Nachruf auf Wolfgang Kohlhaase
Für seine Arbeit wurde Wolfgang Kohlhaase vielfach geehrt, unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis, dem Bundesverdienstkreuz und dem Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk. Hier: Kohlhaase auf der Berlinale 2015. © picture alliance / Geisler-Fotopress / David Heerde
Spezialist für das Alltägliche
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Wolfgang Kohlhaase war einer der großen Drehbuchautoren der DDR, er schrieb die Skripte zu „Solo Sunny“ und „Der Aufenthalt“. Nach der Wende hatte er mit der Komödie „Sommer vorm Balkon“ Erfolg. Nun ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
Wolfgang Kohlhaases Kapital waren seine Ohren und sein gutes Gedächtnis: Gespräche, Anekdoten, Geschichten, Zeitungsmeldungen, Klatsch und Tratsch, Erinnerungen, Kurznotizen – er speicherte alles.
Als er 2010 den Goldenen Ehrenbären der Berliner Filmfestspiele bekam, pries die Jury sein „Gespür für Authentizität in seinen Figuren wie in seinen Geschichten, seine lakonische, sehr ökonomische Sprache und seine feine Ironie“.
Hintergründige Kritik zu DDR-Zeiten
Jedes Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase basierte auf Erlebtem und Gehörtem – und spiegelte schon allein dadurch in hohem Maß die Wirklichkeit. Kohlhaases Geschichten blickten stets deutlich auf die Realität. Was ihm, dem in der Regel linientreuen Kader, zu DDR-Zeiten manch Schimpf einbrachte.
Doch er brachte auch Renommee – und Preise, im Fall „Solo Sunny“ etwa von der Berlinale. So durfte er mehr als andere in Potsdam-Babelsberg, gelegentlich, etwa 1974 im Künstlerdrama „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“, die Schattenseiten des Alltags Andersdenkender reflektieren, ganz leise, versteckt, hintergründig, versteht sich.
Doch aufs Leise, Versteckte, Hintergründige verstand er sich bestens – und darauf, sich die richtigen Arbeitspartner zu suchen. „Mit wem man arbeitet, soweit man das beeinflussen oder entscheiden oder sich wünschen kann, das ist die wichtigste Frage, bevor man überhaupt anfängt“, sagte er in einem Interview.
Die wichtigsten Regisseure für Kohlhaase waren in der DDR Gerhard Klein, er inszenierte zum Beispiel 1957 die legendäre Milieustudie „Berlin – Ecke Schönhauser“, Konrad Wolf, der Regisseur von „Solo Sunny“ und Frank Beyer, der das lange von den Zensoren zurückgehaltene Zweite-Weltkriegs-Drama „Der Aufenthalt“ verfilmte.
Zum bedeutendsten Partner nach dem Mauerfall wurde der Regisseur Andreas Dresen. „Er guckt ähnlich auf das Alltägliche“, so Kohlhaase. „Er ist auf eine ähnliche Weise an Menschen interessiert und an sozialer Genauigkeit und ein ausgesprochen kollegialer Partner.“
Arbeitersohn, Journalist, freischaffender Künstler
Kohlhaase, der Proletarier-Sohn aus Berlin-Adlershof, gehörte zur Generation derer, denen – nach dem Naziterror – die DDR als Verheißung erschien, anfangs. Als Journalist verdiente er sich schon mit 16 Jahren erste Sporen. Doch es zog ihn zum Film. Mit 19 wurde er Dramaturgie-Assistent bei der DEFA. Mit gerade mal 21 etablierte er sich als freischaffender Autor.
Ein gutes Dutzend Jahre läuft das problemlos. Dann aber, 1965, verbieten die Herrschenden auf dem XI. Plenum des ZK der SED den Künstlern das Denken. „Das Geringste, was man tun konnte: Es nicht einsehen. Das war man sich aber auch selbst schuldig. Es war eine in sich verbiesterte Situation, aus der man irgendwann wieder raus musste“, erinnerte sich Kohlhaase in einem Interview.
Es traf viele, auch Kohlhaase. Die von ihm und seinem Freund Gerhard Klein schon gedrehte Sozialstudie „Berlin um die Ecke“ wurde verboten. Kohlhaase gab nicht auf. Vor allem in der Zusammenarbeit mit den Regisseuren Konrad Wolf und Frank Beyer schuf er bemerkenswerte Spielfilme, die dem realen Sozialismus sehr genau nachspürten – mit Szenen, die nichts zeigten und alles sagten, Dialogen, deren Witz die Schimären der Wirklichkeit pointiert entlarvten.
Vom Kritiker zum Plauderer
Die von Andreas Dresen leichtfüßig inszenierte Komödie „Sommer vorm Balkon“, 2005 vom Publikum gefeiert und international mit zig Preisen überhäuft, wurde Wolfgang Kohlhaases größter Nachwende-Erfolg. Auch hier: ein genauer Blick auf die Wirklichkeit, temporeiches Erzählen, Dialoge voller geistreicher Momente.
Freilich: Die Schärfe der Filme, mit denen er einst ungeschönt dem Alltag in der DDR nachspürte, die Kraft, mit der er gegen die herrschende Doktrin vom Menschen als Kollektivwesen angegangen war, die war perdu.
Kohlhaases großes Können, in Witz und Dramatik bittere Wahrheiten zu verpacken, wurde nicht mehr gebraucht. So verschrieb er sich der leichten, dabei allemal geistreichen Unterhaltung, wandelte sich vom Kritiker zum Plauderer.
Die Kunst der scheinbaren Anpassung war für ihn stets eine leichte Übung. Den Berliner Satz „Wer weeß, wofür et juht iss“ habe er immer sehr gerne gehabt, sagte Kohlhaase einst.
„Das heißt, in jedem Vorteil steckt ein Nachteil, in jedem Glück ist auch ein Unglück verborgen, wo etwas gewonnen wird, geht etwas verloren. Dieses doppelte Gesicht der Realität, das gehört zu meinem Lebensgefühl.“