Wotan in der Immobilienkrise
Vor vier Jahren hat der Schauspieler Stefan Kaminski Wagners "Ring" als wilde, skurrile Ein-Mann-Performance am Deutschen Theater Berlin entwickelt. Jetzt ist das Werk des Stimmen- und Geräuschkünstlers als Hörspiel erschienen. Eine knallige Comicversion mit rasantem Slapstick.
Richard Wagner, seine betörende Musik, sein hybrider Anspruch, seine menschlichen Verfehlungen – es ist eine unendliche Melodie. Sind die Deutschen im Wagner-Rausch? Wie auch immer, die Büchertische biegen sich zum Jubiläum unter Dutzenden Neuerscheinungen. Dazu kommt nun, als zweifellos originellster Beitrag zum Wagner-Jahr, ein außergewöhnliches Hörbuch: "Der Ring des Nibelungen" als Ein-Mann-Hörspiel mit kleiner Begleitband. Der Stimmenvirtuose Stefan Kaminski gibt Gas. 15 Stunden eingedampft auf fünf. Unser Kritiker Wolfgang Schneider hat zugehört.
Das Elend der Welt beginnt mit einem frustrierten Mann. Der Zwerg Alberich wird von den koketten Rheintöchtern zum Narren gehalten. Kurzerhand verflucht er die Liebe und setzt stattdessen auf materielle Werte und Macht: Mit dem Raub des Rheingolds kommt der Verhängniszusammenhang in die Welt.
Unterdessen kriegt Wotan die Immobilienkrise: Er kann die Baufirma Fasolt & Fafner, die ihm die Götterburg Walhall errichtet hat, nicht wie vereinbart bezahlen. Die schöne Freia hat er den starken Stemmern versprochen. Das geht an die Substanz, denn Freia verfügt über das jüngende Obst, ohne das die Götter dahinwelken. Die Wut des berlinernden Riesen Fasolt ist so verständlich wie sentenziös.
Als Lohnersatzleistung kommt allein das Rheingold infrage. Das aber lässt sich nirgendwoher nehmen, sondern nur stehlen. So geht es auf Raubzug hinunter nach Nibelheim, in die Sklavenwelt des Alberich. Ein Unheil sprießt aus dem anderen.
Wagners "Ring des Nibelungen" als wilde Performance eines Stimmen- und Geräuschkünstlers: Vor vier Jahren hat Stefan Kaminski die Show am Deutschen Theater Berlin entwickelt, seitdem ist sie langsam aber sicher Kult geworden. Im Wagner-Jubiläumsjahr gibt es sie endlich als Hörbuch.
Ob der löwenhafte, bisweilen allerdings mächtig angesäuselte Wotan, der unfrohe Hagen, die laszive Gutrune oder die schmachtende Brünnhilde: Kaminskis Stimme ist keine Tonlage fremd. Er wettert, kreischt und grummelt sich durch Wagners Saga von Geld, Gold, Macht und Liebe; zelebriert, parodiert und variiert den Originaltext, und dazu schuftet seine kleine Band wie die Nibelheimer. Krawall statt Karajan – ein ganz neuer Zugang in den Wagner-Kosmos. Musikalische Leitmotive werden spielerisch aufgenommen, aber auch neue Töne gewagt, etwa wenn der listige Loge plötzlich zu rappen beginnt.
Es ist viel Jux in diesem "Ring". Wenn der Wanderer Wotan dem Zwerg Mime seine drei Fragen aufgibt, ertönt die Quizfanfare aus "Wer wird Millionär?". Nicht nur Kaminski macht mit seinen Requisiten die merkwürdigsten und passendsten Geräusche. Auch seine musikalischen Mitstreiter bevorzugen unkonventionelle Instrumente wie Bio-Cello, Tuba, Glasharfe oder Nadelklavier. So ergeben sich spannungsvolle akustische Welten. Bei Siegfrieds Drachenkampf trifft tänzelnder Ragtime auf Monstergebrüll:
Wagners skurriles, stabreimendes Starkdeutsch ist eine opulente Vorlage für den Performer Kaminski. Verrat, Raub, Rache und Mord – nichts Menschliches ist der Mythenwelt Wagners fremd. Zwischen Wotan und Fricka tobt seit Jahrhunderten der Geschlechterkampf.
"Siegfried" hat etwas von einem Neue-Deutsche-Welle-Musical. Der kühne Kraftmeier, wie er hier zu Gehör kommt, würde sich bestens als Frontman einer Band machen.
Sicher, die subtilen Momente Wagners fehlen, die Zwischentöne, Gebrochenheiten, elegischen Momente und großen Melancholien. Kaminski bietet eine knallige Comicversion: Wagner-Slapstick, oft rasant verknappt. Aber – ganz wichtig – es ist keine bloße Parodie, sondern bei aller Komik eine große, liebevolle Hommage. Wer ihr lauscht, bekommt auch Lust aufs Original. Kurz: Dies ist ein Hörbuchereignis.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Das Elend der Welt beginnt mit einem frustrierten Mann. Der Zwerg Alberich wird von den koketten Rheintöchtern zum Narren gehalten. Kurzerhand verflucht er die Liebe und setzt stattdessen auf materielle Werte und Macht: Mit dem Raub des Rheingolds kommt der Verhängniszusammenhang in die Welt.
Unterdessen kriegt Wotan die Immobilienkrise: Er kann die Baufirma Fasolt & Fafner, die ihm die Götterburg Walhall errichtet hat, nicht wie vereinbart bezahlen. Die schöne Freia hat er den starken Stemmern versprochen. Das geht an die Substanz, denn Freia verfügt über das jüngende Obst, ohne das die Götter dahinwelken. Die Wut des berlinernden Riesen Fasolt ist so verständlich wie sentenziös.
Als Lohnersatzleistung kommt allein das Rheingold infrage. Das aber lässt sich nirgendwoher nehmen, sondern nur stehlen. So geht es auf Raubzug hinunter nach Nibelheim, in die Sklavenwelt des Alberich. Ein Unheil sprießt aus dem anderen.
Wagners "Ring des Nibelungen" als wilde Performance eines Stimmen- und Geräuschkünstlers: Vor vier Jahren hat Stefan Kaminski die Show am Deutschen Theater Berlin entwickelt, seitdem ist sie langsam aber sicher Kult geworden. Im Wagner-Jubiläumsjahr gibt es sie endlich als Hörbuch.
Ob der löwenhafte, bisweilen allerdings mächtig angesäuselte Wotan, der unfrohe Hagen, die laszive Gutrune oder die schmachtende Brünnhilde: Kaminskis Stimme ist keine Tonlage fremd. Er wettert, kreischt und grummelt sich durch Wagners Saga von Geld, Gold, Macht und Liebe; zelebriert, parodiert und variiert den Originaltext, und dazu schuftet seine kleine Band wie die Nibelheimer. Krawall statt Karajan – ein ganz neuer Zugang in den Wagner-Kosmos. Musikalische Leitmotive werden spielerisch aufgenommen, aber auch neue Töne gewagt, etwa wenn der listige Loge plötzlich zu rappen beginnt.
Es ist viel Jux in diesem "Ring". Wenn der Wanderer Wotan dem Zwerg Mime seine drei Fragen aufgibt, ertönt die Quizfanfare aus "Wer wird Millionär?". Nicht nur Kaminski macht mit seinen Requisiten die merkwürdigsten und passendsten Geräusche. Auch seine musikalischen Mitstreiter bevorzugen unkonventionelle Instrumente wie Bio-Cello, Tuba, Glasharfe oder Nadelklavier. So ergeben sich spannungsvolle akustische Welten. Bei Siegfrieds Drachenkampf trifft tänzelnder Ragtime auf Monstergebrüll:
Wagners skurriles, stabreimendes Starkdeutsch ist eine opulente Vorlage für den Performer Kaminski. Verrat, Raub, Rache und Mord – nichts Menschliches ist der Mythenwelt Wagners fremd. Zwischen Wotan und Fricka tobt seit Jahrhunderten der Geschlechterkampf.
"Siegfried" hat etwas von einem Neue-Deutsche-Welle-Musical. Der kühne Kraftmeier, wie er hier zu Gehör kommt, würde sich bestens als Frontman einer Band machen.
Sicher, die subtilen Momente Wagners fehlen, die Zwischentöne, Gebrochenheiten, elegischen Momente und großen Melancholien. Kaminski bietet eine knallige Comicversion: Wagner-Slapstick, oft rasant verknappt. Aber – ganz wichtig – es ist keine bloße Parodie, sondern bei aller Komik eine große, liebevolle Hommage. Wer ihr lauscht, bekommt auch Lust aufs Original. Kurz: Dies ist ein Hörbuchereignis.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Stefan Kaminski: Der Ring des Nibelungen. Nach Richard Wagner
Musik: Sebastian Hilken, Hella van Ploetz, Natascha Zickerick, Stefan Brandenburg
Goya Lit, Hamburg 2013,
4 CDs, circa 300 Minuten, 29,99 Euro
Musik: Sebastian Hilken, Hella van Ploetz, Natascha Zickerick, Stefan Brandenburg
Goya Lit, Hamburg 2013,
4 CDs, circa 300 Minuten, 29,99 Euro