Hybrider Kampf um die Ukraine

Wo hört der Frieden auf, wann beginnt der Krieg?

53:42 Minuten
Ein Graffiti des Straßenkünstlers Laika, das zum Frieden zwischen Russland und der Ukraine aufruft, ist an der Wand eines Hauses in der Nähe der russischen und ukrainischen Botschaften in Rom zu sehen.
Diese Graffiti ruft zum Frieden zwischen der Ukraine und Russland auf. Doch wird dieser Wunsch sich erfüllen? © picture alliance / dpa / Sputnik / Danilo Garcia di Meo
Moderation: Birgit Kolkmann |
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Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist nicht gelöst. Russische Truppen stehen entlang der Grenzen der Ukraine. Der hybride Kampf Russlands um die Vorherrschaft in der Ukraine ist in vollem Gange.
Die Stimmung in der Ostukraine sei in diesen Tagen sehr angespannt, sagt die Osteuropa-Historikerin und Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Charkiw, Brigitta Triebel. „Der intensive Beschuss an der Kontaktlinie im Donbas hat die Menschen wieder beunruhigt. Auch wenn ich sagen muss, die Menschen auch im Osten des Landes reagieren sehr ruhig, abwartend. Man merkt fast eine gewisse Resilienz gegen diese hybride Kriegsführung, in der wir uns schon mittendrin befinden.“
Putin beim Wort nehmen
Der sicherheitspolitische Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik Markus Kaim hält eine Invasion der russischen Armee auf das Staatsgebiet der Ukraine für „ganz real“. Die Ankündigung Putins, er behalte sich „militärisch-technische Maßnahmen“ vor, müsse ernst genommen werden. „Ich glaube, wir sind gut beraten, den russischen Präsidenten beim Wort zu nehmen, dass die Zeit der Diplomatie, die Zeit der Deeskalation erst einmal vorbei sein wird. Was das konkret heißt in den nächsten Tagen, das werden wir sehen: Ob das eine kleinere Invasion in der Ostukraine sein wird oder eine voll ausgebildete territoriale Besetzung der Ukraine im großen Maßstab. Nur ich glaube, dass wir ein militärisches Handeln Russlands sehen werden, das wird immer wahrscheinlicher.“
Russland will Ukraine „mürbe“ machen
Der Präsident des Netzwerks EuroDefense Deutschland und ehemals hochrangige Mitarbeiter der NATO, Oberst a. D. Ralph Thiele, dagegen rechnet nicht mit dem Ausbruch eines größer angelegten Krieges. Vielmehr wolle Russland die Ukraine mit den Mitteln der hybriden Kriegführung „kontinuierlich mürbe“ machen. „Das heißt, es gibt nicht diesen Endpunkt, sondern ein kontinuierliches Einwirken auf sein Gegenüber. Das macht Russland ja nicht nur mit der Ukraine, sondern mit vielen anderen Staaten im Osten Europas. Insofern ist es nur ein weiterer schlechter Tag.“ Putin gehe es letztlich darum, den „Objektivitätsverlust des Westens“ zu überwinden und Diskussionsbereitschaft wiederherzustellen. „Und das wird nicht mit Krieg erfolgen.“

Putin kann Druck über lange Zeit aufrechterhalten
Die außenpolitische Expertin des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten in Warschau, Ryszarda Formuszewicz, geht davon aus, dass Putin den militärischen Druck auf die Ukraine und den Westen noch lange aufrechterhalten kann. Anders als Staats- und Regierungschefs westlicher Demokratien müsse Putin keine Rücksicht auf die Meinung der Gesellschaft nehmen. „Die Kalkulation, die dahintersteht, wird anders gemacht als das im Westen passieren würde.“ Durch eine lange Aufrechterhaltung des Drucks könnte die Dringlichkeit, die der Konflikt momentan im Westen habe, wieder abnehmen. „Insofern kann er mit anderen Karten spielen, als dass die westlichen Politiker können.“
Desinformationskampagnen zur Destabilisierung der Ukraine
Putin wolle verhindern, dass die Ukraine ein demokratisches und sich weiter nach Westen hin orientierendes Land werde, meint die Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Charkiw, Triebel. Dabei werde die russische Führung weiterhin mit Mitteln der hybriden Kriegführung wie Desinformation und False-Flag-Operations operieren. „Wir haben begrenzte militärische Aktionen gepaart mit immensen Desinformationskampagnen nicht nur in Russland, sondern auch bei der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine.“
„Der Westen hat geschludert“
Der Militärberater Ralph Thiele hält eine groß angelegte Investition in die Erfassung der Operationen hybrider Kriegführung für dringend notwendig. In der hybriden Kriegführung passierten zu viele Dinge gleichzeitig in Echtzeit. Es müsse moderne Technologie eingesetzt werden, um alle Geschehnisse dingfest zu machen und Desinformation zu entlarven. „Was gebraucht wird, ist ein Lagebild, das diese ganzen Dinge erfasst. Da hat der Westen geschludert. Das hat er bisher nicht hinbekommen. Das ist im Grunde eine technische Errungenschaft mit vielen Analysten, die ständig die Dinge zusammentragen und darstellen. Da hat die EU und die NATO die Staaten an der Ostgrenze des Bündnisses und der EU allein gelassen. Das sollte sie dringend beheben, weil wir dann mit viel mehr Fakten argumentieren können anstatt uns ständig vorführen zu lassen.“ 
(ruk)

Es diskutieren:
  • Ryszarda Formuszewicz, außenpolitische Expertin am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten in Warschau
  • Dr. Brigitta Triebel, Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Charkiw
  • PD Dr. habil. Markus Kaim, sicherheitspolitischer Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik
  • Oberst a. D. Ralph Thiele, Präsident des Netzwerks EuroDefense Deutschland, ehemaliger Mitarbeiter im Private Office des NATO-Oberbefehlshabers und früherer Chef des Stabes am NATO Defense College
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