Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust
Wagenbach-Verlag, Berlin 2016
160 Seiten, 16, 90 Euro
Künstler als kreative Dienstleister
Der Künstler entwickele sich immer mehr vom Avantgardisten zum Geschäftsmann, meint Wolfang Ulrich. Selbst die kritische Kunstszene sei zum Wohlstandsphänomen mutiert, schreibt er in seinem Essay "Siegerkunst". Der Publizist hat damit einen Nerv getroffen.
Das Ende der Kunst – Georg Wilhelm Friedrich Hegels berühmtes Diktum aus seinen Vorlesungen zur Ästhetik ist immer als ihr plötzlicher Tod missverstanden worden. Folgt man Wolfgang Ullrichs jüngster Diagnose des Kunstbetriebs, könnte aber heute eingetreten sein, was der Berliner Philosoph 1838 wirklich meinte: Dass nämlich "ihre Form aufgehört hat, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein".
Siegerkunst heißt das Zauberwort, mit dem der Karlsruher Kunstpublizist, Jahrgang 1967, glaubt, erklären zu können, wie es dazu kommen konnte. Darunter versteht er, dass Kunst zum "wichtigsten Ingrediens einer exklusiven Lebenswelt der Erfolgreichsten in Wirtschaft, Film, Sport, Politik, Showbusiness geworden ist". Sie schätzen Kunst nicht mehr als geistige Position und Herausforderung, sondern als Status- und Distinktionssymbol: Kunst und Bedeutung, so seine These, entkoppeln sich.
Marktwert statt Revolution
In neun flüssig geschriebenen, fundiert belegten Kapiteln beschreibt Ullrich, wie Reinigung und Revolution durch die Kunst, die Essentials der Moderne, zugunsten ihres Markt- und Symbolwerts abgelöst werden. Kunst lasse sich für den Sammler heute "als Besitzen erfahren". Je politischer, unverständlicher, provokanter, teurer die Werke sind, umso besser kann er mit ihnen soziale Überlegenheit demonstrieren.
Ganz unschuldig an der Entwicklung sind die Künstler nicht. Überzeugend zeigt Ullrich, wie sich viele von Pionieren der Avantgarde zu Kreativ-Dienstleistern an der Grenze zum Design wandeln. Sie bedienen die ästhetischen Bedürfnisse der Sieger und kokettieren mit höfischen Repräsentationstechniken. Seine These vom "business artist" belegt Ullrich mit dem Maler Georg Baselitz, der seine Bilder aus der Münchener Pinakothek der Moderne abzog: "Möglichst viel Geld damit machen zu können ist ihm wichtiger als die Präsenz im Museum".
"Schmuckwerk oppositionellen Geistes"
Ullrichs weitere These, dass die "zweite Kunstszene" in Kunstvereinen, Biennalen und Museen, die sich immer noch als kritisch verstehe, ein "ebensolches Wohlstandsphänomen wie die Kunst der Sieger" und bloß ein "Schmuckwerk oppositionellen Geistes" sei, ist zu pauschal. Dennoch ist ihm eine luzide Analyse der Spaltung des Kunstbetriebs und eines folgenreichen Paradigmenwechsels gelungen.
Sein Essay ist Kunstpublizistik vom Feinsten: analytisch, aber verständlich, elegant, aber nicht manieriert, ohne die Passwörter des Jargons oder den Schaum des Engagements. Dass er mit seiner Prognose einen Nerv getroffen hat, zeigen die vielen Leerstellen im Buch. Viele der "Siegerkünstler", von Jeff Koons bis Andreas Gursky, haben den Nachdruck ihrer Bilder verweigert, weil sie sie nicht in einem Text gezeigt sehen wollten, dessen Inhalt und Tendenz sie nicht kontrollieren können.
Unfreiwillig unterstreichen sie damit natürlich die Autorität der kritischen Reflexion, deren Niedergang Ullrich im Gefolge der Siegerkunst prophezeit. Zumindest die Nachricht von ihrem Ende dürfte also, so virtuos dieser Kritiker sie auch darlegt, stark übertrieben sein.