Woody Allen, Ganz nebenbei. Autobiographie, Rowohlt-Verlag 2020, 448 Seiten, 25 Euro.
Bittere Abrechnung mit Mia Farrow und Hollywood
06:44 Minuten
"Ganz nebenbei" von Woody Allen sei eigentlich keine echte Autobiografie, sagt Filmkritiker Patrick Wellinski. Denn die Hälfte des Buches drehe sich um die Missbrauchsvorwürfe gegen Allen. Gegen diese setze sich der Regisseur erneut zur Wehr.
Liane von Billerbeck: Mir gegenüber sitzt jetzt unser Filmkritiker. Die Kinos sind zu, da können Filmkritiker auch mal Filmbücher lesen. Patrick Wellinski hat gerade gesagt, Julie Delpy sei eine der wenigen Schauspielerinnen, die nicht mit Woody Allen gedreht haben – und da wissen Sie schon, worüber wir jetzt reden wollen, nämlich über die Autobiografie von Woody Allen. Da wurde ja sehr viel und sehr laut darüber berichtet.
Der amerikanische Verlag Hachette hatte kurzfristig von der Publikation abgesehen, nachdem sich Mitarbeiter und Autoren massenweise beschwert hatten. Ähnliches beim deutschen Verlag Rowohlt, auch dort gab es Proteste. Und jetzt ging alles ganz schnell: Montag hatte ein neuer Verlag in den USA Allens Buch ohne große Vorankündigung veröffentlicht und auch Rowohlt zieht nun nach. Heute erscheint sie, "Ganz nebenbei" heißt sie, als E-Book, und am Freitag gibt es dann auch die gedruckte Ausgabe. Patrick Wellinski, der Verlag Arcade hat erklärt, in dem Buch lege Allen offen und umfassend persönliche Rechenschaft ab. Ist das denn so?
Patrick Wellinski: Ja, in gewisser Hinsicht schon. Man merkt dem Buch auf jeden Fall eine gewisse Dringlichkeit an. Es endet quasi vorgestern, ist relativ aktuell, und dadurch spürt man, wie wichtig es Woody Allen wohl gewesen ist, hier gewisse Dinge aus seiner Sicht zu erzählen. Das bringt mich aber gleichzeitig auch zu einer Art Etikettenproblem mit "Ganz nebenbei".
In meinen Augen ist das keine wirkliche Autobiografie, und auch den Begriff Memoiren finde ich schwierig, denn das Ganze zerfällt in zwei Teile. Die ersten 200 Seiten behandeln seine Jugend in New York, seinen Karrierebeginn als Gagschreiber im Filmbusiness. Doch schon da merkt man so eine gewisse Hektik in seinem Schreiben, alles ist nur Vorspiel. Im zweiten Teil entfaltet er dann eine Chronik der Ereignisse, die mit seiner Beziehung zu Mia Farrow begannen und ihn bis heute beschäftigen. Auch wenn er selbst immer wieder mit humoristischen Einschüben kommentiert, dass er hofft, dass der Leser das Buch nicht nur wegen dieser Geschichte gekauft hat: Ich hatte zumindest das Gefühl, dass er das Buch genau wegen dieser Geschichte schreiben musste.
Ermüdendes "Namedropping"
von Billerbeck: Wie intensiv arbeitet er sich da nun ab an seinem Leben?
Wellinski: Ja, zunächst sehr lose und sehr anekdotenhaft. Über kleine Episoden hinweg springt er hin und her in Zeitebenen, das ist so ein neurotischer "stream of conciousness", also Woody Allen so, wie wir ihn kennen. Gespickt ist das alles mit diesen üblichen Pointen. Sehr schön, wenn er zum Beispiel erzählt, dass er mit acht Jahren einen IQ-Test gemacht hat, und er sollte auf eine Schule für hochbegabte Kinder gehen. Die Eltern konnten sich das aber nicht leisten, und statt in eine Schule für hochbegabte Kinder ging er in eine Schule für minderbegabte Lehrer.
Also im Sinne von Pointen kann man ihm da in Treffsicherheit wenig irgendwie ja vormachen. Aber auf Dauer ist ein gewisses "Namedropping" – zeilenlang erzählt er, wer mit wem in irgendeinem Restaurant in der Upper Eastside gefrühstückt hat oder zum Mittagessen verabredet war –, das ist auf Dauer ein bisschen ermüdend. Aber er zeigt natürlich auch, dass er Gott und die Welt kannte.
von Billerbeck: Sie haben es schon gesagt und das wird auch den meisten Leserinnen, Lesern so gehen, die werden sich vor allem für jene Passagen interessieren, die zurzeit ja wieder für große Aufregung sorgen, es geht um die Missbrauchsvorwürfe gegen den 84-Jährigen, die seine Tochter Dylan Farrow gegen ihn erhebt. Wie nimmt Allen dazu Stellung?
Wellinski: Die letzten 200 Seiten – das Buch besteht aus 400 Seiten – also, in aller Ausführlichkeit nimmt Woody Allen da Stellung. Als Chronist der Dinge präsentiert er sich da, was übrigens ganz deutlich noch mal so die Komplexität der ganzen Geschichte verdeutlicht.
Woody Allens Sicht der Dinge, die übrigens seit 1992 die gleiche geblieben ist und sich seither nicht geändert hat, ist folgende: Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs – es ist nicht passiert, er ist unschuldig. Er führt zwei unabhängige Gutachten an, die ihm damals schon nichts nachweisen konnten und ihn freigesprochen haben und entwickelt von da aus ein sehr negatives Bild von seiner damaligen Partnerin Mia Farrow, die seiner Überzeugung nach die kleine Dylan Farrow gegen ihren geliebten Adoptivvater aufgebracht hat und die dem kleinen Mädchen so sehr eingeredet hat, sie wäre sexuell missbraucht worden, dass sie das irgendwann auch geglaubt hat.
Das Ganze ist eine Art Racheaktion dafür, dass Allen sich in die 22 Jahre alte Adoptivtochter von Mia Farrow, die südkoreanischstämmige Soon-Yi, verliebt hat. Und im Buch klingt das teilweise so, das fand ich schon interessant, weil er den Kindern keine Vorwürfe macht. Auch zu Dylan Farrow sagt er: 'Glauben Sie mir bitte keine Sekunde lang, ich würde Dylan bewusstes Lügen vorwerfen, wenn sie erzählt, dass sie missbraucht worden sei. Genau wie mehrere Ärzte, mit denen ich gesprochen habe, bin ich überzeugt, dass sie glaubt, was ihr jahrelang suggeriert und vielmehr eingebläut wurde.' Also, er würde auch den Kontakt zu seinen Kindern wieder aufnehmen wollen. Da merkt man schon, wie sehr dieser Teil des Buches das eigentliche Zentrum des ganzen Textes ist.
von Billerbeck: Klingt so, als sei da doch ein sehr bitterer Mensch am Schreiben.
Wellinski: Ja, würde ich schon sagen, gerade in dieser Passage. Er fühlt sich falsch verstanden, ist überwältigt auch so ein bisschen von dieser MeToo-Bewegung, bezeichnet diese Vorwürfe, die zurzeit hochkochen, als zweite Welle. Das sind aber immer Argumente nach außen. Er sucht nach äußeren Faktoren, die ihn angreifen. Mir fehlt ein bisschen Introspektion. Er gibt zwar Fehler zu, aber es erschöpft sich dann auch immer wieder darin, dass er in diesen ernsten Passagen, in diesen Chroniken immer in seine Witze abgleitet.
Ich fand, das passt tonal und formal jetzt nicht zu dem Text, zu dieser ganzen Begebenheit letztendlich. Wirklich bitter wird er, wenn er dann mit der Filmszene abrechnet, wenn er mit Schauspielern, die sich öffentlich von ihm distanzieren, ihre Gage zurückgeben, aber abends bei ihm anrufen und sagen, sie müssen das jetzt tun, weil sie ihr Image sonst gefährden. Das glaube ich ihm an dieser Stelle wirklich, weil, Hollywood ist wirklich durchsetzt von einer unglaublich heuchlerischen Haltung. Am Ende ist man sich immer dann doch der nächste Star.
Jüdische Tradition des Humors
von Billerbeck: Filmkritiker wie Sie sind wandelnde Lexika, was die Filmgeschichte angeht, auch Woody Allen, ich könnte Sie jetzt wahrscheinlich abfragen. Haben Sie trotzdem was Neues erfahren aus dem Buch?
Wellinski: Ja, ein bisschen seine Haltung zum Humor, gerade im ersten Teil wird das ganz deutlich, dass er sich in seiner jüdischen Tradition des verbalen Humors sieht, und warum er Charlie Chaplin zwar toll findet, aber dann doch nicht großartiger als die Marx-Brüder. Da sieht man, dass das gesprochene Wort ihm immer näher ist als der Slapstick-Gag. Das erklärt auch einige Kleinigkeiten in seinen Filmen noch mal neu. Aber er wischt das alles weg, er sei nie wichtig gewesen, seine Filme seien nicht wichtig gewesen, er versteht die Welt nicht, er ist dann doch der neurotische Woody Allen – auch in diesem Buch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.