Wolfram Eilenberger: "Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten. 1933-1943"
Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2020
400 Seiten, 25 Euro
Vier Denkerinnen gegen den Totalitarismus
38:11 Minuten
In totalitären Zeiten verteidigen sie die Freiheit: Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand finden in den 1930er-Jahren zu ihrer Stimme. Wolfram Eilenberger folgt den Wegen der vier mutigen Denkerinnen in seinem neuen Buch.
Es sind finstere Jahre, die jeden philosophisch denkenden Menschen dazu drängen, auch politisch Position zu beziehen. Zwischen 1933 und 1943 entwickeln Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand in der Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus die Leitgedanken ihres Schaffens. "Feuer der Freiheit" lautet der Titel des Buches, in dem der Philosoph und Publizist Wolfram Eilenberger die Lebenswege und die geistige Entwicklung der vier Denkerinnen in diesem entscheidenden Jahrzehnt nachzeichnet.
Kernfrage des Jahrzehnts: Was schulde ich den anderen?
Der Konflikt "zwischen individueller Freiheit und kollektivem Bestimmungsdruck" bilde die "Kernspannung" der 1930er-Jahre, sagt Eilenberger. Zu Beginn dieses Jahrzehnts sei "der totalitäre Sog" in ganz Europa so stark, dass sich der Satz "Ich bin nicht politisch" von selbst verbiete:
"Das Aufkommen des totalitären Stalinismus wie auch des Faschismus und Nationalsozialismus wirft philosophisch die Frage auf: Was schulde ich den anderen? Was heißt es, Teil einer Gemeinschaft, eines ‚Volkes‘ zu sein?"
Ihre intensive Auseinandersetzung mit totalitärer Macht und der Freiheit des Individuums macht die vier Denkerinnen aus Eilenbergers Sicht zu den "einflussreichsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts". Dabei seien sie in der Fachwelt noch bis vor wenigen Jahren gar nicht zur Geschichte der Philosophie gezählt worden.
Philosophie als Motor der Lebensgestaltung
Doch gerade dieser Umstand lässt sie für den Autor attraktiv erscheinen. Mit seinem Buch, das an den Band "Zeit der Zauberer" von 2018 anknüpft, setzt Eilenbeger eine "Alternativgeschichte des 20. Jahrhunderts in der Philosophie" fort und stellt dabei bewusst "nichtakademische Existenzen" in den Mittelpunkt. Für seine vier Protagonistinnen sei das Philosophieren "in dieser sehr finsteren, sehr bedrängten Epoche der europäischen Moderne" keine Frage der Karriere oder einer akademischen Berufung, sondern "ein Motor der eigenen Lebensgestaltung".
Biografische Bezüge, die den Weg der Denkerinnen nachvollziehbar machen, sind Eilenberger daher wichtig. Ayn Rands Eltern werden im Zuge der Russischen Revolution enteignet, sie selbst emigriert in die USA und wird zu einer radikalen Verfechterin der Freiheit des Individuums vor allen Zugriffen des Staates. Ihre philosophischen Romane werden dort mit einer Gesamtauflage von über 20 Millionen Exemplaren zu den meistverkauften Büchern nach der Bibel.
Hannah Arendt flieht vor den Nationalsozialisten 1933 ins Pariser Exil. Dort begreife sie, dass ein Jahre zuvor gefasster Beschluss für sie keine Gültigkeit mehr habe, so Eilenberger, "nämlich zu sagen: Es ist mir ganz egal, ob ich Jüdin bin, es hat für meine Existenz kein Gewicht und keine Bedeutung". Unter dem Druck der Verfolgung komme Arendt nicht umhin, "sich dieser Geworfenheit in ihre Situation anzunehmen" und darüber zu reflektieren, "was es heißt, eine kulturelle Identität zu haben, inwieweit man sie selbst wählen kann und inwieweit andere sie für einen bestimmen."
Simone Weils stalinistische Desillusion
Simone Weil engagiert sich als Gewerkschafterin, sie unterstützt im Sommer 1936 den Kampf republikanischer Milizionäre im Spanischen Bürgerkrieg und beteiligt sich im Zweiten Weltkrieg von England aus am Widerstand gegen die deutschen Besatzer in Frankreich. Während ihre frühere Studienkollegin an der Pariser Sorbonne, Simone de Beauvoir, damit beschäftigt sei, mit Jean-Paul Sartre und anderen Autoren die literarische Strömung des Existenzialismus zu begründen, werde Simone Weil schon sehr früh auf Parallelen des Stalinismus mit dem Nationalsozialismus aufmerksam, so Eilenberger.
Ihre Folgerung daraus sei eine tief greifende "stalinistische Desillusion": "Dass das mit Freiheit, Individualismus und auch Selbstfindung – was propagiert wird von der KP zu dieser Zeit – überhaupt nichts zu tun hat, sondern ein tödliches Regiment ist, als das es sich dann auch gezeigt hat."
Alle vier Denkerinnen deuten den Totalitarismus als eine existenzielle Bedrohung individueller Freiheit. Alle vier begehrten mit einem starken "sokratischen Selbstfindungsimpuls" dagegen auf, sagt Eilenberger: "Die Gestalt des Sokrates ist vielleicht die Urgestalt einer Person, die sich selbst befragt und sucht, gegen alle Widerstände, gegen alle anderen." Die philosophischen Konsequenzen, die jede einzelne daraus zieht, sind jedoch durchaus unterschiedlich.
Ayn Rands radikaler Individualismus
Hannah Arendts Studie "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" gilt heute als Standardwerk der internationalen Totalitarismusforschung. Dagegen sei etwa Ayn Rant im deutschsprachigen Raum "eine große vergessene Gestalt, vielleicht auch eine verdrängte Gestalt", so Eilenberger. Dabei sei ihr Einfluss auf die politische Öffentlichkeit in den USA nach wie vor enorm. In "Blockbuster-Romanen" wie "The Fountainhead" ("Die Quelle") und "Atlas Shrugged" ("Der Streik") habe sie eine Philosophie entwickelt, "die ungeheuer wirkmächtig, ungeheuer radikal und bis heute sehr anstößig ist."
Rands Position sei die eines radikalen Individualismus, in dem das Ich die zentrale wertende Instanz sei. Der Staat erscheine in ihrem Weltbild "als reine Bedrohung der Selbstentwicklung". Die libertäre Bewegung in den USA beziehe sich dezidiert auf Ayn Rand, sagt Eilenberger. Auch Donald Trump habe schon geäußert, dass Howard Roark, der Protagonist von "The Fountainhead", sein Lieblingsromanheld sei.
Ganz anders als Rand oder auch Simone de Beauvoir gelange Simone Weil dagegen mehr und mehr zu der Ansicht, "dass der Zug der modernen Philosophie zum Ich, zur Selbstentwicklung, zum Narzissmus der Selbstfindung etwas ganz und gar Verheerendes ist", erklärt Wolfram Eilenberger. Ein weises, gelungenes Leben müsse ihrer Auffassung nach darauf abzielen, "dieses Subjekt in sich als das zu erkennen, als was es die Mystiker immer bezeichnet haben: einen schädlichen Schein, den man ablegen muss."
Die Gefährlichkeit der Philosophie
Weil selbst gehe dabei so weit, dass sie sich 1943 im englischen Exil bewusst zu Tode hungere. "In einer sehr radikalen Weise, wie es vielleicht in der Geschichte der Philosophie nur ein, zwei Mal sonst bezeugt ist, geht sie aus dem Leben als philosophisches Programm", so Eilenberger. Damit führe sie in besonders extremer Weise eine Dimension der Philosophie vor Augen, die durch ihre Verengung auf eine akademische Disziplin allzu leicht aus dem Blick gerate.
"Mich interessieren Denker oder Denkerinnen besonders, die ihre Gedanken nicht nur verkünden, sondern auch verkörpern. Und da Philosophie eine extreme Form des Denkens ist, nimmt diese Verkörperung oft auch extreme Formen an", sagt Wolfram Eilenberger. Mit seinem Buch wolle er daran erinnern, "dass Philosophie etwas Gefährliches ist, ganz einfach, weil es eine radikale Tätigkeit ist – manchmal auch so radikal, dass man sich fragen muss: Was ist eigentlich in dieser Philosophie? Ist sie denn wirklich etwas, das unser Leben besser macht, oder bringt sie Menschen dazu, sich zu verrennen, sich zu verirren?"
(fka)
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