Wolfgang Joops Autobiografie

Die Prägungen der Kindheit

05:28 Minuten
Wolfgang Joop blickt freundlich lächelnd in Richtung des Betrachters.
Wolfgang Joop reflektiert in seinem neuen Buch auch über Migration und Heimat. © Christoph Soeder / picture alliance / dpa
Von Tobias Wenzel |
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Wolfgang Joop ist neben Jil Sander der erfolgreichste lebende deutsche Modemacher und schuf mit seiner Marke JOOP! ein Imperium. Nun hat er eine Autobiografie geschrieben - ein Buch über seine Kindheit, Jugend und die ersten Schritte in der Modebranche.
Am Ende des Interviews, beim Spaziergang um seine modern sanierte, uralte Finca auf Ibiza - es ist schon dunkel -, wirkt Wolfgang Joop nachdenklich:
"Was mir natürlich heute wieder einfiel, als ich am Wasser war, am Meer: dass ich nicht mehr ganz unschuldig meine Füße in das Wasser stecken kann. Es holt mich so ein, dass woanders Menschen im Boot hin- und herfahren und nicht wissen, wo sie an Land gehen können, oder ertrinken. Also das Mittelmeer hat so die Unschuld verloren. Und ich finde, dieser riesengroße, endlos große Garten hier ist schon ein großes Privileg. Und manchmal denke ich: Darf man das eigentlich noch? Ist das Geschenk nicht zu groß?"

Der Bauernhof als Hauptfigur

Knapp zwei Stunden zuvor gibt es auf der Terrasse Mandelkuchen und Tee, während die Sonne und die extrem hohe Luftfeuchtigkeit eine Freiluftsauna erzeugen: "Also ich muss noch mal betonen, dass ich eigentlich mittlerweile etwas unfreiwillig auf Ibiza bin."
Ein Zugeständnis an seinen Ehemann. Wolfgang Joop wäre lieber schon zurück in Potsdam, am Park Sanssouci, auf dem Anwesen Bornstedt, wo er nun wieder lebt und wo er die Hälfte seiner Kindheit verbracht hat. Wenn der Modedesigner die Augen schließt, kommen schon die Erinnerungen:
"Ich sehe meine Großmutter in ihrer Schürze. Und wenn ich heraus aus dem Haus gehe, sehe ich auf dem Hof rechts die Hühner und wie die Flugente auf dem Dach sitzt, auf die mein Großvater immer wartete, dass sie mal runter käme, damit er sie schlachten könne. Ja, dieses Treiben und diese vielen Figuren, die vermisse ich eigentlich immer."

Traumatisierender Umzug

Der Hof in Bornstedt ist die wahre Hauptfigur in Joops Autobiografie "Die einzig mögliche Zeit", ein Ort, dessen Anziehungskraft man selbst dann zu spüren glaubt, wenn der Autor zum Beispiel über die erfolgreiche Vermarktung seiner Pelzkollektion in New York schreibt. Das ergibt aber Sinn.
Denn kein anderer Ort als Bornstedt hat Joop so sehr zu dem gemacht, der er ist. Die Tatsache, dass sein spät aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter Vater ihn schlug, konnte Wolfgangs Bewunderung für den Bauernhof nicht zerstören.
Der Sohn war regelrecht traumatisiert, als er 1953, mit acht Jahren, in einer unangekündigten Blitzaktion von Bornstedt in der DDR nach Braunschweig in die BRD, den neuen Lebensmittelpunkt der Familie, gebracht wurde. In den Ferien besuchte er aber seine Großeltern und seine Tante auf dem Hof.
"Das habe ich vielleicht aus Bornstedt mitgenommen: dieses ungeheure visuelle Gedächtnis. Denn ich bin gegangen als kleiner Junge. Als ich das erste Mal zurückkam, mit weit gestellten Pupillen und weit gestellten Sinnen das alles behalten zu wollen, das alles zu sehen und mitzunehmen. Wenn ich in dieses triste Braunschweig zurück sollte, dann dache ich: Ich nehme das mit."

Deutscher Zeitgeist und berührende Anekdoten

Um von den Mitschülern abschreiben zu dürfen, zeichnete er für sie aufreizende Frauenakte. Später gewannen er und seine Frau Karin einen Preis bei einem Modewettbewerb. Sie arbeiteten als Modejournalisten. Karin war Ehefrau und Muse des Modedesigners. Gleichzeitig zogen sie ihre beiden Töchter groß.
Joop gelingt es mit seinem neuen Buch nicht nur, wunderbar berührende und irrwitzige Anekdoten zu erzählen – zum Beispiel wie sein Versuch, vor der Wende Meißener Porzellan zu designen, letztlich an der Stasi und einem Sexclub-Besuch im Westen scheiterte –, sondern auch den Leser den sich ändernden Zeitgeist vom Nachkriegsdeutschland bis in die exzentrischen 90-er nachempfinden zu lassen.

Das letzte Gespräch mit der sterbenden Mutter

"Die Mode hat diese Kraft eben auch verloren, weil wir uns nicht mehr nach ihr sehnen." Die Sonne ist schon lange untergegangen auf Ibiza. Im Garten hinter der Terrasse leuchtet ein angestrahlter Baum in der Dunkelheit. Und Wolfgang Joop spricht über den letzten Tag seiner Mutter und über Gut Bornstedt:
"Kurz bevor sie starb, hat sie gesagt: 'Wolfgang, tu was! Zieh hier ein! Was geschieht sonst?' Und ich sagte zu ihr: 'Mutter, man muss auch loslassen können.' Und dann starb sie, ein paar Sekunden später."
Jahre hat er gebraucht, um nach Bornstedt zu ziehen und ihr diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Ohne ihn hätte er wohl nicht dieses gelungene Buch geschrieben und vielleicht auch nicht entdeckt, dass Bornstedt, der Ort, der ihn zum kreativen Menschen gemacht hat, seine Heimat ist. "Schicksal, würde ich sagen. Schicksal ist Heimat."
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