Wie der Länderfinanzausgleich gerechter wird
Das derzeitige System des Länderfinanzausgleichs bevorteile Länder mit Unternehmenssitzen. Politologe Wolfgang Renzsch fordert deshalb ein gerechteres Modell - und erklärt nebenbei, weshalb Bremer potenter als Bayern sind.
Sind Sie ein politischer Störenfried, Mister Länderfinanzausgleich Renzsch?
"Ich hoffe. Ich meine: Störenfriede brauchen wir, sonst würden wir nicht weiterkommen."
Wolfgang Renzsch sitzt vor einem Capuccino in einem Magdeburger Café. Er ist Anfang 60. Politologe und Experte in Sachen: Länderfinanzausgleich. Sie gähnen? Nein, bitte nicht abschalten. Denn Wolfgang Renzsch ist einer, der das Thema wirklich versteht. Für ihn in etwa so spannend wie ein Elfmeter-Krimi. Denn Renzsch will eine Neuordnung des Länderfinanzausgleichs, das einst mal geschaffen wurde, damit überall in Deutschland annähernd gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen. Kopfschütteln. Renzsch wird laut und deutlich. Ruft nach einem faireren Modell.
"Also was ich haben möchte, ist den Länderanteil an der Einkommens und Körperschaftssteuer und der Umsatzsteuer nach Einwohnern zu verteilen. Damit alle Länder - bezogen auf den Einwohner - dieselbe Ausgangsvoraussetzung haben."
Wäre eine deutlich gerechtere Finanzverteilung der Steuern. Behauptet Politologe Renzsch.
Das derzeitige System bevorteile lediglich die Länder mit Unternehmenssitzen, weil nämlich nur dahin die meisten Steuern fließen. Also die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes sage nichts darüber aus, wo die fleißigen Menschen zuhause sind, wo hart geschuftet wird. Sondern liegt einzig und allein in der Tatsache begründet, dass die Gewinne in die Regionen fließen, wo die Konzernzentralen stehen.
Warum Bremen viel potenter als Bayern ist
Das Bild, was die Geberländer wie Hessen, Baden-Württemberg oder Bayern gerne rausposaunen, dass in ihren Ländern die fleißigsten, klügsten und produktivsten Menschen leben und arbeiten würden, stimme hinten und vorne nicht. Sind Stammtischparolen. Ist Wahlkampfgetöse.
Ein Beispiel mit Paukenschlag:
"Bremen hat pro Einwohner eine höhere Wirtschaftsleistung als Bayern. Aber Bremen hat nur ein Steueraufkommen von 92 Prozent des Bundesdurchschnittes. Das liegt daran, dass Bremen nicht der Sitz von großen Unternehmen ist."
Und in Bremen liegt die Wirtschaftskraft bei 130 Prozent. Man ist damit im Norden viel potenter als die Lederhosen- und Dirndlträger im Süden Deutschlands. Denn in Bayern - rechnet Renzsch vor - erarbeiten die Menschen im Bundesschnitt Werte von lediglich 114 Prozent, trotzdem haben sie Steuereinnahmen von 126 Prozent des Bundesdurchschnitts. Eigentlich unmöglich. Liegt daran, dass viel Geld ins Land fließt, ohne dass die Bayern dafür überhaupt einen Handschlag getan haben.
Ein Phänomen, das man auch bei den ostdeutschen Ländern beobachten kann.
"Die ostdeutschen Länder haben eine Wirtschaftsleitung von gut 70 Prozent des Bundesdurchschnitts. Aber nur ein Steueraufkommen von 50 Prozent. Das liegt auch daran, dass hier die großen Unternehmen fehlen. In Ostdeutschland, in Berlin, Schleswig-Holstein und dem Saarland gibt es kein DAX-Unternehmen. Genau das sind die armen Länder."
Wenn man nun das System nur an einer einzigen Stellschraube verändern würde, indem man die Steuern nicht nach örtlichem Aufkommen, sondern nach Einwohnern verteile, würden die Lautsprecher-Ministerpräsidenten Seehofer, Kretschmann oder Bouffier schlagartig verstummen. Alles würde gerechter werden, die Frage nach den reichen und armen Ländern würde sich völlig neu stellen. Der Streit um den Länderfinanzausgleich wäre beendet.
Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs
"Das System würde besser funktionieren. Wir hätten weniger Konflikte."
Aber ob das gewollt ist? Querdenker Professor Doktor Wolfgang Renzsch schüttelt mit den Schultern.
Das, was getan werden muss, wird jetzt selbst dem reichen Ländle Baden-Württemberg bewusst. Denn durch die Übernahme von Porsche durch VW muss es einen großen Steuerverlust verkraften. Gewinner: Niedersachsen. Und wie kürzlich zu lesen war, dürfen sämtliche Gewinne der Stuttgarter Allianz Leben nicht in Baden-Württemberg bleiben, sondern müssen zur Konzernzentrale nach München überwiesen werden. Gewinner: Bayern. Ein Beispiel, das mehr als deutlich zeigt, dass die Wirtschaftskraft eines Bundeslandes nichts, aber absolut nichts mit der Wirtschaftsleistung zu tun hat.
"Also so gesehen reflektiert die originäre Steuerverteilung die zufällige Verteilung der Unternehmenssitze."
Ganz zufällig ist das aber auch nicht. Sondern sind Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs. Denn nach 1945 sind viele Unternehmen gerade zu den wirtschaftsfreundlichen kaugummikauenden GIs in die amerikanische Besatzungszone gezogen.
"Ja, das ist in der Tat richtig. Das lag daran, dass die amerikanische Zone sehr schnell und sehr früh eine Politik betrieben haben, die darauf hinauslief, dass Deutschland wieder gestärkt werden sollte."
Und: Wenn man jetzt nichts ändert, zementiert man weiter die wirtschaftlichen und finanziellen Strukturen Deutschlands zur Stunde Null. Man zementiert die Ungleichheiten. Bis zum Sanktnimmerleinstag. Auf der einen Seite eben die reichen Länder der ehemals amerikanischen Besatzungszone. Auf der anderen Seite: Die kirchenmausarmen Länder Ostdeutschlands, die - logisch - alle in der ehemals sowjetischen Besatzungszone liegen.
Also die Zukunft entscheidet sich jetzt. Und die Regierungschef der Länder, der Bundesfinanzminister, sie müssen sich bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen fragen lassen....
"... wollen wir wirklich eine Bundesrepublik haben, wo wir im Osten ein Mezziogiorno haben. Wo wir sagen, da haben wir eine arme Gegend. Oder wollen wir dafür sorgen, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse, einen interregionalen Ausgleich in der Bundesrepublik. Oder eben nicht."