"Town Hall Affair" – nacherzählt in der Ära Trump
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Beim Festival für internationale Dramatik an der Berliner Schaubühne belebt die Wooster-Group aus New York eine Feminismusdebatte aus den 1970ern wieder. Es geht enthemmt und chaotisch zu, sagen die Darsteller Maura Tierney und Ari Fliakos.
Es hat Jahre hat gedauert. Jetzt ist die legendäre New Yorker Wooster-Group wieder in Deutschland zu erleben: Das Urgestein des New Yorker Off-Broadway, gegründet in den 1970er Jahren, unter anderem von Willem Dafoe: Die Pioniere des postdramatischen Theaters, Meister der Dekonstruktion und die ersten, die mit Videotechnik auf der Bühne experimentierten und damit ästhetisches Vorbild für viele europäische Performancegruppen. Die Wooster-Group ist derzeit zu Gast beim FIND, dem Festival für internationale Dramatik an der Berliner Schaubühne.
Diesmal haben sie eine Feminismus-Debatte aus dem Jahr 1971 wiederbelebt: "The Town Hall Affair". Das ist eine Art Reenactment einer Podiumsdiskussion - nacherzählt im heutigen Amerika unter Donald Trump. Mit dabei sind die Schauspieler Maura Tierney und Ari Fliakos.
Theater als Leinwand
Susanne Burkhardt: Welcome in Rang 1. Jemand, der noch nie von der Wooster-Group gehört hat – Wooster übrigens der Name von der Wooster-Street in New York, nicht von der Würzsauce – wie erklären Sie dem, was das ist und was die machen?
Ari Fliakos: Ich glaube, am einfachsten lässt es sich so definieren: Es ist eine Gruppe aus Künstlern, die aus den unterschiedlichsten Bereichen des Theaters und der Kunst kommen. Liz Compte, unsere Leiterin und Regisseurin, hat einen Hintergrund in der bildenden Kunst. Sie benutzt Theater als Leinwand, und nimmt Material von überall in ihre Arbeit auf. Wir helfen ihr dabei.
Burkhardt:Das Besondere bei der Wooster-Group ist, dass sie in Europa bekannter und erfolgreicher ist, als in den USA. Wieso? Weil hier Kunst viel stärker finanziell gefördert wird?
Fliakos: Ich denke, das stimmt schon. Theater ist in den USA traditioneller Weise kommerziell orientiert. Man braucht Geldgeber, um ein Stück auf die Bühne zu bringen, was für uns ein Problem ist, weil wir eben mehr an der Kunst interessiert sind und weniger am Profit. Das ist der Gegensatz zu anderen Ländern, wo Projekte wie unsere öffentlich gefördert werden.
Maura Tierney: Es ist allerdings schon so: Wenn ich in den USA mit jemandem rede, der ein bisschen was von Theater versteht, und ich demjenigen erzähle, das ich gerade in einer Avantgarde-Gruppe Theater spiele, und schließlich erwähne, dass es sich um die Wooster Group handelt, wird in der Regel schon gelacht. Dann heißt es: Ach, für diese kleine Gruppe! Was natürlich ironisch gemeint ist. Wer sich auskennt, kennt auch die Wooster Group.
Fliakos: An der Universität bin ich zum Beispiel mit der die Wooster Group in Kontakt gekommen, als Unterrichtsstoff. Das ist die Dualität: In der Kunst- und Theaterszene kennt man uns, auch im Showbusiness, aber wir können unsere Sachen eben nicht an so viele Menschen heranbringen.
Flexibles Engagement
Burkhardt: Einer der Mitbegründer der Wooster Group, Willem Defoe, ist ein Hollywood-Filmstar. Auch Sie, Maura Tierney, kennt man in Deutschland vielleicht eher als Dr. Abigail "Abby" Lockhart in der Krankenhaus-Serie Emergency Room, der Serie "The Affair" oder Sie Ari Fliakos aus der US-Serie Homeland.. Ist diese Film-Prominenz hilfreich oder störend für die Theaterarbeit?
Tierney: Für mich persönlich ist es großartig, dass ich einfach in ganz unterschiedlichen Bereichen arbeiten kann.
Fliakos: Die Company berücksichtigt auch unsere anderen Verpflichtungen bei Film und Fernsehen oder in anderen Theatern. Danach bringt man ja auch neue Impulse in die Gruppe zurück. Das ist wie Osmose. Außerdem ist es manchmal einfach gut, etwas Abstand zu bekommen, bevor man zurückkehrt.
Das Stück überdauert die Zeit
Burkhardt: In den Stücken der Wooster Group ging es meist um Themen, die die amerikanische Gesellschaft betreffen, um Gewalt, um rassistische oder sexistische Doppelmoral, so auch in "The Townhall Affair."
"The Townhall Affair" – das ist die Neuinterpretation einer Podiumsdiskussion in New York – zwischen feministischen Vordenkerinnen und dem Schriftsteller Norman Mailer, der dieses Treffen moderierte. Aus dem Material entstand später ein Dokumentarfilm mit dem Titel: "Town Bloody Hall". Dieser Film ist das Ausgangsmaterial für ihre Arbeit. Darin geht es um eine Debatte über die sexuelle Befreiung von Frauen, um Geschlechtergerechtigkeit, unter anderem mit der australische Intellektuellen und Anarchistin Germaine Greer.
Greer beschreibt, wie sie sich gegen denjenigen stellen muss, der in der männlichen Elite-Gesellschaft am privilegiertesten ist, den männlichen Künstler. Weil sie als Frau von der Kultur geprägt ist, für die ER steht, ein Künstler, dessen großes Ego durch Opfer anderer Leute entstehen konnte. Das klingt wie ein Zitat aus einer aktuelle #MeToo – Debatte, also um Machtmissbrauch. Ist es das, was Sie an dieser 70er Jahre Debatte interessiert hat, dass sie so aktuell ist?
Tierney: Nein, überhaupt nicht. Die Arbeit an dem Stück hat lange vor der ganzen Diskussion angefangen, noch bevor Trump gewählt wurde. Wir haben es auch schon vor der Wahl in New York gespielt.
Fliakos: Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, dass sich das Stück inzwischen gar nicht verändert hat trotz der MeToo-Debatte, trotz Trump, und das, obwohl es während dieser gesamten Zeitspanne und bis heute von uns gespielt wurde. Keine Zeile ist geändert wurden. Das Erstaunliche ist dann, dass aber heute trotzdem alles ganz anders wirkt, wegen der Dinge die um uns herum passieren.
Sexuelle Spannung in der Luft
Burkardt: Mailer, der mit seinem Buch "The Prisoner of Sex" eine Kritik der feministischen Bewegung im Allgemeinen dokumentierte, wird zum Teil kritisiert für seine Moderation. Er konzentriert sich auf die Rolle der Männer. Er weist darauf hin, dass diese Frauen die Tatsache nicht berücksichtigen, dass das Leben auch für Männer schwierig ist. Was waren denn die entscheidenden Streitpunkte zwischen Mailer und den Frauen?
Ari Fliakos: Das ist unmöglich zu sagen. Dafür muss man sich den Abend ansehen. Da liegt so eine sexuelle Spannung in der Luft, die man schwer vermitteln kann. Man muss es erleben. Wenn wir es so einfach zusammenfassen könnten, müsste man sich das Stück gar nicht mehr ansehen.
Tierney: Ja, während dieser Debatte wird zum Beispiel ständig geflirtet, was heute unmöglich wäre.
Fliakos: Es gibt auch eine andere Freiheit zu sprechen, bestimmte Formulierungen zu benutzen, nicht gerade politisch korrekt. Die Diskussion ist im Grunde völlig enthemmt und chaotisch.
Burkhardt: Aber mir fiel auch auf, dass viel gelacht wurde zwischendurch, so dass man sich fragt, ob das alles nicht so ernst gemeint ist.
Fliakos: Da nimmt niemand ein Blatt vor den Mund, niemand hält sich an irgendwelche Regeln, weil die Konsequenzen damals für alle Beteiligten nicht so dramatisch waren, wie sie es heute wären. Das ist absolut faszinierend, dass sie damals so einen Diskurs haben konnten, vor allem, wenn man überlegt, wie so etwas heute ablaufen würde. Wenn die Leute heute so reden würden, man würde sie sofort ausschließen.
Tierney: (lacht) Ja, und zwar von der ganzen Welt!
Kampf gegen Paradoxien
Burkhardt: Maura Tierney, Sie spielen die australische Intellektuelle Germaine Greer, die sagt: "Noch wurde keine Frau für ihre Poesie geliebt - aber wir lieben Männer immer wieder für ihre Leistungen. Was kann das eine natürliche Ordnung sein?" Das könnte auch ein Satz von heute sein?
Tierney: Ja, wir sind im Grunde nicht weiter als 1871.
Fliakos: Wir entwickeln uns immer weiter zurück, bis zu "Game of Thrones".
Tierney: Das stimmt. Wir müssen heute immer noch über den "Pay Gap" sprechen. Ich will aber gar nicht so negativ sein. Mailer nennt das im Stück die schrecklichen, schmerzhafte Paradoxien, gegen die wir ankämpfen müssen. Darum geht es ihn im Kern. Und insofern hat er recht: Wir müssen heute immer noch herausfinden, wie Männer und Frauen miteinander zurechtkommen können. Das ist schwierig und wird wohl auch noch lange dauern. Wir müssen wohl in den Kern unserer Existenz gehen, um einen Weg da heraus zu finden.
Fliakos: Er hat wirklich verstanden, wie schwierig die Situation ist. Das geht auch noch weiter, es betrifft ja auch den Rassismus, die Geschlechterungleichheit, die sozialen Unterschiede.
Tierney: Ganz genau. Wir müssen erkennen, dass wir alle gleich sind. Aber das fällt uns schwer.
Warme Reaktionen in Berlin
Burkhardt: Wie waren denn die Reaktionen des Publikums vorgestern abend?
Tierney: Ganz warm und großartig.
Fliakos: Davor haben wir das Stück in Japan gespielt. Das war sehr aufregend, aber auch eine große Herausforderung wegen der Sprache. Für das Publikum war es schwer, aber auch uns ist es nicht leicht gefallen, die Reaktionen zu verstehen. Hier in Berlin wiederum war es wieder ganz anders. Mit Zuschauern, die die englische Sprache so gut verstehen und so warm und freundlich darauf reagieren, so dass auch wir wieder völlig neue Aspekte des Stückes wahrgenommen haben.
Das Faszinierende ist, wenn man mit diesem Stück in einem Land wie Japan auftritt, stellt man fest: Da werden die Konflikte, um die es im Stück geht, eben ganz anders verhandelt. Diese Reibungspunkte sind es, die dem Stück so viel Leben geben – auch in Zukunft hoffentlich. Man bringt es in eine andere Kultur, und es funktioniert. Manches geht unter, es wird zum Beispiel weniger gelacht, anderes bekommt eine neue Perspektive. Gestern an der Schaubühne war es aber wirklich fantastisch, ein großartiges Theater und großartige Menschen.
Übersetzung: André Mumot
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