Wortspiele und Pointenketten
Gerhard Stadelmaier ist ein Theaterkritiker aus einer vergangenen Epoche. Nun hat er die Essenzen seiner Arbeit gesammelt und damit eine lebendige Geschichte des Gegenwartstheaters verfasst.
Gerhard Stadelmaier ragt aus einer längst vergessen geglaubten Zeit in die heutige Kulturszene hinein. Und vielleicht ist er deshalb der wohl am meisten gefürchtete, am meisten gehasste Kritiker in Deutschland: Er ist nämlich wirklich noch ein Kritiker. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von den Dienstleistern und Allroundern um ihn herum, die die Debatten und die Moden der Theaterszene mehr oder weniger ungefiltert in ihre Beiträge einfließen lassen und mitspielen wollen.
Stadelmaiers Ideal ist der Kritiker, der unabhängig von allen Fraktionen und Einflüsterern, unabhängig von den Theaterkantinen und Intendantenvorzimmern einfach in die Premieren geht und danach als subjektive Einzelperson lustvoll ausformuliert, was ihm aufgefallen ist. Das ist in zweifacher Hinsicht merkwürdig: Zum einen wegen der kompromisslosen Haltung des Kritikers an sich, zum anderen dadurch, dass man bei Stadelmaier unbedingt das Gefühl haben kann, das Theater sei immer noch der Nabel der Welt.
Stadelmaier schreibt über das Theater, als wenn es um sein Leben ginge. Jetzt sammelt er nun endlich die Essenzen: Er stellt in seinem Buch die ihm wichtigsten Kritiken zusammen und gruppiert sie zu einzelnen Kapiteln. Natürlich ist Tschechow eines davon, Faust ein anderes, Schiller ein Letztes. Dabei wird rasch eines klar: Wer Stadelmaier liest, bekommt eine Ahnung davon, was Kritik sein kann und wie sie unbedingt auch der Maßstab für heute sein müsste. Denn Kritik ist etwas ganz anderes als der übliche Journalismus.
Der älteste Text ist derjenige zu Peter Steins Inszenierung von Tschechows Kirschgarten in der Schaubühne 1984. Stadelmeier hat also tatsächlich noch einen Zipfel der letzten großen, legendären deutschen Theaterzeit erhascht, und dass seine Kritiken bis 1989 in der "Stuttgarter Zeitung" erschienen sind, wird an solch erlesenen Beispielen kenntlich gemacht.
Und da Stadelmaier, nunmehr bei der FAZ, selbstredend den wichtigsten Ereignissen seither beigewohnt hat, ist sein Buch eine lebendige Geschichte des Gegenwartstheaters. Lebendig deshalb, weil es bei seinem Verständnis von Kritik nämlich in allererster Linie um die Kritik als Kunst geht. Er ist ein niemals zu bändigender Regisseur von Wortspielen und Pointenketten, er ist ein Berserker und ein Verzückter, er ist arrogant und selbstverliebt, er ist umwerfend und kokett.
Die berüchtigten Kurzverrisse (Castorfs "Weber" von 1997 etwa) sind genauso brillant wie die ungleich schwieriger zu verfassenden Jubelkritiken: Noch nach zwei Jahrzehnten erinnert er sich an "die Schönheit einer Geste" in Ariane Mnouchkines Aufführung 1990. Und schon die Überschrift zu Rolf Hochhuths und Einar Schleefs Uraufführung von "Wessis in Weimar" 1993 zieht den Leser hinan: "Ein Volk, ein Reich, zwei Rührer".
Dieses Buch, im Gegensatz zu all den Interviewtechnik- und Lifestyle- und Aktualitäts-Ratgebern, müsste Pflichtlektüre für alle Kulturjournalisten-Studiengänge sein!
Besprochen von Helmut Böttiger
Gerhard Stadelmaier: Parkett, Reihe 6, Mitte
Zsolnay Verlag, Wien 2010
448 Seiten, 25,90 Euro
Stadelmaiers Ideal ist der Kritiker, der unabhängig von allen Fraktionen und Einflüsterern, unabhängig von den Theaterkantinen und Intendantenvorzimmern einfach in die Premieren geht und danach als subjektive Einzelperson lustvoll ausformuliert, was ihm aufgefallen ist. Das ist in zweifacher Hinsicht merkwürdig: Zum einen wegen der kompromisslosen Haltung des Kritikers an sich, zum anderen dadurch, dass man bei Stadelmaier unbedingt das Gefühl haben kann, das Theater sei immer noch der Nabel der Welt.
Stadelmaier schreibt über das Theater, als wenn es um sein Leben ginge. Jetzt sammelt er nun endlich die Essenzen: Er stellt in seinem Buch die ihm wichtigsten Kritiken zusammen und gruppiert sie zu einzelnen Kapiteln. Natürlich ist Tschechow eines davon, Faust ein anderes, Schiller ein Letztes. Dabei wird rasch eines klar: Wer Stadelmaier liest, bekommt eine Ahnung davon, was Kritik sein kann und wie sie unbedingt auch der Maßstab für heute sein müsste. Denn Kritik ist etwas ganz anderes als der übliche Journalismus.
Der älteste Text ist derjenige zu Peter Steins Inszenierung von Tschechows Kirschgarten in der Schaubühne 1984. Stadelmeier hat also tatsächlich noch einen Zipfel der letzten großen, legendären deutschen Theaterzeit erhascht, und dass seine Kritiken bis 1989 in der "Stuttgarter Zeitung" erschienen sind, wird an solch erlesenen Beispielen kenntlich gemacht.
Und da Stadelmaier, nunmehr bei der FAZ, selbstredend den wichtigsten Ereignissen seither beigewohnt hat, ist sein Buch eine lebendige Geschichte des Gegenwartstheaters. Lebendig deshalb, weil es bei seinem Verständnis von Kritik nämlich in allererster Linie um die Kritik als Kunst geht. Er ist ein niemals zu bändigender Regisseur von Wortspielen und Pointenketten, er ist ein Berserker und ein Verzückter, er ist arrogant und selbstverliebt, er ist umwerfend und kokett.
Die berüchtigten Kurzverrisse (Castorfs "Weber" von 1997 etwa) sind genauso brillant wie die ungleich schwieriger zu verfassenden Jubelkritiken: Noch nach zwei Jahrzehnten erinnert er sich an "die Schönheit einer Geste" in Ariane Mnouchkines Aufführung 1990. Und schon die Überschrift zu Rolf Hochhuths und Einar Schleefs Uraufführung von "Wessis in Weimar" 1993 zieht den Leser hinan: "Ein Volk, ein Reich, zwei Rührer".
Dieses Buch, im Gegensatz zu all den Interviewtechnik- und Lifestyle- und Aktualitäts-Ratgebern, müsste Pflichtlektüre für alle Kulturjournalisten-Studiengänge sein!
Besprochen von Helmut Böttiger
Gerhard Stadelmaier: Parkett, Reihe 6, Mitte
Zsolnay Verlag, Wien 2010
448 Seiten, 25,90 Euro