Wowereit-Nachfolge

Berlin fehlt der Regierende Bürgermeister

Die drei Kandidaten für Wowereits Nachfolge: Berlins Stadtentwicklungssenator Michael Müller (l-r), der Vorsitzende der Berliner SPD-Fraktion, Raed Saleh, und der Landesvorsitzende der Berliner SPD, Jan Stöß.
Die drei SPD-Kandidaten für Wowereits Nachfolge: Stadtentwicklungssenator Michael Müller (l-r), Fraktionschef Raed Saleh und Landesvorsitzender Jan Stöß. © picture alliance/dpa/Stephanie Pilick
Von Max Thomas Mehr · 17.10.2014
Mitten in der Legislaturperiode entscheiden die Berliner SPD-Mitglieder, wer am 11. Dezember das Amt des Regierenden Bürgermeisters übernimmt. Das Auftreten der drei Kandidaten mehrt bereits jetzt den Nachruhm Klaus Wowereits, beklagt der Journalist Max Thomas Mehr.
Wenn Sie in München, Stuttgart oder Grevenbroich leben, wissen Sie dann, wer Michael Müller, Raed Saleh oder Jan Stöß sind? Nein, wissen Sie wahrscheinlich nicht. Dabei sind das die drei coolen Bürgermeisterkandidaten unserer coolen Hauptstadt! Drei Männer, drei Wessis, drei Sozialdemokraten.
Jetzt könnten Sie fragen, gibt es einen ernstzunehmenden Gegenkandidaten einer anderen Partei oder wenigstens Neuwahlen? Nein, die CDU zum Beispiel sitzt als Koalitionspartner im Senat und will da auch drin bleiben.
Immerhin: Die Genossen der sozialdemokratischen Basis dürfen unter sich entscheiden, wer von den Dreien das Rennen macht, der Bausenator, der Fraktionschef oder der Landesvorsitzende. Nur einer brächte ein wirkliches Novum. Raed Saleh stammt aus einer palästinensischen Familie. Er wäre der erste Migrant an der Spitze einer deutschen Großstadt.
Ihre politischen Ziele sind vor allem teuer
Ansonsten: Charisma geht ihnen ab. Ihre politischen Ziele für die notorisch klamme Stadt sind vor allem eines: teuer! Und ihr Auftreten mehrt schon jetzt den Nachruhm von Klaus Wowereit, der mitten in der Legislaturperiode hinschmeißt, weil er in der Wählergunst tief gefallen ist. Dabei braucht Berlin einen Bürgermeister, der in offener Diskussion Antworten auf ein paar einfache Fragen sucht.
Entsteht durch immer mehr Staatsknete soziale Gerechtigkeit? Wie lassen sich Straßen und marode Infrastruktur nachhaltig reparieren? Geht das ohne solide Bestandsaufnahme? Schaffen private Investoren sozialen Wohnungsneubau besser und billiger als städtische Gesellschaften? Ist gute Bildung im vorhandenen System von Schulen und Ausbildungsstätten noch zu erreichen?
Es reicht nicht, soziale Ansprüche stolz vor sich her zu tragen, wenn Politik nicht ehrlich zu sich selbst ist, nicht eingesteht, was sie mit welchen Mitteln bisher erreicht hat und künftig gestalten kann.
Denn in Berlin kommt etwas Besonderes und zugleich Entscheidendes hinzu: Die Bürger der Stadt sind drauf und dran, sich so etwas wie eine sozialdemokratische absolute Mehrheit zu schaffen, die lange währen kann. Und das, obschon die SPD gerade ihren Geist als Volkspartei aufgibt und es der CDU nicht besser geht.
Schon nach den nächsten Wahlen werden nicht zwei, sondern vermutlich drei Parteien für eine Senatsbildung gebraucht. Rot-grün, Schwarz-grün, "GroKo" – alles wird passé sein und sich nur eine einzige Koalition anbieten, eine aus SPD, Grünen und der Partei Die Linke. Deren strukturelle Mehrheit dürfte ihnen erhalten bleiben, solange sie nicht mit Bruder- und Schwesternzwist die Geduld der Berliner überstrapazieren.
Die Hauptstadtregion als DDR-light?
Ich sage voraus, Sie werden das politische Geschäft lähmen – mit hehren Ansprüchen und wenig Spielraum. Drei zusammengeschweißte linke ersetzen eben keine Volkspartei.
Der gelang es lange Zeit, unterschiedliche politische Flügel unter einen Hut zu bringen. So gab sie ihrer Regierungsarbeit eine mehrheitsfähige Richtung, bis sie irgendwann von der Opposition abgelöst wurde, sicher auch, bis sie an ihrem eigenen Filz erstickte.
Heute bildet sich das Spektrum der Meinungen dadurch ab, dass die Wähler nicht wenige, sondern immer mehr Parteien in die Volksvertretung entsenden. Sie mögen authentischer auftreten, ihnen fehlt aber der gemeinsame Nenner. Basisdemokratisch zusammengesetzte Stimmenmehrheit allein schafft noch lange nicht Gestaltungsmacht.
Ein rot-rot-grünes Berlin würde schließlich zusammen mit einem rot-rot-regierten Brandenburg aus der Hauptstadtregion eine Art DDR-light machen, ausgehalten auch durch einen Länderfinanzausgleich.
Und das ist der Grund, warum Menschen, die in München, Stuttgart oder Grevenbroich leben, sich dafür interessieren sollten, wer Michael Müller, Raed Saleh oder Jan Stöß ist – und wer neuer Regierender Bürgermeister in der Hauptstadt wird. Das darf keine Lokalposse aus den Hinterzimmern des Berliner Parteimilieus bleiben.
Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung "taz" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (Arte) wurde er mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.
Max Thomas Mehr
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