Wortakrobat und Buchstabenalchemist

Von Sigried Wesener |
Der deutsch-rumänische Lyriker Oskar Pastior erhält den diesjährigen Georg-Büchner-Preis. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung würdigte den aus Siebenbürgen stammenden Pastior als "methodischen Magier der Sprache". Pastiors Gedichte zielen auf den gesprochenen Vortrag und leben vom Klang. Mit linguistischer Lust reiht er Lautfolgen, Silbenkarawanen und Wortkaskaden aneinander.
Jalousien aufgemacht
Jalousien zugemacht
Jalousien aufgemacht
Jalousien zugemacht
und so weiter


Oskar Pastior ist vier Jahre alt, als er diese vier Worte immer wieder vor sich her sagt. Die zwei Verse bleiben in seinem Ohr, werden aufgeschrieben zu seinem ersten Gedicht, das die Langeweile der sommerlichen siebenbürgischen Nachmittags-Hinterzimmerwelt beschreibt und ausgesprochen: Sie erst erträglich macht. Später sah er augenzwinkernd darin bereits eine gewisse Aversion gegen geschlossene Räume und Zwänge. Und Pastior nimmt sie wieder auf, dichtet weiter.

Oskar Pastior wurde 1927 in Sibiu, dem einstigen Hermannstadt, geboren. Rumänien in der Mitte des 20. Jahrhunderts bietet wenig Chancen für die deutsche Minderheit, für ihre Sprache und Kultur. Dies erlebt der Student der Germanistik und später der Rundfunkredakteur Pastior, der bereits als Gymnasiast die alltäglichen Höllen der Deportation in ein sowjetisches Arbeitslager am Donbass überstanden hat.

Als 1964 sein erster Gedichtband "Offene Worte" in Bukarest erscheint, kann weder ein Literatur- Preis, noch die Aufnahme in den Schriftstellerverband darüber hinwegtäuschen, dass die Herkunft den Lyriker stigmatisiert. Später wird der Dichter aus der Erfahrung von zwei Kulturen, aus dem Dilemma des Eingeschlossenseins der deutschen Sprache poetische Funken schlagen.

1968 kehrt er Rumänien den Rücken, kommt über Wien nach West-Berlin. Bereits sein erster Gedichtbad "Vom Sichersten ins Tausendste" 1969 ließ aufhorchen. Pastior, Übersetzer von Gleichgesinnten wie Tristan Tzara, Paul Schubart oder Velimir Chlebnikow zieht alle sprachlichen Register. "Sprachakrobat" wird sein Synonym, geistige Bezüge zu DADA sind unüberhörbar. Oskar Pastior ist der erste und einzige deutsche Vertreter der renommierten französischen Oulipo-Vereinigung.

Seine Lautfolgen, Silbenkarawanen und Wortkaskaden, in über 40 Gedichtbänden ediert und in der Werkausgabe zusammengeführt, sind vor allem Sprech-Gedichte und zielen ganz auf das Ohr des Zuhörers.

Oskar Pastior findet die richtigen Worte für diese vorgetragene Buchstabenalchemie: "dass ich mich sprechen lese, schreiben höre". Und der Zuhörer rettet sich im Meer der gewagten Sprachexperimente, von Stichwort zu Stichwort als Leuchttürme im Text, um sich schließlich dem Rhythmus und der Wortmagie ganz hinzugeben. Oskar Pastiors Poesie ist Klang, auch wenn er über Profanes wie Portlandzement spricht.

Oskar Pastior zählt sich selbst zur Familie der "Wörtlichnehmer". Mit linguistischer Lust kreiert er seine Wortspiele jenseits starrer Sprachregeln. In Gedichtbänden, wie "Kopfnuss Januskopf", "Vokalisen & Gimpelstifte" und "Das Hören des Genitivs" gestattet der Letternforscher Buchstabenblicke, die gegen jede Form semantischer Eindeutigkeit rebellieren. Buchstaben werden so lange hin- und hergeschoben, bis neue Wortgebilde entstehen. "Was zusammensteht, muss nicht zusammengehören", meint Pastior mit schelmischem Unterton.

In seinen Frankfurter Vorlesungen "Das Unding an sich" bekräftigt der experimentierfreudige Wortjongleur seine(n) - wie er es nennt: (Poe)-Ti(c)k:

"Mit den Projekten, Schreibverfahren, ja mit ihrem Namen haben sich gewisse poetische Umgangsformen, Fertigkeiten, Fähigkeiten herausgebildet, die, nicht bloß abrufbar, sondern eigentätig weiterwirkend auch in späteren Projekten dann immer wieder mitmischen."

Auch im Deutschlandradio kann und konnte man den Dichter immer wieder hören. Denn Radio war das Medium, mit dem er bekannt geworden ist. Bei Radio Bukarest produzierte er seine ersten Wortbeiträge. Nach seiner Ausreise 1969 nach West-Berlin bot das Radio eine Überlebenschance und gleichzeitig die Möglichkeit, seine "Gedichtgedichte, Hörichte, Sonettburger, Gimpelstifte und Vokalisen, Anagramme, Palindrome und Sestinen" in die Welt zu "posaunen".

Oskar Pastior hat sich die 13 Buchstaben des Wortes Deutschlandradio vorgenommen, geschüttelt, gebeugt, neu zusammengesetzt.
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