Wolfgang Templin: "Der Kampf um Polen"

Eine Geschichte, die sich zu wiederholen scheint

Buchcover: Wolfgang Templin: Der Kampf um Polen
Auf 250 Seiten schildert Templin die frappierenden Umstände der Gründung der Zweiten Polnischen Republik. © Imago / United Archives International / Ferdinand Schöningh Verlag
Von Martin Sander · 20.09.2018
So abenteuerlich wie unwahrscheinlich: Kaum jemand gab dem polnischen Staat bei seiner zweiten Gründung eine Überlebenschance. Der Publizist Wolfgang Templin erzählt die Geschichte - ausführlich, hintergründig und für eine breite Leserschaft.
Im Februar 1914 findet im großen Saal der Geographischen Gesellschaft in Paris ein denkwürdiger Vortrag statt. Józef Piłsudski, Anführer der Sozialistischen Partei Polens, spricht über einen neuen polnischen Staat. Der alte war Ende des 18. Jahrhunderts von der europäischen Landkarte verschwunden. Russland, Österreich und Preußen hatten ihn unter sich aufgeteilt.

Der Weg in die Unabhängigkeit Polens

Nun wirbt Piłsudski Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in der französischen Hauptstadt vor polnischen Emigranten und internationalem Publikum für seinen Plan, der vielen Zuhörern in diesem Augenblick abenteuerlich erscheint: Wenn sich die Teilungsmächte gegeneinander in einen Weltkrieg verwickelten und dadurch schwächten, werde er Polen mit politischen und militärischen Mitteln in die Unabhängigkeit führen.
Piłsudskis Strategie ging auf. Aus der Konkursmasse der Kriegsverlierer, Deutschland und Österreich auf der einen, Russland auf der anderen Seite, entsteht im November 1918 die Zweite Polnische Republik. Sie behauptet sich zwei Jahrzehnte lang als Vielvölkerstaat zwischen Deutschland und der Sowjetunion – eine schwierige, eine aufregende Geschichte.

Respektvoll, ohne die Schattenseiten zu verschweigen

Der Publizist, Polenkenner und ehemalige DDR-Bürgerrechtler Wolfgang Templin erzählt diese Geschichte auf 250 eng bedruckten Seiten. Templin zollt dieser Republik Respekt, ohne ihre Schattenseiten zu verschweigen.
Polen erlebte zwischen den Weltkriegen eine beispiellose Modernisierung, die Wirtschaft boomte, und mit Gdingen wird eine ganze neue Stadt aus dem Boden gestampft. Doch die Lage der Arbeiter und Bauern blieb prekär. Józef Piłsudski, als Staatsgründer schon zu Lebzeiten ein Denkmal seiner selbst, mischte sich kaum in die Innenpolitik ein. Er führte das Militär, trotzte der jungen Sowjetunion Gebiete im Osten und den Deutschen Teile Schlesiens ab. Dabei schwebte ihm eine Gleichberechtigung der Minderheiten vor, die immerhin ein Drittel der polnischen Bevölkerung ausmachten.

Republik drohte in den Faschismus abzugleiten

Doch der Ausgleich mit den Weißrussen, Litauern, Ukrainern, Juden und Deutschen scheiterte. Die Verantwortung dafür trägt vor allem die nationalkatholische Rechte mit Piłsudskis mächtigem Gegenspieler Roman Dmowski an der Spitze. Dmowski nutzte Chauvinismus und Antisemitismus als Brennstoff für seinen Erfolg. Schlimmer noch: Nach dem Tod des autoritären, aber auf Ausgleich zwischen den Nationalitäten zielenden Staatsführers Piłsudski 1935 übernahmen seine Gefolgsleute Dmowskis Nationalismus. Die Republik drohte in den Faschismus abzugleiten, bevor ihr Hitler und Stalin 1939 den Todesstoß versetzten.
Wolfgang Templin präsentiert die Geschichte der Zweiten Polnischen Republik spannend für ein breites Publikum, mit zahlreichen Hintergründen und einer ausführlichen Vorgeschichte der Staatenlosigkeit. Staatskunst erscheint bei ihm vorwiegend als gewagtes Spiel mächtiger Männer. Bei denen liegen Geniales und Fatales oft dicht beieinander. Und: Mancher Streit von damals erinnert an das, was heute in Polen vorgeht. Eine Geschichte, die sich zu wiederholen scheint – zum Teil als Farce.

Wolfgang Templin: Der Kampf um Polen. Die abenteuerliche Geschichte der Zweiten Polnischen Republik 1918-1939
Schöningh Verlag, Paderborn 2018
254 Seiten, 39,90 Euro

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