Der lange Schatten der Macht
Heute ist Writers-in-Prison-Day. Der Tag, an dem der Schriftsteller gedacht wird, die aus politischen Gründen von ihren Regierungen inhaftiert wurden. Hunderte sind es - und ihre Zahl wird weiter steigen, sagt Sascha Feuchert vom Schriftsteller-Verband PEN.
Sie haben Texte geschrieben, die ihren Regierungen missfallen - und sitzen deshalb hinter Gittern. Hunderte Schrifsteller sind betroffen, am 15. November wird weltweit an sie erinnert. Sascha Feuchert, Writers-in-Prison-Beauftragter des deutschen PEN und Vizepräsident der deutschen Sektion des internationalen Schriftsteller-Verbands, hat im Deutschlandradio Kultur über ihr Schicksal gesprochen.
Die Zahl der Verhaftungen nehme weiter zu, sagt Feuchert. "Man kann wirklich sagen, dass die Bedrohung der Meinungsfreiheit mittlerweile ein globales Problem geworden ist und wir stellen einfach auch fest mit unseren Statistiken, dass die Situation eigentlich von Jahr zu Jahr schlimmer wird."
130 inhaftierte Schriftsteller in der Türkei
Auch die Situation in der Türkei bereitet dem Verband große Sorgen: "Wir müssen im Moment leider von 130 inhaftieren Kolleginnen und Kollegen ausgehen." Noch gelinge es in dem Land auf diese öffentlich aufmerksam zu machen. "Immerhin gibt es noch solche Zeitungen wie die Cumhuriyet - auch wenn sie praktisch täglich immer weiter eingeschränkt wird in ihren Handlungsmöglichkeiten."
Gerade die Cumhuriyet berichte noch über die Fälle der inhaftierten Schriftsteller. In Ländern wie China hingegen sei so etwas unmöglich, so Feuchert. "Da muss die Einflussnahme von außen kommen, dann auch über die Länder in denen man frei sprechen kann."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Heute ist der 15. November und das ist der Writers-in-Prison-Day, der Tag, an dem weltweit der in vielen Ländern inhaftierten Schriftsteller gedacht und auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht wird. Der Writers-in-Prison-Beauftragte des deutschen PEN ist Sascha Feuchert, er ist auch Vizepräsident der deutschen Sektion des internationalen Schriftstellerverbands. Schönen guten Morgen, Herr Feuchert!
Sascha Feuchert: Guten Morgen!
Kassel: Ich glaube, bei Menschen, die aus politischen Gründen inhaftiert werden, denkt man in diesen Zeiten natürlich sofort an die Türkei. Haben Sie überhaupt einen Überblick darüber, wie viele Schriftsteller dort seit dem gescheiterten Putsch inhaftiert wurden?
Feuchert: Ja, das können wir auch nur schätzen, weil sich die Zahlen im Prinzip jeden Tag ändern. Wir können im Moment oder müssen leider im Moment von etwa 130 inhaftierten Kolleginnen und Kollegen ausgehen, aber die Zahl, wie ich eben sagte, ändert sich praktisch täglich.
Ägypter in Haft wegen einer Sexszene im Text
Kassel: Nun werden nicht jedem Schriftsteller in Haft seine politischen Äußerungen vorgeworfen oder zumindest nicht das, was ich für eine politische Äußerung halten würde. Es gibt einen Fall, auf den auch gerade am heutigen Tag hingewiesen wird, das ist ein ägyptischer Schriftsteller, Ahmed Naji heißt der, der ist zu zwei Jahren Haft verurteilt worden wegen der Veröffentlichung von, so heißt es, sexuell schamloser Literatur. Was ist das für ein Fall?
Feuchert: Das ist ein Fall, bei dem man, wenn es nicht so schrecklich wäre, fast lachen müsste. Naji ist in Haft gekommen und dann zu zwei Jahren, wie Sie sagen, verurteilt worden, weil er in einem Roman eine Sexszene schildert. Und ein Leser hat sich über diese Sexszene derartig aufgeregt, dass er – so hat er es angegeben – Herzrhythmusstörungen bekommen hat. Und hat ihn dann angezeigt und er ist tatsächlich deswegen verurteilt worden zu zwei Jahren. Es ist unglaublich. Sie haben recht, hier hat es nichts mit einer direkten politischen Äußerung zu tun, allerdings wird Naji auch der Opposition in Ägypten zugerechnet.
Kassel: Dieser Tag, über den wir deshalb ja auch heute reden, macht natürlich aufmerksam auf inhaftierte Schriftsteller. Aber wie kann man ihnen wirklich helfen? Denn auch Ägypten, dieses absurde Beispiel, ist ja ähnlich wie andere Fälle so, dass die jeweiligen Regierungen sagen, in unserem Rechtssystem ist das doch alles in Ordnung, dieser Schriftsteller hat wirklich gegen unser geltendes Recht verstoßen?
Feuchert: Na ja, also, zunächst einmal muss man als Grundlage die allgemeinen Menschenrechte ansehen. Und die sind glaube ich der richtige Maßstab, den man hier anlegen kann und muss. Und was wir tun können, ist zunächst mal vor allen Dingen Öffentlichkeit herstellen. Das ist auch eine wichtige Botschaft an die Betroffenen selbst, dass sie merken, sie sind nicht vergessen. Und das Zweite ist sicherlich, dass man auf die nationalen Regierungen auch Druck ausübt, dass sie sich eben für solche Fälle, für solche Menschen dann auch direkt einsetzen. Und beides tun wir beim deutschen PEN.
Öffentliche Diskussion in vielen Ländern unmöglich
Kassel: Kann man denn diese Öffentlichkeit auch als … der deutsche PEN ist Teil des weltweiten PEN … auch in den jeweiligen Ländern überhaupt noch erzeugen, aufmerksam machen? Wird in der Türkei, wird in Ägypten, in vielen anderen Ländern über solche Fälle öffentlich diskutiert?
Feuchert: Also, das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. In der Türkei gelingt uns das in der Tat noch, immer wieder gibt es noch solche Zeitungen wie die "Cumhuriyet", auch wenn sie praktisch täglich immer weiter eingeschränkt wird in ihren Handlungsmöglichkeiten. Aber gerade die "Cumhuriyet" berichtet natürlich über solche Fälle.
In anderen Ländern, etwa China, ist das eigentlich völlig unmöglich. Da muss die Einflussnahme von außen kommen, dann auch über die Länder, in denen man frei sprechen kann. Ein großer Pluspunkt sind sicherlich die Social Media, denn die reichen oft auch in Länder hinein, die ansonsten andere Medien zensieren.
Kassel: An diesem Tag des inhaftierten Schriftstellers werfen Sie auch immer einen Fokus auf spezielle Einzelfälle. Und da war ich doch erstaunt, in welchen Ländern es überhaupt noch zu solchen Inhaftierungen kommt. Es ist – wir haben die Türkei, Ägypten erwähnt – wenig überraschenderweise natürlich auch China dabei, aber Sie haben Beispiele aus Israel und unter anderem auch aus Honduras. Also, mich hat erstaunt, dass offenbar die Anzahl der Länder, in denen man als Schriftsteller ins Gefängnis kommen kann, doch sehr viel höher ist, als ich gedacht hätte.
Feuchert: Ja, und das nimmt leider auch zu. Man kann wirklich auch sagen, dass die Bedrohung der Meinungsfreiheit mittlerweile ein globales Phänomen geworden ist. Und wir stellen einfach auch fest mit unseren Statistiken, dass die Situation eigentlich von Jahr zu Jahr schlimmer wird. Wir sehen ja auch, dass es in Europa politische Verschiebungen gibt, etwa in Ungarn, es fängt auch in Polen an, die sehr besorgniserregend sind, und gerade in Ungarn ist die Pressefreiheit unseres Erachtens auch akut bedroht.
Diktatoren fürchten sich vor kritischen Stimmen
Kassel: Ich habe mir ein bisschen überlegt, ob man das fragen kann, was ich Sie noch fragen möchte am Schluss, aber ich tu’s: Hat nicht dieses Schreckliche, also diese schrecklichen Einzelschicksale und die Entwicklung, wie Sie sie gerade beschrieben haben, etwas ganz, ganz kleines Positives: Ist es nicht im Grunde genommen heutzutage auch erstaunlich, dass doch so viele Regime glauben, dass ein Buch ihnen gefährlich werden könnte?
Feuchert: Ja und nein. Also, ich glaube, dass das im Wesen der Diktatur liegt, dass sie Widerspruch nicht aushalten kann. Der Konrad Heiden, ein früher Gegner Adolf Hitlers, der hat mal gesagt, dass ist die Schwäche der Diktatur, dass sie nur freudige Gesichter um sich ertragen kann und dass praktisch jede kritische Stimme eine Art Bresche im System ist. Ich glaube, dass das tatsächlich schon immer so war. Allerdings – und da würde ich Ihnen recht geben –, das ist ein hoffnungsfrohes Zeichen, dass es immer noch so ist und dass es Menschen gibt, die sich das auch trauen, gegen Missstände aufzustehen und in nicht wenigen Fällen auch ihr Leben riskieren für die Werte, für die wir alle hoffentlich stehen.
Kassel: Sascha Feuchert, Writers-in-Prison-Beauftragter und Vizepräsident des deutschen PEN zum heutigen weltweiten Tag des inhaftierten Schriftstellers, des Writers-in-Prison-Day. Herr Feuchert, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.