"Polarisierung ist extrem wichtig für die Demokratie"
Die emotionalen Themen bleiben im Wahlkampf bei den etablierten Parteien außen vor - das nützt die AfD aus, meint der Philosoph Wolfram Eilenberger. Doch wo "Polarisierung" und "Diskurskultur" fehlten, drohe Gefahr.
Er habe den Eindruck in einer Demokratie ohne Wahlkampf zu leben – "und das seit mehr als einem Jahrzehnt". Das sagte der Philosoph Wolfram Eilenberger, Gast in unserer Sendung "Studio 9".
So beträfen die Unterschiede in den Wahlprogrammen zumeist Bereiche, die "emotional nicht sehr stark belegt" seien – eben nicht die Einwanderungsfrage, die Industriepolitik oder die Außenpolitik.
Der "Kampf um Deutungshoheit und begründbare Meinung" sei in Deutschland leider sehr stark zurückgefahren worden, meinte Eilenberger. Denn die Deutschen machten den Fehler, "Polarisierung mit der politischen Extremen zu verbinden – der Linken und der Rechten".
"Radikale, wirkliche Reformvorschläge" aus der Mitte
Es gebe aber auch ein "Sprechen der Radikalität der Mitte, das aus der Mitte der Gesellschaft – aus einem liberalen Verständnis der Republik - radikale, wirkliche Reformvorschläge macht. Und genau dieses Sprechen pflegen wir nicht. Und wir haben deswegen offene Flanken, insbesondere auf der rechten Seite."
Für die Zukunft stehe ein wichtiger Lernprozess an. "Menschen müssen miteinander sprechen, damit sie Kontraste austauschen", meinte Eilenberger. Auch weil Deutschland "sich sowohl wirtschaftlich als auch politisch in der stärksten Lage wahrscheinlich seit der Nachkriegsgründung" befinde, sei jetzt die Zeit, eine Diskurskultur wieder zu pflegen. Denn in der extremen Konsens-Orientierung der deutschen Gesellschaft sehe er die Gefahr der "falschen Einigkeit".
"Es wird problematisch, wenn eine Diskurskultur nicht gepflegt worden ist"
Eilenberger formulierte das so: "Wenn man das Gefühl hat, dass die eigentlichen Entscheidungen nur in einem hohen differenzierten Bereich sind, dann ist das in Zeiten, in denen es uns gut geht, ertragbar. Es wird aber dann problematisch, wenn eine Diskurskultur nicht gepflegt worden ist und wir geraten in schwierige Bereiche.
Wenn wir vier Jahre in die Zukunft denken und die Wirtschaft würde nicht so gut laufen, wir hätten große Probleme - dann sehen wir auf eine Republik, die sich seit 20 Jahren nicht daran gewöhnt hat zu streiten. Und darin sehe ich eine große Gefahr."
(huc)