Krisen als Treibmittel der Kultur
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In unserer Reihe "Woran arbeiten Sie gerade?" antwortet der Philosoph Andreas Urs Sommer, der gerade drei Bücher schreibt. Sein Antrieb sind die Fragen nach den gewachsenen Möglichkeiten und der Optimismus, dass Probleme zu bewältigen seien.
Für die meisten Menschen ist es geradezu unvorstellbar, auch nur ein Buch zu schreiben. Der Schweizer Philosophie-Professor Andreas Urs Sommer arbeitet derzeit an drei Werken. Ihn fordere die gegenwärtige politische Lage als Philosophen sehr stark heraus, sagt Sommer, der eine Akademie-Professur an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hält. Es gehe ihm dabei darum, 2020 nicht nur im Elfenbeinturm zu sitzen.
Zukunft der direkten Demokratie
Eines seiner Bücher widmet sich der Krise der repräsentativen Demokratie und der Zukunft der direkten Demokratie. "Es gab dafür eigentlich mehrere konkrete Anlässe", sagt Sommer. Er habe sich die allgemeine Debatte über die Krise der Demokratie etwas genauer ansehen wollen. Ihm sei dann aufgefallen, dass die Bürger und Bürgerinnen sich nicht mehr so leicht repräsentieren ließen, wie beispielsweise die Angehörige von Ständen in einer vormodernen Gesellschaft. Auch in einem Uniseminar habe er festgestellt, dass die Studierenden nicht mehr so leicht in die "Kästchen der Repräsentation" passten. "Dann gingen die Gedankenketten weiter." Sommer räumt ein, dass bei seinem Plädoyer für die direkte Demokratie auch seine Schweizer Erfahrungen eine Rolle gespielt habe.
Kultur der Möglichkeiten
In seinem zweiten Buch setze er sich mit dem Werk des Philosophen Friedrich Nietzsche auseinander, und im dritten Werk widmet er sich der Gegenwartskultur als Möglichkeitskultur. Sommer sagt, ihm scheine es für die Kultur charakteristisch, dass Menschen sich Möglichkeiten erschließen. In den vergangenen Jahrhunderten seien die Möglichkeiten sichtbar gewachsen. Unsere Urgroßeltern hätten im Vergleich zu heute nur eingeschränkte Möglichkeiten gehabt.
Heute stehe der Einzelne dadurch allerdings vor schwierigen Entscheidungen: "Was soll ich mit meinem Leben anstellen?" Ihn interessiere diese kulturelle Grundsatzveränderung, so Sommer. Aus seiner Sicht könne man angesichts der gewachsenen Möglichkeit mit einer gewissen Gelassenheit und Optimismus auf die Gegenwart blicken. Trotz der vorhandenen Probleme seien auch die Möglichkeiten, diese zu bewältigen, ebenso gegeben.
"Es gibt keinen Grund, an irgendetwas zu verzweifeln", sagt der Philosoph. Die Probleme seien nicht so apokalyptisch, dass die Menschen nicht dazu in der Lage wären, um mit ihnen konstruktiv umzugehen. Im Gegenteil: Die Krisen seien das "Treibmittel der Kultur", die zu neuen Lösungen herausforderten.
(gem)