vorher sehr … trotzdem, das war … Dieser Knaut war natürlich eine Sensation, Wezels wirklich sehr scharfsinnige Schriften, die er in allen möglichen Zeitschriften machte über alle möglichen Themen – Literatur, Kunst, Ästhetik und so –, waren auch sehr, sehr ungewöhnlich, sehr schlau.
Da war er so ein kleiner Star und Christoph Martin Wieland hat ihn sehr protegiert in seiner Zeitschrift "Deutscher Merkur", durfte einiges vorab drucken. Und dann kam dieser "Belphegor", so eine Art Reprise auf Voltaires "Candide", wo vier Leute wieder durch die Welt und zum Teil auch – es ist so ein böses Märchen – durch erfundene Welten reisen und einen Schrecken nach dem anderen erleben.
Die Welt ist voller Monster, der Mensch ist des Menschen Wolf – das ist auch das Motto des ersten Bandes. Sie bekommen Gliedmaßen abgehackt, immer wenn sie was Gutes tun wollen, werden sie verraten, hintergangen, gegenseitig fangen sie dann auch an, sich zu betrügen und so. Und das zog sozusagen bei Wieland den Stöpsel. Der sagte, ein derart vermaledeites, abenteuerliches Ungeheuer-, menschenfeindliches Ungeheuerbuch, das kann man doch nicht machen. Und da ist der Ruf von Wezel bis heute da, das ist natürlich dann berühmt geworden, das war das Buch, was Arno Schmidt dann so groß machte.
Kurioserweise waren die großen Schwarzseher der deutschen Geistesgeschichte, Nietzsche und Schopenhauer kannten den Wezel nicht, sie hätten das großartig gefunden.
Meyer: Er war eben immer wieder total vergessen, auch in unserer Zeit, muss man das ja fast so sagen, deswegen haben die beiden den auch nicht gekannt. Dann schauen wir doch mal auch auf eine andere Seite von Wezel. Sie sind wahrscheinlich auch der Meinung, dass Wezels Roman "Hermann und Ulrike" der beste Roman des 18. Jahrhunderts sei, besser als zum Beispiel die Bücher, die ein gewisser Goethe geschrieben hat in der Zeit oder auch der Herr Wieland.
Hörner: Ja, ich finde, als Romanschreiber muss ich den Goethe nicht gerade den großen Stern am Himmel [bezeichnen]. Wieland natürlich groß. Also es ist einer der besten Romane definitiv, vielleicht nicht der. Ich bin kein Freund solcher Bezeichnungen, aber da zeigt Wezel sozusagen mal das Gegenstück, das war auch sein Programm. Er wollte die Welt schockieren mit diesen ersten beiden Büchern und sagen: Leute, so wie ihr das alles immer macht, muss man es nicht machen, das ist auch unrealistisch, wir wollen den Menschen zeigen, wie er ist, nicht, wie er in einer dollen Welt vielleicht sein könnte, aber nicht in Wirklichkeit ist.
Eine lustige, gemeine Karikatur
Und jetzt schreibe ich mal ein Buch, das aber ein positives Buch ist, "Hermann und Ulrike". Da verlieben sich zwei, auch so ein Emporkömmling aus ganz einfachen Verhältnissen, praktisch wie er, und wenn man liest, findet man diesen bizarren Hof von Sondershausen, auf dem er aufgewachsen ist, in diesem Buch ganz wunderbar lustig, gemein, hinterhältig, karikiert. Und da verliebt sich eben so einer aus einfachen Verhältnissen, ein schlauer Kerl, in die Fürstentochter, die diesen Hof auch schrecklich findet.
Die durchleben in ganz Deutschland in verschiedensten Milieus, also die fliehen dann und durchleben in verschiedensten Milieus, in verschiedensten Städten ganz tolle Porträts von Berlin, von Dresden, von Leipzig, also von Adelsstädten, Handelsstädten, freien Reichsstädten und so, verschiedene Abenteuer. Am Ende geht das gut aus, allerdings nur, weil aus eigentlich den falschen Gründen ein Fürst sie toll findet und den Hermann dann als Ratsherrn einsetzt, der das Fürstentum reformiert.
"Er konnte nicht zurückstecken"
Meyer: "Hermann und Ulrike". Wenn man noch mal aufs Leben schauen von Wezel, Sie haben es vorhin schon mal angedeutet, das ging nicht gut aus mit ihm. Er hatte so eine Art Hölderlin-Schicksal, also einen sehr großen Teil seines Lebens, die letzten 35 Jahre hat er dann in seinem Heimatstädtchen zugebracht, sehr zurückgezogen, wie ein Pflegefall eigentlich, offenbar psychisch schwer verstört. Was weiß man heute darüber, was mit ihm passiert war?
Hörner: Man weiß es bis heute nicht so richtig. Nach dieser glänzenden Aufstiegsphase – natürlich war "Hermann und Ulrike" dann noch mal überall gelesen als sehr beliebter Roman – kam er aber, weil er schon auch nicht zurückstecken konnte … Wenn jemand ihn kritisierte, dann geriet er immer in schreckliche Gefechte mit denen … Da gab es ein Buch, das er schrieb, wo die Leipziger Zensur, die ihn nicht leiden konnte, aus lächerlichsten Gründen die Vorrede verbot, und andere Leute hätten gesagt, komm, dann ändere ich den Quatsch, was soll es. In dem Buch geht es um was ganz anderes.
Er fing einen richtigen Krieg mit denen an, ließ diese Vorrede woanders drucken, einlegen, die wurden vorbestellt. Es gab einen zweiten Zensur… Es gab einen Streit mit einem Philosophen in Leipzig, mit den Akademikern war er verstritten. Es gab wirklich einen Absturz mit einem weiteren Roman, den er schrieb, der nicht gut angenommen wurde, wo er auch zum ersten Mal den Selbstverlag versuchte, also er versuchte auf allen Ebenen sozusagen, was neu und anders zu machen.
Ein Leben in Armut
Und dann war er nach wenigen Jahren gesellschaftlich isoliert, sehr verarmt, offensichtlich auch sehr verbittert, und es gab wohl niemanden, der ihn rausholte. Dann zog er sich halt wirklich völlig verarmt in sein Sondershausen wieder zurück, über das er sich vorher immer so lustig gemacht hatte, und man muss es sagen, teilweise vegetierte er schrecklich vor sich hin.
Meyer: So ging es mit Johann Karl Wezel dann zu Ende, wie gesagt nach 35 Jahren nach diesem Rückzug. Man kann ihn demnächst in schönem Rahmen wiederentdecken, im März wird nämlich eine neue Ausgabe seines Romans "Hermann und Ulrike" – darüber haben wir gesprochen – herauskommen, als Doppelband in der Anderen Bibliothek. Jetzt raten Sie mal, wer das Nachwort geschrieben hat! Genau, er steht hier, Wolfgang Hörner. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Hörner: Vielleicht müssen wir aber noch kurz anmerken, dass jetzt auch ein wirklich sehr schönes Wezel-Lesebuch erschienen ist, wo so ein bisschen die dollsten Sachen, die er gemacht hat, sehr breit gestreut, von Jutta Heinz versammelt sind, im Mattes-Verlag.
Meyer: Das sollten wir unbedingt erwähnen. Vielen Dank auch dafür!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.