Philippinen

Eine Transwrestlerin als Stärkste im Ring

Aisuluu Tynybekova aus Kirgistan (rechts) kämpft gegen Irina Kuznetsova aus Kasachstan um die Bronze-Medaille bei den Asienspielen in Hangzou 2023
Frauen sind beim Wrestling in den Philippinen genauso beliebt wie Männer. © dpa / picture alliance / Xinhua News Agency / Wu Zhuang
Von Felix Lill |
In Genderfragen ist die Welt des Sports eigentlich streng binär geordnet: Frauen und Männer treten getrennt voneinander an. In den Philippinen ist aber gerade mit Chelsea Marie eine Transfrau zum Star geworden – im Wrestling.
Die Halle tobt, als Chelsea Marie kommt. Zu ihrer Musik läuft sie einmal um den Ring herum, klatscht die Hände der Fans ab, stolziert durch die engen Gänge wie auf einem Catwalk.

Dann steigt sie den Ring hinauf, schiebt die Seile hoch, um sich langsam räkelnd durchzusteigen. Sie liebt die Aufmerksamkeit.

So wie die 400 anwesenden Zuschauer offenbar auch sie lieben.
Als die Ringglocke ertönt, rennen im Blackbox Theatre in Manila, der Hauptstadt der Philippinen, vier Kämpferinnen aufeinander los:

Es geht um den Titel der Manila Wrestling Federation (MWF), der größten Wrestlingliga der Philippinen.
Wie immer im Wrestling entsprechen die Teilnehmerinnen - die sich hier in einer Stuntshow bekämpfen – ausgesuchten Figuren:

Eine von ihnen gibt den Verschnitt von Wonderwoman, eine andere ist maskiert wie in der Lucha Libre aus Mexiko, die Dritte tritt auf wie eine kämpfende Geisha.

Chelsea Marie als Transfrau im Ring

Und dann ist da noch Chelsea Marie: eine Transfrau.

Damit ist die 31-jährige Filipina auf ganz viele Weisen besonders. Über sich selbst sagt sie:

Ich hab keine ausgedachte Figur. Das im Ring bin einfach ich. Beim Wrestling liebe ich die Idee von Frauen, die draufhauen und krass drauf sind. So will ich sein, als sexy Version davon. Was meine Geschichten im Ring angeht, bemühen sich unsere Schreiber, dass alles zu meiner wahren persönlichen Entwicklung passt.

Chelsea Marie

Nicht-binäre Sportler oft ausgeschlossen

Ihre Entwicklung ist einzigartig. Die Welt des Sports ist schließlich streng eingeteilt in Männer und Frauen.
Personen, die diesen binären Kategorien nicht entsprechen, werden im Wettbewerbssport immer wieder ausgeschlossen oder mit harten Auflagen belastet. Denn wer zum Beispiel trans ist, habe oft einen Kraftvorteil, heißt es.

Semenya muss Medikamente nehmen

Das prominenteste Beispiel hierfür ist die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya, die zwar nicht trans ist, aber über mehr männliche Hormone verfügt als die meisten Frauen.
Der Sportgerichtshof CAS hat entschieden, dass Semenya Medikamente nehmen muss, um ihren Testosteronspiegel zu senken, sofern sie noch an Wettbewerben teilnehmen will.

Die Devise im Profisport: Fairness ist wichtiger als Inklusion. Transpersonen oder Personen mit körperlichen Merkmalen, die von der Norm abweichen, werden dadurch ausgegrenzt.

Aber im Wrestling, wo die Kämpfe nur Show sind und es dadurch gar keinen Wettbewerb gibt, besteht zwischen Fairness und Inklusion auch kein Widerspruch.

Und in der Manila Wrestling Federation versucht man, sich das zum Vorteil zu machen. Am Rande des Rings sieht Veronica Shannon zu, die Gründerin und Co-Chefin der Liga.

Sie ist selbst Transfrau:

Die Sache mit der MWF ist, dass wir inklusiv sind. Jede Person ist willkommen. Ich selbst hatte meine Transition 2018, hier im Ring, von Mike zu Veronica. Unsere Kultur hier ist sehr offen. Vor diesem Schritt hatte ich mich mit Leuten aus dem Profisport zum Thema Comingout ausgetauscht, und an vielen Stellen hieß es, es gebe keinen Platz für LGBTQ-Personen. Aber der Fakt, dass ich dann hier von den Leuten unterstützt wurde, ist doch großartig!

Veronica Shannon, Gründerin der Wrestlingliga der Philippinen

Shannon hat große Pläne für die Liga:
 
"Wir werden jetzt seit Kurzem endlich im landesweiten Fernsehen ausgestrahlt, und wir wollen noch weiter wachsen. Wir wollen die WWE von Südostasien werden."

Chelsea Marie ist eine sehr populäre Wrestlerin

Ein Kernbestandteil der Wachstumsstrategie ist Chelsea Marie. Weltweit ist sie die einzige Transfrau, die in der größten Liga ihres Landes zu den populärsten Figuren gehört.
Im Moment gibt sie täglich Interviews. Und sie ist selbst noch ein bisschen überwältigt davon: 

"Ehrlicherweise hatte ich nie den großen Traum, Wrestlerin zu werden: Ich meine, ich bin nicht in den USA und ich bin trans. Wie soll das gehen? Aber 2016 gab es eine Reality Show, die Wrestlerinnen im Ring und außerhalb portraitierte. Und dann dachte ich: Hm, die sind interessant. Ich will das auch! 2019 schrieb ich dann ein paar Wrestlingligen an. Die MWF hat geantwortet und bot mir an, mit ihnen zu trainieren. Intern gab es dann wohl eine Ansage, dass jetzt eine Transperson kommt. Und allen wurde angeboten, die Liga zu verlassen, wenn jemand ein Problem damit hat. Aber alle sind geblieben."
Die Manila Wrestling Federation entspricht eben nicht dem Klischee einer ausschließlich muskelbepackten Machowelt.

Die Philippinen als paradoxer Fall

Das sagt auch Ernesto Baque Bunag, der als Zuschauer in der Halle ist:
 
"Wrestling bei Frauen ist cool. Wenn immer nur Männer kämpfen, ist es auch irgendwann langweilig. Die Männer sind natürlich physisch stärker. Aber ich würde sagen, mittlerweile sind die Frauen genauso beliebt wie die Männer. Und Chelsea Marie ganz besonders."
Die Philippinen sind ein paradoxer Fall. Das überwiegend katholische Land verfügt über kein Anti-Diskriminierungsgesetz, das Transpersonen rechtlich schützen würde.

Transpersonen haben hier einen guten Stand

Eine Änderung von Namen oder Geschlecht ist hier nicht möglich.

Trotzdem haben Transpersonen hier einen relativ guten Stand: Sie werden Politikerinnen, Juristen, Unternehmerinnen - und starten im Wrestling durch.

Soziologinnen erklären das damit, dass vor dem spanischen Kolonialismus, der hier mehr als 300 Jahre lang herrschte, eine Tradition etabliert war, die Gender weniger binär und mehr im Kontinuum dachte.

Der Kampf ist zu Ende. Chelsea Marie, die vorher angekündigt hatte, sie sei sowieso die Stärkste im Ring, ist besiegt. Die anderen drei Wrestlerinnen hatten sich zusammengetan, um sie auszuschalten.

Gewonnen hat Super P., die philippinische Version von Wonderwoman, mit Kostüm und Umhang in den Landesfarben Rot, Blau, Gelb und Weiß.

Nach dem Sieg lässt sie sich aber nicht einfach bejubeln. Sie zollt ihrer größten Gegnerin Respekt:

"Chelsea Marie: Es gab keine Transwrestlerin vor ihr. Und sie hat diese Hürde einfach übersprungen!"

"Was die Rechnungen bezahlt, ist Livestreaming"

Die Halle jubelt. Und Chelsea Marie träumt davon, dass sie eines Tages von diesen Shows leben kann. Erst mal aber muss sie am nächsten Tag wieder anders ihr Geld verdienen:

"Ich tanze und bin Tanzlehrerin. Als Hintergrundtänzerin im Fernsehen und so weiter. Aber was die Rechnungen bezahlt, ist Livestreaming."

Und wenn das große Geld durchs Wrestling auch in Zukunft nicht in den Philippinen zu haben ist, dann gehe sie vielleicht irgendwann einfach in die USA zur WWE – der größten Wrestlingliga der Welt. Ihre Rolle wäre jedenfalls auch dort neu.

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