Wozzeck
Oper in drei Akten von Alban Berg
Regie: Stefan Herheim
Musikalische Leitung: Axel Kober
Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf
Flashbacks in der Todeszelle
Ein Mörder in der Hinrichtungszelle: Opernregisseur Stefan Herheim inszeniert Alban Bergs "Wozzeck" an der Deutschen Oper am Rhein konsequent in einem Bild – als die letzten Momente eines Sterbenden.
Im roten Gefängnisoverall liegt ein Mann auf einer Pritsche. Der Doktor und der Geistliche stehen betreten am Fußende. Hinter einer Glasscheibe ein Komitee von Zeugen. Als der Zeiger der Uhr auf die volle Stunde vorrückt, startet ein Wachmann die Infusion. Und in diesem Moment setzt die Musik ein.
Licht an im Zuschauerraum
Der Mörder Wozzeck in der Hinrichtungszelle. Sein Leben als innerer Film aus den letzten Zuckungen seines Gehirns. Das ist die Ausgangssituation für Stefan Herheims Inszenierung von Alban Bergs "Wozzeck" an der Deutschen Oper am Rhein. Das Publikum wird Zeuge einer Hinrichtung, und Herheim lässt immer wieder das Licht im Zuschauerraum angehen, damit wir uns nicht drücken vor der Verantwortung, auch vor der Mitschuld? Herheim bleibt konsequent bei diesem Ansatz, das Bild (Bühne: Christoph Hetzer) ändert sich nicht. Und der Abend entwickelt Stärken, aber auch Probleme aus diesem Ansatz.
Zu den Stärken gehört die dramaturgische Freiheit, die Herheim aus dieser visionären Situation gewinnt. Dieser Wozzeck ist in jedem Moment der Geschichte dabei, nicht nur, wenn die Gesellschaft in Gestalt von Doktor, Hauptmann und Tambourmajor ihn manipuliert, ausbeutet und demütigt. Ganz konkret drückt ihm jeder dieser Akteure mehrmals das Rasiermesser in die Hand, mit dem er seine Geliebte Marie töten wird.
Zwei spielstarke Hauptdarsteller
Auch was in deren Welt und Innenwelt geschieht: das langsame Erwachen des Begehrens, die Untreue und die Reue darüber, erlebt Wozzeck hier unmittelbar mit. Und daraus machen die beiden spielstarken Hauptdarsteller Bo Skovhus und Camilla Nylund intensive Momente. Der Höhepunkt: Wenn Marie nach einem "Stückchen Spiegel" verlangt, um ihren Sündenlohn, die Ohrringe, zu sehen, hält Wozzeck ihr die Klinge des Rasiermessers hin.
Aber man sieht sich auch müde am peniblen Realismus dieser Todeszelle, merkt, dass Berg unterschiedliche Räume, innen und außen, eigentlich in unterschiedliche Klangwelten übersetzt hat. Und es wird lästig und kleinlich, wenn der todgeweihte Wozzeck immer wieder in seine Ausgangsposition auf der Pritsche zurückmuss, bevor ein anderer Flashback seines Lebens aktiviert wird. Obwohl – oder weil? - alles auf eine Sekunde zusammenschnurrt in Stefan Herheims Interpretation, verliert dieser "Wozzeck" an Sogkraft.
Holzschnittartige Auslegung Bergs
Musikalisch ist diese Aufführung sehr ordentlich, aber nicht außerordentlich. Axel Kober und die Düsseldorfer Symphoniker legen den Expressionismus Bergs eher holzschnittartig aus. Mit kräftigen Konturen, starken Kontrasten, aber wenig Feinschliff in den dynamischen und klangfarblichen Schattierungen. Meistens ist es zu laut, und das ist möglicherweise auch der Grund, weswegen selbst die großen Stars Bo Skovhus und Camilla Nylund sängerisch nicht alle Erwartungen einlösen.
Nylund steigert sich erst allmählich zu der Leuchtkraft und schmerzlichen Intensität, mit der sie dann die große Bibelszene über die Sünderin Maria Magdalena gestalten kann. Bo Skovhus singt immer souverän, an Flexibilität und Farbenreichtum fehlt manchmal ein Quäntchen. Darstellerisch vollbringt er mit seiner starken Präsenz über den ganzen Abend eine Höchstleistung.