Ist die Trennung von Arbeit und Freizeit Quatsch?
Workation, also die Verbindung von Arbeit und Urlaub, das scheint ein wachsender Trend zu sein - vor allem unter den so genannten digitalen Nomaden, also Freiberuflern, die von überall aus arbeiten können. Klingt gut, aber ist das nicht pure Selbstausbeutung?
Work-Life-Balance? Davon hält die Unternehmensberaterin und Trainerin Simone Stargardt nichts. "Eine Trennung zwischen Arbeit und Leben, wie es dieses klassische Work-Life-Balance suggeriert, halte ich fast für schizophren", sagte sie im Deutschlandfunk Kultur. "Das würde ja bedeuten, dass während ich arbeite, ich nicht leben darf."
Die strikte Trennung von Arbeit und Privatleben sei möglicherweise etwas typisch Deutsches – und gegen den Trend: "Ich glaube, es ist eher ein moderner Trend in modernen Kulturen, dass man sagt, es fließt wieder mehr zusammen."
Mit dem Laptop am Strand von Bali
Eine Möglichkeit, Arbeit und Freizeit zu integrieren, ist sogenannte "Workation", also die Kombination von Arbeiten und Urlaub. Das wünschen sich offenbar immer mehr Menschen. Vor allem die so genannten digitalen Nomaden nutzen zunehmend aus, dass sie mit ihrer Arbeit an keinen festen Ort gebunden sind. "Ich persönlich finde es sehr entspannt", sagt Simone Stargardt. Extremes Workation, bei dem man beispielsweise drei Monate von einem Haus am Strand auf Bali aus arbeitet, habe sie zwar noch nicht gemacht.
"Aber in jedem Urlaub habe ich meinen Laptop dabei und mache meine Arbeit. Und für mich ist es tatsächlich Erholung", betont sie. "Schon allein, weil diese extrem stressige Zeit vor dem Urlaub wegfällt, in der man eine Woche lang versucht, verzweifelt alles leer zu räumen, um mit gutem Gewissen wegfahren zu können. Und auch der ganz schlimme Tag nach dem Urlaub, wenn sich alles stapelt und so 150 Mails im Account sind. Und so ist die Zeit vor dem Urlaub entspannt, nach dem Urlaub entspannt und dadurch auch der Urlaub selbst."
Inzwischen gibt es auch Unternehmen, die ihren Arbeitgebern Homeoffice in Urlaubsregionen erlauben – und Veranstalter, die solche "Workations" organisieren: eine Villa auf Bali oder eine Wohnung in Marokko anmieten, Workshops organisieren und auch fürs Freizeitprogramm sorgen.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Raus aus der Routine, rein in den Urlaub. Das ist die Zeit, die der Familie gehört, ganz der Entspannung dient, und in der man nichts, aber auch gar nichts vom Büro hören will. Und dann schaut man doch ins Smartphone und checkt die E-Mails aus dem Job und bekommt sofort ein schlechtes Gewissen, und schlechtes Gewissen ist definitiv nicht gut für Erholung. Deswegen hält Simone Stargardt die zum Teil rigorose Trennung von Ferien und Job für ziemlichen Quatsch. Die Geschäftsführerin der Weiterbildungsakademie "carriere & more" arbeitet auch als Trainerin und Unternehmensberaterin, und das zusammen mit ihrem Mann. Guten Morgen!
Simone Stargardt: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Workation ist das Stichwort, über das wir reden wollen, die Verbindung von Work und Vacation, von eben Job und Ferien. Muss das sein, dass Sie mir jetzt auch noch den Urlaub klauen wollen, nachdem ich schon Teile meines Wochenendes opfern muss?
Stargardt: Nein, im Gegenteil, wir schenken ja Zeit. Ich persönlich finde es sehr entspannt. Ich habe noch nicht dieses extreme Workation gemacht, drei Monate in einem Haus am Strand auf Bali, und von dort aus gearbeitet. Das kann ich mit meiner Arbeit leider auch nicht kombinieren. Aber in jedem Urlaub habe ich meinen Laptop dabei und mache meine Arbeit. Und für mich ist es tatsächlich Erholung, schon allein, weil diese extrem stressige Zeit vor dem Urlaub wegfällt, in der man eine Woche lang versucht, verzweifelt alles leer zu räumen, um mit gutem Gewissen wegfahren zu können. Und auch der ganz schlimme Tag nach dem Urlaub, wenn sich alles stapelt und so 150 Mails im Account sind. Und so ist die Zeit vor dem Urlaub entspannt, nach dem Urlaub entspannt und dadurch auch der Urlaub selbst.
Die klassische Work-Life-Balance ist "schizophren"
Welty: Aber das heißt doch im Klartext, dass Sie immer arbeiten.
Stargardt: Ja, denn eine Trennung zwischen Arbeit und Leben, wie es dieses klassische Work-Life-Balance suggeriert, halte ich ja fast für schizophren. Das würde ja bedeuten, dass während ich arbeite, ich nicht leben darf. Das ist ja eigentlich sehr traurig. Ich habe das Glück, sagen zu können, ich habe einen Beruf, eine Aufgabe, die mir wahnsinnig viel Spaß macht, die auch für mich Leben ist.
Welty: Sind Sie ein Workaholic?
Stargardt: Ich denke, das ist eine Definitionssache. Also, natürlich gibt es Menschen, die das sehr strikt voneinander trennen wollen. Ich persönlich arbeite gern und verknüpfe das aber auch mit Leben. Also, auch während der Arbeit ist es dann eben möglich, Privatdinge zu tun. Im Vorgespräch mit Ihrer Redakteurin zum Beispiel war ich gerade mit meiner Assistentin und unseren Hunden unterwegs. Also, insofern wahrscheinlich nein, wahrscheinlich arbeite ich gar nicht mehr als andere.
Welty: Wenn wir uns jetzt auf dieses Modell einlassen, wer schützt die Arbeitnehmer dann vor Selbstausbeutung? Die Teilzeitfalle, die kennt ja wohl jeder, der schon einmal Teilzeit beispielsweise gearbeitet hat. Man hat eine halbe Stelle, arbeitet aber dann doch mindestens 75 Prozent.
Stargardt: Gut, ich denke in zweierlei Hinsicht. Auf der einen Seite muss schon der Arbeitnehmer auch dafür sorgen, dass er sich selbst schützt, selbst auch klar zu kommunizieren, was sind die Grenzen, wozu ist der Arbeitnehmer bereit. Und ja, Sie haben schon recht, manchmal neigt man dazu, das dann auch zu übertreiben. Meine Assistentin zum Beispiel, hatte ich das Gefühl, sie macht keine richtigen Pausen. Das fand ich auch nicht gut.
Workation geht nur bei bestimmten Berufen
Welty: Was ist denn eine richtige Pause?
Stargardt: Sie ist immer am Arbeitsplatz sitzen geblieben. Sie hat dann schon private Sachen gemacht, sie sagte, sie macht Pausen. Aber sie hat dann privat gesurft und ähnliches. Und im Gespräch sind wir dann drauf gekommen, und dann habe ich ihr erlaubt, ihren Hund mit zur Arbeit zu bringen, und ich denke, das tut ihr auch gut und ist dann auch der richtige Schritt, und so kommt sie dann auch tagsüber während der Bürozeit regelmäßig raus. Ich glaube, das ist so die Zweierlei-Verantwortung. Der Arbeitgeber oder der Chef muss natürlich schon auch gucken, was machen die Mitarbeiter und wie kann ich ihnen was Gutes tun.
Welty: Im engeren Sinne bedeutet Workation ja, dass ich tatsächlich da arbeite, wo andere Urlaub machen, auf Bali zum Beispiel. Das geht ja nicht bei jedem Job. Wer im Supermarkt an der Kasse sitzt oder beim Daimler am Band steht, der kann sich seine Arbeit ja nicht mitnehmen. Ist Workation also nur was für privilegierte Kopfarbeiter?
Stargardt: Ja, Sie haben schon recht. Tatsächlich lässt es sich nicht mit jedem Beruf kombinieren. Und auch ich muss regelmäßig bei meinen Kunden, bei meinen Mitarbeitern vor Ort sein, einfach auch um diesen persönlichen Austausch zu haben. Wie Sie schon sagen, wenn die Kassiererin sagt, ich sitze auf Bali, wird das ein bisschen schwierig, wenn wir dort einkaufen wollen im Supermarkt. Nichtsdestotrotz glaube ich schon, dass es sich in immer mehr Bereichen weiterentwickelt. Und gerade Daimler ist ein gutes Beispiel.
In meiner Akademie in Stuttgart habe ich natürlich auch einige freiberufliche Dozenten, die bei Daimler arbeiten. Und wer einen Bürojob, Projektmanagement hat, dort ist es mittlerweile absolut üblich, dass jederzeit Homeoffice möglich ist und damit theoretisch auch Workation möglich wäre. Also dort ist ein sehr großer Umbruch. Und ich glaube, dass es nicht nur in diesem großen Konzernen funktioniert, sondern, wenn man genau hinguckt, sind manchmal gerade auch kleine Unternehmen, was diese Dinge betrifft, sehr flexibel.
Einfach mal die Familie zur Arbeit mitnehmen
Welty: Sie plädieren ja dafür, Beruf und Freizeit längst nicht so strikt zu trennen, wie das für viele als Ideal dasteht. Würden Sie sagen, dass dieses Ideal, das hierzulande propagiert wird, typisch deutsch ist?
Stargardt: Ja, möglicherweise. Wir sind ja auch für unsere Tugenden im Arbeiten bekannt. Mein Mann und ich waren öfter in Argentinien. Ich würde jetzt das Arbeitspensum dort nicht so hoch aufhängen, wie es das bei uns ist. Aber ja, dort ist es schon eher so, dass auch mal die Grenzen verschwimmen und man vielleicht auch die Familie mal mit zur Arbeit nimmt. Wobei, ich glaube schon, dass es in vielen Ländern auch so ist wie bei uns, dass getrennt wird. Ich glaube, es ist eher ein moderner Trend in modernen Kulturen, dass man sagt, es fließt wieder mehr zusammen.
Welty: Die Trainerin und Unternehmensberaterin Simone Stargardt in "Studio 9", die sehr für die Idee von Workation plädiert, für die Kombination von Job und Urlaub. Immerhin haben wir beide jetzt schon Job und Wochenende kombiniert. Herzlichen Dank dafür!
Stargardt: Ich danke Ihnen, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.