Eine Geschichte in einem Bild erzählen
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Der World Press Photo Award 2022 geht an Amber Bracken. Die kanadische Fotografin hat ein Bild gemacht, das an den Völkermord an den Indigenen erinnert. Jurorin Stephanie Harke erklärt, warum das Foto eine gute Wahl ist.
Ein rotes Kleid an einem Kreuz an einem Wegesrand, nur eines in einer Reihe vor einem wolkenverhangenen Himmel und einem Regenbogen im Hintergrund: Das ist das Foto des Jahres, findet die Jury des World Press Photo Awards, der bedeutendesten Auszeichnung für Fotojournalismus. 60.000 Bilder wurden gesichtet.
Am meisten überzeugt hat eins, das die Kanadierin Amber Bracken für die New York Times gemacht hat. Es zeigt die Kreuze, die für ermordete und verschwundene indigene Frauen und Mädchen stehen. 2021 wurden in Kanada Massengräber von Kindern gefunden, die in „Residential Schools“ umerzogen werden sollten, um ihre indigene Identität auszulöschen. Dabei kam es auch zu sexuellem Missbrauch.
Bild wirft Fragen auf
In der Jury-Begründung heißt es: „Es ist die Art von Bild, das sich in die Erinnerung einbrennt, es inspiriert uns zu einer sensorischen Reaktion. Man kann fast die Stille in diesem Foto hören, einen stillen Moment der weltweiten Aufmerksamkeit für die Geschichte der Kolonialisierung, nicht nur in Kanada, sondern auf der ganzen Welt.“
Auch Jurorin Stephanie Harke findet: „Das ist das beste Bild, das eingereicht wurde, da die Fotografin einen Moment eingefangen hat, der sehr symbolhaft wirkt.“ In einem Bild werde eine ganze Geschichte erzählt. "Und es wirft Fragen auf. Wir wissen nicht sofort, worum es da geht."
Regionalisiertes Auswahlverfahren
In diesem Jahr wurde das Auswahlverfahren in regionale Jurys aufgeteilt, die Bilder nur von ihren jeweiligen Kontinenten beurteilen sollten. Das habe den Vorteil, dass man nicht nur Fotos mit dem „westlichen Blick“ beurteile, so Harke. Damit werde die „Sichtbarkeit und Gleichstellung der Themen aus verschiedenen Kontinenten“ bewirkt.
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der Kriegsverbrechen in Butscha sagt sie, es sei wichtig, dass auch dort Fotografen arbeiten. „Uns muss zu einem gewissen Maß klar werden, wie schrecklich es da ist.“
Allerdings ist es aus ihrer Sicht nicht nötig, verkohlte Gesichter von Leichen zu zeigen. Das sei ein zu großer Eingriff in die Würde der Toten. Harke fragt sich auch, ob derzeit so viele Fotografen im Kriegsgebiet sein sollten und es nicht von einer gewissen Schaulust getrieben sei.
(leg)