Eine Musikstadt im Aufbruch
Die Klassik-Szene Polens ist in Bewegung. Im vor Kurzem eröffneten Nationalen Forum der Musik in Wroclaw findet gerade das Festival "Wratislavia Cantans" statt. An diesem neuen Ort soll besonders die große Chortradition der Stadt fortgesetzt werden.
Unser östliches Nachbarland Polen erlebt im Moment einen wirtschaftlichen Aufschwung, der in Europa ziemlich einmalig ist. In den größeren Städten wird so viel restauriert und neu gebaut, wie es in Ostdeutschland nach 1989 der Fall war. Paradebeispiel: Wroclaw bzw. Breslau. In der alten Hauptstadt Schlesiens wurden nicht nur zahlreiche Kirchen, Paläste und Bürgerhäuser aus Gotik, Renaissance und Barock wiederhergestellt, sondern man hat in den letzten Jahren auch einen repräsentativen Konzertsaal neu errichtet.
Das Nationale Forum der Musik hat 1800 Plätze. Damit hat man auch den entscheidenden Schritt ins kommende Jahr getan, 2016 wird Breslau nämlich Kulturhauptstadt Europas sein. Im Moment läuft das Festival "Wratislavia Cantans", eine der renommiertesten Musikfeste in Polen. Der Musikkritiker Claus Fischer war vor einigen Tagen in Breslau und hat die Eröffnung des neuen Saales miterlebt.
Ein ambitionierter Ort für musikalische Bildung
Die Stimmung bei der Einweihung war bewegend: Das war für Polen ein Ereignis von wirklich nationaler Bedeutung. Im Festakt wurde die Nationalhymne gesungen. Und vollzogen hat die Einweihung die polnische Kulturministerin Malgorzata Omilanowska. Kulturelle Bildung im Allgemeinen und musikalische Bildung im Besonderen brauche passende Orte, betonte sie in ihrer Einweihungsrede:
"Wir haben in den letzten Jahren sage und schreibe acht neue Konzerthallen in unserem Land gebaut. Und nicht nur in größeren Städten wie Kattowitz oder Stettin, sondern auch zum Beispiel in Tschenstochau oder Allenstein. Auch dort kann man jetzt klassische Musik in angemessener Umgebung erleben."
Gleichzeitig, so Ministerin Omilanowska, habe man in den letzten Jahren die Musikschulen im Land finanziell gestärkt, nicht um eine neue Elite von Musikern heranzuzüchten, sondern um das Publikum für klassische Musik stetig zu vergrößern.
Eröffnung drei Jahre später als geplant
Anfang 2009 wurde mit dem Bau des Nationalen Forums der Musik begonnen. Fertig sein sollte es 2012, also vor drei Jahren. Beim Ausheben der Fundamente rief eine Mauer aus dem Mittelalter die Denkmalbehörden auf den Plan, was ein Jahr Bauverzögerung zur Folge hatte. Dann kündigte zu allem Überfluss die leitende Baufirma den Vertrag.
Finanziell ist man allerdings – anders als etwa bei der Elbphilharmonie in Hamburg, in Breslau halbwegs im angepeilten Rahmen geblieben. 110 Millionen Euro hat der Bau gekostet. Davon kamen 75 Millionen von der Stadt, 25 Millionen vom Staat und 45 Millionen aus dem Fördertopf der EU.
Enger Kontakt zum Publikum, besondere Akustik
Der Saal ist oval gestaltet und mit seinen drei umlaufenden Galerien außerordentlich hoch, dafür aber mit 20 bis 25 Metern Durchmesser sehr schmal. Dadurch erreicht man eine große Nähe zwischen Orchestern und Chören auf dem Podium und dem Publikum. Zu dieser besonderen Atmosphäre kommt aber ein deutlicher Nachhall, wie man ihn sonst seltenen findet in Konzertsälen, fast wie in einer Kirche. Das wollten die Verantwortlichen so, denn Breslau hat eine große Chortradition und zum Nationalen Forum der Musik selbst gehört einer der besten Chöre Polens.
Glücklich mit der Akustik ist auch der Intendant des Festivals "Wratislavia Cantans", der Italiener Giovanni Antonini:
"Ein neuer Ort für die Musik, das ist wirklich was ganz Besonderes. Und dass es aus außer dem großen Saal noch drei kleinere Räume für die Kammermusik gibt, ist wunderbar. Sehr gut ist der enge Kontakt, den man im großen Saal als Interpret zum Publikum hat. Ich saß beim Eröffnungskonzert auf dem Balkon, schräg gegenüber der Bühne, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass die Musiker weit weg finden. Das ist sehr gut!"
Im kommenden Jahr, wenn Breslau Kulturhauptstadt Europas sein wird, stehen rund 70 musikalische Projekte auf dem Programm: Festivals, Musik-Akademien und Musikwettbewerbe. Das ambitionierteste davon nennt sich "Singing Europe", zu dem Chöre und singfreudiges Publikum aus ganz Europa eingeladen werden. Die Chöre bringen dem Publikum dann zehn Lieder aus zehn Ländern bei: Die werden dann mit großem Orchester im Nationalen Forum der Musik aufgeführt.