You say that it's over baby, Lord
You say that it's over now
But still you hang around me, come on
Won't you move over
Feministisch auf eigene Art
06:14 Minuten
Auf den Bühnen der Rockmusik standen in den 60er Jahren meistens Männer. Frauen waren Groupies oder zarte Rockmiezen. Nicht so Janis Joplin, die mit vollem Körpereinsatz sang. Aufschub des Vergnügens war ihre Sache nicht.
"Move over", zieh Leine – oder nimm meine Liebe an. Janis Joplins wütend-verzweifelter Appell an den Mann, der sie verlässt – und von dem sie dennoch nicht lassen kann. Das Lied schrieb die Musikerin, die Zeit ihres kurzen Lebens nur wenige Songs selbst verfasste, im Jahr 1970. Sie thematisierte darin die Sehnsucht nach einer umfassenden Liebe zu dem Richtigen, dem Einen.
Eine für die Ära unmoderne Sehnsucht, die Joplins Konflikt auf den Punkt brachte: Mit der ersten Welle der Frauenbewegung in den späten 60er-Jahren begannen Frauen eigentlich, sich von der altmodischen Vorstellung zu emanzipieren, die monogame Beziehung sei das Endziel aller Träume. Doch für die charismatische, sich unabhängig gebende Frontfrau Janis blieb sie Hauptthema. Die Inspiration zu "Move Over" erklärte sie 1970 in der Dick Cavett Show:
"Kennen Sie diese Eselkarren? Da gibt's einen dämlichen Esel, und einen langen Stock mit 'ner Möhre dran, die hängt man ihm genau vor die Nase. Und er läuft den ganzen Tag hinterher. Die Frau ist der Esel. Immer versprechen sie ihr etwas, was sie ihr gar nicht geben wollen."
And I say, oh, whoa, whoa, oh, that cannot be
Just because I got oh, your love, please
Why does every
Oh, this can't be just because I got to need you, daddy
Please don't you knock it down now, please
Feministinnen sollen sich mal locker machen
Wie in dem Song "Ball and Chain", aus dem diese Zeilen stammen, sang Janis gern und oft darüber, wie eine Frau den Schmerz bewältigt, den das Frausein mit sich bringt. Ihre Songs trösteten eher, als dass sie Lösungsansätze boten. Dass bestimmte gesellschaftliche Rahmenbedingungen die Situation und das Verhalten von Frauen beeinflussen, und dass man diese Bedingungen ändern könnte – diesen feministischen Ansatz verfolgte sie nicht. 1970 hatte sie in einem Radiointerview gesagt, Feministinnen sollten sich doch mal ein bisschen locker machen und Spaß haben, denn darum ginge es schließlich. Sie selbst sah sich nicht als Feministin – obwohl sie wusste, dass sie sich nicht nur durch ihre intensive Bühnen-Performance von anderen Sängerinnen abhob.
Don't you want somebody to love
Don't you need somebody to love
Wouldn't you love somebody to love
You better find somebody to love, love
Jefferson Airplanes Frontfrau Grace Slick, die hier ebenfalls die Liebe einfordert, entsprach zumindest äußerlich dem normativen Schönheitsideal. Anders als die konsequent ungeschminkt auftretende, Hosen tragende, auf der Bühne herumwirbelnde Janis. Und die Singer-Songwriterinnen der 60er-Jahre wie Joan Baez oder Joni Mitchell arbeiteten eh mehr mit Poesie als mit Potenz, mehr mit Text als mit Tanz. In einem Interview antwortete Janis auf die Frage, wieso keine andere Frau wie sie sänge:
Richtig in die Musik einsteigen
"Das wollte ich auch immer wissen, für mich ist das ganz natürlich. Ich weiß auch nicht. Es ist nicht feminin, vielleicht darum. Ich meine, richtig in die Musik einzusteigen, anstatt nur oben drauf herumzutreiben, so wie die meisten Rockmiezen das tun, dieses wow wow wow auf der Melodie, anstatt wirklich das Gefühl aufzunehmen."
I'd say get it while you can, yeah
Honey, get it while you can, yeah
Hey hey, get it while you can
Don't you turn your back on love, no, no
Der US-amerikanische Geschichtsprofessor Jerry Rodnitzky wies 1999 in einem Aufsatz darauf hin, dass Joplins Version von "Get It While You Can" neben der Ode an den Hedonismus einen "starken feministischen Ton" treffe: "Frauen", schrieb er, "mussten ihr persönliches Vergnügen ständig nach hinten verschieben. Junge Frauen sollten sich für ihren Ehemann aufsparen. Ehefrauen sollten die Kinder vor die eigenen Bedürfnisse setzen. Sogar Großmütter hatten Verpflichtungen. Joplin bestand dagegen darauf, dass es um das eigene Verlangen gehe – und dass nur die Gegenwart zähle."
Vielleicht sollte man Janis Joplin darum doch als quasifeministische Vorreiterin sehen: Sie war die erste Frau der Rockmusik, die ihre Jugend verschwendete. Das ist tragisch und destruktiv. Aber so konsequent, wie vorher fast nur Männer waren.