Jugendliche Lesemuffel fürs Buch begeistern
Doris Dörrie ist ein Multitalent. Sie ist Filmemacherin, inszeniert Opern und schreibt Romane, darunter auch einige Kinderbücher. Gerade ist ihr erstes Jugendbuch fertig geworden.
Zahlreiche Romane und Kinderbücher hat die Filmemacherin Dorris Dörrie inzwischen verfasst. Nun hat sie ein Buch für jugendliche Leser geschrieben und erinnert sich noch daran, was sie sich selbst in jungen Jahren gewünscht hätte. "Ich habe mich als jugendlicher Leser auch schnell unterschätzt gefühlt, wenn so deutlich darauf abgezielt wurde, etwas für mich besonders naiv zu schildern", sagte Dörrie im Deutschlandradio Kultur. Als Schriftsteller sollte man seine Leser ernst nehmen.
Allein im fremden Wald
Ihr Jugendbuch für Jungen und Mädchen gedacht, die nicht so gerne lesen, sagte Dörrie. Das Werk sei eine spannende Geschichte, die das Märchen "Hänsel und Gretel" adaptiere und mit den digitalen Welten der Jugendlichen verbinde. Es sei eine politische Erzählung von zwei Jugendlichen, die auf der Flucht in ein fremdes Land und einen fremden Wald gerieten und das Ganze entwickele sich dann zur Horrorgeschichte.
Seltener Alltag
"Für mich ist Alltag der pure Luxus", sagte Dörrie. Sie sei so viel unterwegs, dass sie es genieße, ganz normal zu Hause zu sein, Einkaufen zu gehen und zu kochen. "Es ist immer die Frage, was man am meisten hat", sagte die Filmemacherin. "Ich habe am meisten das unterwegs sein und am wenigsten die Routine und den normalen Alltag."
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Sie ist ein Multitalent: Doris Dörrie macht Filme, unterrichtet, inszeniert Opern, über Männer, er und ich, und stellt wichtige Fragen: Bin ich schön? – Und sendet Grüße aus Fukushima, das ist ihr letzter Film. Dass sie eine bekannte Autorin und Erzählerin ist, das gehört sich ja sozusagen für ein Multitalent, zum Beispiel "Das blaue Kleid", ein sehr bekanntes Buch von ihr. Vielleicht nicht ganz so bekannt ist, dass sie zahlreiche Kinderbücher geschrieben hat, die Lotte und Mimi durch die Fährnisse der Erwachsenenwelt lotsen. Und das habe ich auch Doris Dörrie gefragt: Wie schreibt sie oder was schreibt sie gerade?
Doris Dörrie: Das sind einmal wirkliche Kinderbücher für die Kleinen, zwischen drei und sechs, wo es mir Spaß macht, mit der Illustratorin Julia Kaergel zusammenzuarbeiten. Da haben wir zusammen acht Kinderbücher glaube ich inzwischen gemacht. Was ich jetzt gemacht habe, ist ein Jugendbuch, und zwar wirklich sehr dezidiert für Jugendliche, die nicht so wahnsinnig viel und gerne lesen.
Und für die eine spannende Geschichte zu schreiben, die auch vielleicht mit ihren anderen, digitalen, virtuellen Welten zu tun hat, das war jetzt für mich der Ansporn, "In einem fremden Wald" zu schreiben. Eine relativ politische Geschichte mit einem sehr alten Märchen, einem Deutschen, verbunden, und das Ganze wird aber dann eine Horrorgeschichte, die einen guten Ausgang hat.
Brink: Ich bin ja schon groß, aber trotzdem interessiert es mich jetzt doch ein bisschen. "In einem fremden Wald", das klingt ja schon ein bisschen düster.
Dörrie: Ja, es ist eine Adaption, am Anfang zumindest, von der "Hänsel und Gretel"-Geschichte. Und hier sind es aber zwei Jugendliche, die aus einem fremden Land kommen und in ein anderes Land geflohen sind, ohne dass es dabei jetzt konkrete politische Rückschlüsse auf das Land gibt, aber sie sind eben in einem fremden Land und in einem fremden Wald und müssen sich da mit seltsamen Menschen, aber auch mit Monstern herumschlagen.
Schreiben für junge Leser
Brink: Schreibt man für Kinder anders als für Erwachsene? Sie haben ja auch schon viele Bücher für Erwachsene geschrieben, ich erinnere nur mal an "Das blaue Kleid". Geht man da doch anders heran, wenn man für Jugendliche schreibt, für Kinder?
Dörrie: Nein. Also, für kleine Kinder natürlich, klar. Aber wirklich für die ganz Kleinen. Und ansonsten, glaube ich: Nein. Ich habe mich als jugendlicher Leser auch schnell unterschätzt gefühlt, wenn so deutlich darauf abgezielt wurde, etwas für mich besonders naiv zu schildern, das mochte ich gar nicht. Und man sollte als Schriftsteller den Leser ernst nehmen und als Leser möchte man ernst genommen werden.
Brink: Nun ist das ja nicht das einzige literarische Projekt, was Sie in der Mangel haben, das andere hat einen, sage ich mal, mindestens ebenso interessanten, wenn nicht auch sehr lustigen Titel, nämlich den "Club der singenden Metzger".
Dörrie: Das ist ein Roman, hinter dem ich schon wirklich lange her war, geschrieben von Louise Erdrich, eine amerikanische Schriftstellerin mit einem interessanten Hintergrund. Sie ist nämlich die Tochter von einem Deutschen und einer Indianerin und hat einen Roman geschrieben über die Einwanderung von Deutschen nach North Dakota, zumindest da, wo jetzt Standing Rock ist, wo die große indianische Revolte gerade stattfindet gegen die Pipeline.
Genau da wandert ein Metzger aus Deutschland ein, 1910, und verkauft Würste, deutsche Würste, und ist umgeben von lauter Menschen, die auch keine Amerikaner sind, sondern von überall aus der Welt dahingekommen sind. Und eben aber auch Indianern, den Ureinwohnern, die da wirklich hingehören. Das ist eine sehr interessante Geschichte darüber, wie man eine Heimat findet oder sie sich selbst auch erfindet.
Seltene Routine
Brink: Nun versuche ich mir gerade wirklich, so bildlich vorzustellen: Doris Dörrie, ja, immer ein Multitalent, immer an vielen Sachen sitzend, wie sie an zwei Romanen, an zwei Büchern, Drehbüchern auch sitzt, "In einem fremden Wald" ((sie sagt: In einer fremden Welt)), "Club der singenden Metzger" … Haben Sie das so parallel am Schreibtisch liegen oder ist das eine naive Vorstellung?
Dörrie: Na ja, auf dem Computer.
Brink: Auf dem Computer, ja, da steht …
Dörrie: Ach, das ist gar nicht so schwierig, denn mein ganzes Leben ist so strukturiert, dass ich eins nach dem anderen eigentlich mache und dann halt manchmal auch plötzlich hin- und herspringe, wenn es die Zeit erlaubt. Aber eigentlich geht das immer ganz gut so eins nach dem anderen.
Brink: Nun haben ja beide Geschichten, beide Titel interessante, lustige, ein bisschen schräge, auch abwegige Handlungsdirektiven. Ist das irgendwie aufregender als der schnöde Alltag?
Dörrie: Na ja, für mich ist der Alltag der große Luxus. Denn ich bin so viel unterwegs und ich bewege mich ständig in fiktiven Welten. Ich genieße es wirklich, so ganz normal zu Hause zu sein und zu kochen und einzukaufen und die langweiligen Dinge des Alltags zu tun, weil ich sie nicht so oft bekomme. Ist immer die Frage, was man am meisten hat, und ich hab halt am meisten das Unterwegssein und am wenigsten die Routine, den normalen Alltag.
Brink: In Ihrer Leipziger Poetikvorlesung habe ich einen wunderschönen Satz gefunden. Nämlich Sie wurden gefragt: Warum erzählen Sie? Und dann haben Sie gesagt: Weil die Erzählung alles erträglicher macht.
Dörrie: Ja … Ja, ich glaube schon, dass das für viele von uns stimmt, dass wir in der Fiktion oder in dem Zusammengefassten, Verdichteten etwas wiederfinden, was uns angeht, und gleichzeitig aber auch einen Trost finden, weil andere es auch schon mal erlebt haben. Andere sind bedroht worden, haben große Angst gehabt, haben Dinge verloren, Menschen verloren, haben Schmerz erlitten. Und in diesen Erzählungen von anderen können wir uns auch ein Stückchen weit über den eigenen Weg hinwegtrösten oder uns aber auch ab und zu wirklich so etwas wie Kraft holen.
Und das muss jetzt nicht immer tragisch sein, diese Erzählungen, das geht genauso gut in der Komödie. Aber ich glaube schon, dass dieses Geschichten-Erzählen immer etwas mit Vorbildern auch zu tun hat. Auch wenn die grandios scheitern, es ist trotzdem etwas, was sie anstelle von einem selbst durchmachen. Dass wir dadurch so einen Fahrplan bekommen, wie unser Leben vielleicht funktionieren könnte und was alles auch nicht funktioniert. Und dass das eben zusammengehört. Also, dass auch das Leiden normal ist. Wie lebt man weiter, wie erträgt man das Leben?
Geschichten erzählen
Brink: Es gab diesen schrecklichen Anschlag in Berlin, der ja viele in Deutschland immer noch beschäftigt. Werden Sie auch darüber schreiben?
Dörrie: Das weiß ich nicht, aber natürlich werden wir darüber schreiben und wir werden auch darüber schreiben müssen und das dann erzählen müssen. Das ist unsere menschliche Art, die Dinge auch zu verarbeiten. Und ich bin andersherum der Ansicht, dass wir hinschauen müssen.
Also, wir dürfen uns nicht komplett abwenden und uns in Geschichten flüchten, die gar nichts mehr mit unserer Realität zu tun haben, sondern ich glaube, wir müssen uns selber auch immer wieder dazu aufrufen, hinzuschauen und darüber zu berichten und zu erzählen, auch diesen Horror und diesen Schrecken wieder zu fassen. Und das gelingt uns seit Angedenken immer wieder durch Geschichten-Erzählen. Und darüber müssen wir eben auch dann wirklich weiter erzählen, ja.
Brink: Die Geschichtenerzählerin und Regisseurin Doris Dörrie im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Und morgen fragen wir Bruce Allen, er ist Professor für Gravitationsforschung, Schwerkraft also: Und woran arbeiten Sie?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.